Lore Siebert, die Umsiedlung, Flucht, Verhaftung und spätere Traumatisierung ihrer Mutter miterlebt hat, sagte heute bei einer Presse-Vorbesichtigung der Ausstellung: „Ich freue mich, dass die Gedenkstätte Leistikowstraße das Schicksal meiner Eltern, stellvertretend für viele andere Schicksale, mit dieser Sonderausstellung umfassend würdigt. Hier in den Zellen waren die Menschen als Gefangene und als Opfer alle gleich, voller Angst und hilflos gegenüber Gewalt und Willkür. Wenn man sich daher fragt, warum gerade meiner Mutter so viel Platz eingeräumt wird, so lautet die Antwort: Sie hat einfach mehr Spuren hinterlassen. Aus dem Gulag hat sie mehrere Stoffbeutel voller Gebrauchsgegenstände mitgebracht, zum Beispiel eine aus Stofffetzen genähte Bluse mit Knöpfen aus getrocknetem Brot oder Nähnadeln aus durchbohrten Kammzinken und vieles mehr. Trotzdem wollen wir diejenigen nicht vergessen, die nicht so zahlreiche Spuren hinterlassen konnten.“
Gedenkstättenleiterin Ines Reich zeigte sich dankbar, dass die Familie Siebert all die wertvollen Erinnerungsstücke der Gedenkstätte als Schenkung anvertraut hat: „Für uns ist es ein besonderer Moment, wenn diese einzigartigen Sachzeugnisse aus sowjetischer Haft, die zuvor aufwändig restauriert wurden, ab morgen im Rahmen unserer Sonderausstellung erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. So unscheinbar viele auf den ersten Blick sind, erzählen sie doch bei näherer Betrachtung auf eindrucksvolle Weise von Entbehrung, Hunger und Zwangsarbeit, aber auch von Solidarität und Freundschaft im Lager“, so Ines Reich.
Unmittelbar nach ihrer Entlassung 1954 schrieb Marlise Steinert in schwarzen Kladden ihre Erinnerungen nieder. Bewegend, anschaulich und ohne Pathos schildert sie darin die Lebensbedingungen im Gefängnis und im Lager, beschreibt Verhöre, Entbehrungen und Solidarität, Konflikte mit Mitgefangenen und Überlebensstrategien. Ausgehend von diesem eindrucksvollen Erinnerungsbericht und mit Hilfe zahlreicher persönlicher Erinnerungsstücke aus der Haftzeit erzählt die Ausstellung auf einer Fläche von rund 80 m² vom Überleben einer Frau im Gulag. Thematisiert wird aber auch das Schicksal Christoph Steinerts. Der Ehemann von Marlise Steinert, der als Dolmetscher der brandenburgischen Provinzialregierung ebenfalls verhaftet und in den Gulag verschleppt wurde, verstarb auf dem Rücktransport in die Heimat.
Donnerstag, 29. September 2022, 18.30 Uhr
Eröffnung der Sonderausstellung „Im Spiegel der Erinnerungen. Marlise Steinert – eine Frau im Gulag“
30. September 2022 bis 28. September 2023
Di bis So, 14.00 bis 18.00 Uhr
1. bis 3. Oktober: 11.00 bis 18.00 Uhr
Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße
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