Geldpolitischer Overkill … Rezession im Anmarsch

  • Die am weitesten vorlaufenden „Frühindikatoren“ der Konjunkturzyklen zeigen beunruhigendes Bild eines synchronisierten und langen Abschwungs bzw. einer tiefen Rezession weltweit
  • Wachstumsrückgänge beenden zyklische Inflationsphasen; daher erreicht die Inflation ihren Höhepunkt in der Regel in einer Rezession
  • Infolgedessen ist das Risiko eines geldpolitischen Overkills so hoch wie nie zuvor in unserer Laufbahn

Weit vorlaufende wirtschaftliche Indikatoren haben die Erwartungen einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums im zweiten Halbjahr 2022 in eine lange und tiefe globale Rezession bis mindestens Mitte 2023 verwandelt. Diese Prognose ist eine der düstersten unserer bisherigen Laufbahn. 

Alle von uns routinemäßig verfolgten langfristigen Konjunkturindikatoren sind in diesem Jahr auf Werte eingebrochen, die auf eine ungewöhnlich synchron verlaufende globale Rezession hindeuten. Die Aktienmärkte haben dies erkannt und gelten selbst als kurzfristigerer Frühindikator – so sind die US-Aktienmärkte seit 1937 eine der Komponenten der Frühindikatoren des Conference Board. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich die Zentralbanken auf eine historisch aggressive Zinserhöhungsrunde und eine quantitative Straffung, da die nachlaufenden Indikatoren wie Inflation und Arbeitslosigkeit noch keine Anzeichen einer Trendwende erkennen lassen.

Konjunktur- und Marktzyklus 101
Wer den Konjunkturzyklus und seine Signale verfolgt, kann die künftige Entwicklung der Volkswirtschaften schon lange vor der tatsächlichen Wende erkennen, und die gleichen Faktoren signalisieren regelmäßig die Wende im Zyklus. Im Gegensatz dazu besteht in der Makroökonomie nach wie vor kein Konsens darüber, was den Konjunkturzyklus antreibt, und Abschwünge werden immer wieder nicht vorhergesehen.

In diesem Artikel wollen wir die Indikatoren des Konjunkturzyklus (weit vorlaufende, vorlaufende, gleichlaufende- und nachlaufende Indikatoren) aufschlüsseln und zeigen, wo wir uns in diesem Wachstumszyklus befinden dürften.

Zu den vorlaufenden Indikatoren, wie sie vom US Conference Board definiert werden, gehören z. B. die Auftragseingänge des Institute for Supply Management (ISM), die Verbraucherstimmung und die durchschnittliche Wochenarbeitszeit im verarbeitenden Gewerbe. Wir sind der Ansicht, dass auch der Frühindikator der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und Umfragen zur Kreditvergabe der Banken in diese Kategorie fallen. Zu den „gleichlaufenden“ Wirtschaftsindikatoren zählen die Industrieproduktion, die Zahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft, das verarbeitende Gewerbe und der Handel, das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die Ertragsrevisionen (die letzten beiden sind unsere Klassifizierung). Schließlich sind Daten wie die Ausfallraten von Unternehmen, Arbeitslosigkeit und Inflation typische „nachlaufende“ Indikatoren.

Im Laufe der Jahre haben wir die makroökonomischen Prozesse des Konjunkturzyklus anhand von vier weit vorlaufenden Indikatoren, sogenannten antizipativen Indikatoren untersucht. Es handelt sich dabei um den realen M1-Wert, den langfristigen Frühindikator des Economic Cycle Research Institute (ECRI), den Immobilienmarkt und die Zinskurve. Diese Indikatoren sind den weit vorlaufenden Indikatoren in der Regel um 9-12 Monate voraus, sind datengesteuert und ändern sich nicht (d. h. sie unterliegen keinen Revisionen). Sie sind nicht nur nützlich, wenn es darum geht, Trendwenden zu erkennen, sondern können auch dabei helfen, einzuschätzen, wie schwer und lang die Abschwünge sein könnten.

Konzentration auf die am weitesten vorlaufenden Indikatoren
1. Reales M1-Wachstum
Betrachtet man das Wachstum der realen M1 – ein wichtiger monetärer Frühindikator für die Wirtschaft, der durchschnittlich sechs bis sieben Monate vor der Trendwende bei den Auftragseingängen des globalen verarbeitenden Gewerbes liegt, so ist die Geschwindigkeit und Intensität des Rückgangs so hoch wie seit den 1970er Jahren nicht mehr (Abbildung 1). Und diese beiden Ereignisse fanden vor schweren Rezessionen statt.

Nun reagiert die enge Geldmenge empfindlicher auf politische Veränderungen als die breite Geldmenge. Aber auch die Kontraktionsrate der realen weiten Geldmenge ist jetzt stärker als während dieser Episoden.

2. ECRI-Indizes schlagen in die gleiche Kerbe
Das ECRI, das Konjunkturforschung betreibt, erstellt Indizes, die in den USA bis in die 1920er und in Europa bis in die 1960er Jahre zurückreichen. Sein umfassender (22 Länder) „Long Lead Index“ weist auf wirtschaftliche Trendwenden mit einem Vorlauf von 9-12 Monaten hin und vermittelt eine ähnliche Botschaft wie die reale M1 – es gibt keine Anzeichen einer Talsohle im nächsten Jahr. Auch die ECRI-Indizes für die Industrie und den Dienstleistungssektor – ebenfalls mit einem Vorlauf von 9-12 Monaten – zeigen dieselben Schwachstellen, was das Bild in allen Sektoren noch verstärkt.

3. Wohnungswesen – angeblich der Konjunkturzyklus
Der Wohnungsbau ist ein klassischer Frühindikator für den Konjunkturzyklus. Obwohl in normalen Zeiten unbedeutend, ist die Flaute im Wohnungsbau ein entscheidender Bestandteil einer wirtschaftlichen Rezession, wie Edward Leamer in seinem 2007 erschienenen Beitrag „Housing is the Business Cycle“ beschreibt.

In zahlreichen Märkten, darunter in den USA, Kanada, Schweden und Australien, aber auch in China, ist der Beginn eines steilen Abschwungs im Wohnungsbau bereits weit gediehen. Der Stimmungsindex der US-amerikanischen National Association of Home Builders (NAHB) zeigt einen sehr starken, plötzlichen Rückgang (Abbildung 2), und in Großbritannien ergab eine kürzlich durchgeführte Umfrage, dass die Hauskäuferanfragen den niedrigsten Stand seit 2008 und der Corona-Krise erreicht haben.

Der bevorstehende massive Abschwung zeigt sich auch bei den Wohnungsbeständen, die im Allgemeinen den Konjunkturzyklus bestimmen. Wenn man sie gegen die Arbeitslosigkeit oder die Aktienkurse stellt, zeigen beide eine starke und schnelle Verschiebung.

4. Der längste Indikator auf dem Anleihemarkt – die Zinskurve
Inversionen der Zinskurve sind sowohl ein Symptom als auch eine Ursache für Abschwünge. Die Zinskurve der US-Staatsanleihen invertierte zunächst im März dieses Jahres, hat sich aber inzwischen über alle Bereiche der Kurve wie die „2s 5s“ (die Spanne zwischen den zwei- und fünfjährigen Renditen) und die „2s 10s“ ausgedehnt. Solche Umkehrungen der Zinskurve erschweren die Kreditvergabe sowohl für die Banken, die meist Kredite zu kurzfristigen Zinssätzen aufnehmen und langfristig vergeben, als auch für die Anleiheinvestoren. Wenn die Renditen am kurzen Ende der Kurve recht hoch sind, wie groß ist dann der Anreiz, Anleihen mit längeren Laufzeiten zu vergeben (zu kaufen)? So entsteht eine Rückkopplungsschleife, die die finanziellen Bedingungen weiter verschärft.

Auswirkungen auf die Renditen von Staatsanleihen
Was läuft bei den Renditen von Staatsanleihen schief? In den letzten Jahrzehnten war die Wachstumsentwicklung die treibende Kraft für die Renditen von Staatsanleihen und Risikoanlagen (wenn auch nicht narrensicher). Für Portfoliomanager sind die ISM-Auftragseingänge die wichtigsten Daten, die es zu beachten gilt.

Während der meisten Zeit unserer Laufbahn folgten die Renditen von Staatsanleihen im Großen und Ganzen der Veränderung der Wachstumsdynamik, wie aus Abbildung 3 ersichtlich ist (ISM-Auftragseingänge wurden als Proxy gewählt). Wie das Schaubild jedoch zeigt, schossen die Anleiherenditen über das Ziel hinaus (bewegten sich in die entgegengesetzte Richtung), wenn der Kern-Verbraucherpreisindex (VPI), d. h. die Inflation, in Wachstumsabschwüngen anstieg.

Die drei Verwerfungen (eingekreist) in den 1970er Jahren waren alle auf einen VPI-Schock zurückzuführen. In den Jahren 1970 und 1981 war der Auslöser für die Abkopplung der Anleiherenditen vom Wachstum eine negative Zahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft (Koinzidenzindikator). Die Situation in den Jahren 1974-75 war anders, da die Anleiherenditen ihren Höchststand erst sehr spät erreichten, nachdem die nachlaufenden Wirtschaftsindikatoren ihren Tiefpunkt erreicht hatten, und es etwa ein Jahr dauerte, bis sie sich schließlich drehten.

Ausblick
Wir halten die Entwicklung für eine der bedrohlichsten in unserer Laufbahn. Das Ausmaß und die Schwere des Einbruchs bei den von uns beobachteten globalen Frühindikatoren hat inzwischen historische Ausmaße angenommen. Bei den vorlaufenden Indikatoren gibt es keine Anzeichen für eine Trendwende, und das Wachstum dürfte frühestens im zweiten Quartal 2023 seinen Tiefpunkt erreichen.

Unser Vorgehen ist zwar nicht narrensicher, aber es gibt auch zahlreiche potenziell negative Katalysatoren für die weltweite Rezession, wie z. B. die anhaltende Energiekrise, der strukturelle Wachstumseinbruch in China (Zahlungsausfälle bei Immobilien) und die Null-Covid-Politik, sowie die panikbedingte aggressive Notenbankpolitik (Zinserhöhungen und quantitative Straffung). Die Märkte sollten ihre Inflationssorgen bald ablegen und sich stattdessen auf das fehlende Wachstum und die rezessiven Aussichten konzentrieren.

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