50 Jahre nach Sturm „Quimburga“ – sichtbare Erfolge und wichtige Lehren

Am 13. November 1972, am kommenden Sonntag vor 50 Jahren, fegte das Sturmtief „Quimburga“ über Niedersachsen hinweg und richtete Schäden im niedersächsischen Wald von bis dahin ungekanntem Ausmaß an. Auf etwa 100.000 Hektar entwurzelte und brach der Sturm Millionen von Bäumen, vor allem Kiefern und Fichten. Allein in Niedersachsen fielen über 16 Millionen Kubikmeter Schadholz dem Sturm zum Opfer.

Für die Forstleute stellte die Beseitigung der Sturmschäden und die Wiederaufforstung von rund 10% der Waldfläche Niedersachsens eine Mammutaufgabe dar. Gleichzeitig markierte der „Jahrhundertsturm“ auch den Anfang grundsätzlicher Überlegungen, die Jahre später im „Programm zur Langfristigen Ökologischen Waldentwicklung“ (LÖWE) mündeten. Die hierin entwickelten Grundsätze wurden bundesweite Wegbereiter für eine naturnahe auf ökologischen Grundlagen fußende Bewirtschaftung und sind bis heute auch angesichts der aktuellen Herausforderungen im Wald der Niedersächsischen Landesforsten maßgeblich. „Der Jahrhundertsturm und die katastrophalen Waldbrände Mitte der Siebziger Jahre sowie das ‚Waldsterben‘ der Achtziger Jahre haben uns Forstleute zum Umdenken gebracht. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse entwickelten die Forstleute das in den Grundsätzen noch heute geltende LÖWE-Programm mit dem Ziel, die Wälder zu stabilen und vielfältig nutzbaren Mischwäldern zu entwickeln“, stellt Dr. Klaus Merker, Präsident der Niedersächsischen Landesforsten, fest. „Auch wenn der Klimawandel in den 80er Jahren noch eher theoretisch diskutiert wurde und weit weg schien, setzte sich damals schon die Erkenntnis durch, dass sich strukturreiche und gemischte Wälder auch allen klimatischen Extremereignissen besser gewachsen zeigen würden, als sogenannte Reinbestände. Angesichts der aktuellen Herausforderung, den Wald an die Folgen des Klimawandels anzupassen, sind die LÖWE-Grundsätze von immenser Aktualität“, so Dr. Merker weiter.

Wiederaufforstung mit System

Obwohl bei der damaligen Wiederaufforstung abermals großflächig Kiefern und Fichten gepflanzt wurden, kamen auch immer mehr Laubhölzer, vor allem Eichen, zum Einsatz. Entscheidend für die Wahl der Baumart war neben der Verfügbarkeit entsprechender Setzlinge vor allem die Beschaffenheit des Bodens – umfangreiche Kartierungen gingen den Pflanzarbeiten voraus und die dabei festgestellte Nährstoff- und Wasserversorgung war für die Baumartenwahl entscheidend. Heute liegen für jeden Hektar der Landesforsten detaillierte Informationen über den Boden, den Wasserhaushalt und sogar die sich für einzelne Baumarten ergebenden Risiken des Klimawandels vor. „Damit erhielt das systemische Denken, das Waldboden und Bäume als Einheit mit gegenseitigen Wechselbeziehungen versteht, endgültigen Einzug in die forstliche Praxis. Vor allem durch die Forschung am Waldsterben der Achtziger Jahre wurden diese Erkenntnisse weiter vertieft und bildeten einen zentralen Grundsatz unseres heutigen LÖWE-Programms: die Standortgemäße Baumartenwahl“, erklärt Dr. Hans-Martin Hauskeller, Leiter der Abteilung Wald und Umwelt in der Zentrale der Landesforsten in Braunschweig.

„Die damals bei der Wiederaufforstung eingesetzten Verfahren sind aktuell nicht mehr Stand der Technik, heute wissen wir vieles besser. Oftmals wurden die Flächen vollständig geräumt, Wurzelstöcke mit schwerem Gerät entfernt und zusammen mit dem gesamten Humus zu Wällen aufgetürmt. Nicht selten wurde der Waldboden auch mit schweren Pflügen vollständig umgebrochen und anschließend maschinell bepflanzt“, blickt Dr. Hans-Martin Hauskeller zurück. Derart intensive Verfahren gehören unter anderem aufgrund ihrer negativen Folgen insbesondere für den Nährstoffhaushalt der Waldböden mittlerweile der Vergangenheit an.

Einsatz moderner Technik

Die Lehren aus dem Sturm beschränkten sich jedoch keinesfalls auf Rückschlüsse für die Entwicklung künftiger Wälder. Vor allem im Bereich der Forsttechnik bedeutete der Sturm einen Quantensprung: Die Aufarbeitung der Schäden im Bereich der heutigen Landesforsten konnte nicht nur dank des Einsatzes zahlreicher Waldarbeiter aus dem europäischen Ausland (v.a. Österreich, Skandinavien) bereits nach anderthalb Jahren abgeschlossen werden. Auch bis dahin in Niedersachsen weitgehend unbekannte Holzerntemaschinen aus Skandinavien kamen erstmalig zum Einsatz. „Die tragisch hohe Anzahl von 22 bei der Aufarbeitung der Schäden tödlich verunglückten Waldarbeitern markierte ebenfalls einen Wendepunkt: bis dahin kaum eingesetzte Sicherheitskleidung wurde zur Pflicht, Arbeitsschutz zur Priorität. Damals erstmals eingesetzte Maschinen sind heute in weiterentwickelter Form Garant nicht nur für Effizienz, sondern vor allem für die Sicherheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, erklärt Klaus Jänich, Vizepräsident der Niedersächsischen Landesforsten und heute für den Arbeitsschutz bei der Waldarbeit verantwortlich.

Mit Blick auf den Holzmarkt, der binnen kürzester Zeit Holzmengen aufnehmen musste, die sonst über Jahre verteilt anfielen, kamen erstmalig Nasslagerplätze, wie sie die Landesforsten auch heute noch zur Entlastung des Holzmarktes nach Sturmereignissen anlegen, zum Einsatz. Andere Teile des angefallenen Schadholzes wurden nach Süddeutschland oder Skandinavien transportiert. „Der Holzmarkt war bis dahin noch regionaler, damals in der Not erstmals beschrittene Vertriebswege sind in einer heute globalisierten Welt auch beim Holz selbstverständlich“, erklärt Jänich weiter.

Die Erkenntnisse aus der Aufarbeitung der Sturmschäden fassten Forstleute damals zum „Leitfaden Sturm“ zusammen, der stetig weiterentwickelt noch heute Leitfaden für den Umgang mit Sturmereignissen im Wald der Niedersächsischen Landesforsten ist.

Die damals geschädigten Wälder heute

Bereits Mitte der Siebziger Jahre waren – auch dank finanzieller Unterstützung des Bundes – die Wiederaufforstungen im Bereich der heutigen Landesforsten weitgehend abgeschlossen. Den Startschwierigkeiten der jungen Setzlinge zum Trotz, die auf großen Freiflächen unter Trockenheit, zu starker Sonneneinstrahlung, Frost oder Wildverbiss litten, haben sich die damals aufgeforsteten Flächen mittlerweile zu geschlossenen Wäldern entwickelt.

In den damaligen Schadensschwerpunkten in der zentralen Heide oder im Oldenburger Land erfolgten bereits mehrfache Pflegeeingriffe, bei denen nutzbare Holzsortimente angefallen sind. „Die kontinuierliche Pflege dieser Bestände über Jahrzehnte war besonders wichtig, um die Stabilität der Einzelbäume zu erhöhen. Vor allem aber galt und gilt es, die darin vorhandenen Mischbaumarten zu erhalten und zu fördern. Gerade diese sind heute wichtige Ankerpunkte für die weitere Entwicklung hin zu klimaresilienten Wäldern“, erklärt Dr. Hauskeller das Ziel der Pflege der heute zwischen 40 und 50 Jahre alten Wälder. „Wir sehen heute, welche damaligen Entscheidungen zum Erfolg geführt haben. Dort, wo man differenziert vorging, vom Sturm verschonte Bäume und Baumgruppen beließ, wo man gezielt und in Anhalt an Bodenverhältnisse auf nicht zu kleinteilige Mischung setzte, finden wir heute viele Waldbilder, die uns auch für die aktuelle Wiederbewaldung nach Schadensereignissen wie beispielsweise im Harz Hoffnung geben“, so Hauskeller weiter.

Hintergrund

Der Sturm Quimburga

Am Vormittag des 13. November 1972 zog einer der schlimmsten Orkane des 20. Jahrhunderts über Mitteleuropa hinweg. Die Zugbahn führte das später „Quimburga“ getaufte Orkantief über die Elbmündung und Hamburg nach Osten. Das Hauptsturmfeld reichte von Niedersachsen über Sachsen-Anhalt bis nach Brandenburg und Berlin. Insgesamt forderte der Sturm mindestens 73 Menschenleben, allein in Niedersachsen waren 21 Tote zu beklagen, hinzu kamen 22 bei der Aufarbeitung der Schäden in Folge des Sturmes tödlich verunglückte Waldarbeiter.

Der insgesamt in Deutschland angerichtete Sachschaden wird mit 1,34 Milliarden DM beziffert.

In den Wäldern, die heute zu den Niedersächsischen Landesforsten zählen, waren innerhalb weniger Stunden rd. 7 Millionen Kubikmeter Holz geworfen worden – etwa so viel Holz, wie sonst nachhaltig in fünf Jahren geerntet worden wäre. Die aufzuforstende Fläche belief sich auf etwa 25.000 Hektar, ca. 10.000 Hektar weniger als seit 2018 in Folge der Extremwetterereignisse und der damit einhergehenden Borkenkäfermassenvermehrung geschädigt wurden.

Auf „Quimburga“ folgten große Waldbrände in den Jahren 1975 und 1976, die ca. 8.000 Hektar Wald vernichteten, sowie ein weiterer Sturm 1976, der abermals rd. 3 Millionen Kubikmeter Holz anfallen ließ.

Das LÖWE-Programm

Das „Programm für langfristige ökologische Waldentwicklung“ ist seit Kabinettsbeschluss von 1991 verbindliche Grundlage für das waldbauliche Handeln der Niedersächsischen Landesforsten. Ziel des Programmes ist die Entwicklung stabiler, arten- und strukturreicher, ungleichaltriger und leistungsfähiger Mischwälder, die sich überwiegend selbst verjüngen. Die 13 Grundsätze des Programms formulieren Ziele und Vorgaben in den Bereichen Waldbau, Naturschutz, Waldschutz, Wildtiermanagement und Technikeinsatz. Eine letzte Anpassung erfuhr das Programm durch die Weiterentwicklung zu LÖWE+ in 2017 und 2021 im Zuge des Niedersächsischen Weges, in deren Zuge neben naturschutzfachlichen Neuerungen vor allem die Folgen des Klimawandels und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Klimaanpassung eingefügt wurden.

Über Niedersächsische Landesforsten

Die Niedersächsischen Landesforsten bewirtschaften mit rd. 330.000 Hektar rund ein Drittel des Waldes in Niedersachsen nach den Grundsätzen des LÖWE-Programms und betreuen außerdem ca. 75.000 Hektar Wald von Forstgenossenschaften. Darüber hinaus nehmen sie im Auftrag des Landes Aufgaben unter anderem in den Bereichen Naturschutz und Umweltbildung wahr. Mit 24 Forstämtern, elf Waldpädagogikzentren, 2 Servicestellen und der Zentrale in Braunschweig sind sie in ganz Niedersachsen vertreten.

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