Das Forschungsteam untersuchte die Gehirne Syrischer Goldhamster, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren, während und nach überstandener Infektion. Die Infektionen hatten sie gemeinsam mit Professorin Dr. Gülşah Gabriel, Virologin am Leibniz-Institut für Virologie und an der TiHo, durchgeführt. Um die Gehirne zu untersuchen, fertigten sie in Kooperation mit dem Institut für Pathologie Schnitte an. Christopher Käufer, PhD, Tierarzt und Forschungsgruppenleiter für In-vivo-Neuroinfektiologie bei Richter Assencio, und Cara Schreiber, Tierärztin und PhD-Kandidatin im Studiengang Systems Neuroscience, führten die aufwendigen Analysen durch. „Für die Phase der akuten Infektion konnten wir zeigen, dass durch SARS-CoV-2 im Epithel der Nasenhöhle und im Riechkolben des Gehirns Zellen der Immunabwehr aktiviert werden“, berichtet Richter Assencio. „Bemerkenswert ist die starke Aktivierung von Mikrogliazellen im Gehirngewebe, also der lokalen Immunabwehr, welche auch 14 Tage nach der Infektion noch vorhanden war.“ Als die Infektion bereits abgeklungen war, fanden die Forschenden die zur Fehlfaltung neigenden Alpha-Synuclein-Proteine und in ihrer Struktur veränderte Tau-Proteine in gehäufter Form in den Nervenzellen der Großhirnrinde. Diese Proteine spielen bei den neurodegenerativen Erkrankungen Alzheimer und Parkinson eine bedeutende Rolle. „Dass nicht alle Hirnregionen betroffen waren, ist eine wichtige Erkenntnis. Das deutet auf eine selektive Empfindlichkeit hin wie sie für neurodegenerative Erkrankungen charakteristisch ist“, erklärt Richter Assencio.
Bei bis zu 67 Prozent der COVID-19-Patientinnen und -Patienten treten während der akuten Infektion neurologische Symptome auf. Diese Symptome können nach der Infektion fortbestehen oder erst Wochen später neu auftreten. Dazu zählen neurologische, neuropsychologische und neuropsychiatrische Symptome wie kognitive Störungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Depressionen, Angstzustände, Gangstörungen und allgemeine Müdigkeit. Die Pathogenese dieser Symptome ist nach wie vor ungeklärt und es gibt, abgesehen von Rehabilitationsmaßnahmen, derzeit keine wirksamen Behandlungen. „Studien zu Biomarkern für neurodegenerative Erkrankungen im Plasma und bildgebende Verfahren zur Integrität des Gehirns in Long- bzw. Post-COVID-19 Patienten zeigen Ergebnisse, welche mit unseren Beobachtungen übereinstimmen. Die Vielfalt der Symptome weist eindeutig auf eine Beteiligung verschiedener Hirnregionen hin“, erklärt Richter Assencio, „ob und falls ja, wie SARS-CoV-2 in das Gehirn gelangt, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Wir konnten SARS-CoV-2 bei unseren Untersuchungen zwar zu keinem Zeitpunkt im Gehirn nachweisen, es gibt aber auch Studien, die geringe Mengen des Virus im Gehirn gefunden haben. Es wäre auch denkbar, dass allein die Reaktion des Immunsystems auf das Virus und die damit einhergehenden Signalmoleküle wie Zytokine die beobachteten Veränderungen hervorrufen.“
Die Forschenden vermuten, dass die Anhäufung von Tau und Alpha-Synuclein eine Ursache für die lang anhaltenden neurologischen Symptome sein können. Richter Assencio sagt: „Es besteht noch viel Forschungsbedarf. Ob die Anhäufung der Proteine in den Neuronen wirklich fortschreitende neurodegenerative Prozesse und neurologische Symptome auslösen, müssen weitere Studien klären. Eines steht aber fest: Wenn wir die Ursachen für die Symptome von Long- und Post-COVID-19 kennen, können darauf aufbauend rationale Therapien für die Betroffenen entwickelt werden. Alpha-Synuclein und Tau wären, falls sich unsere Annahmen bestätigen, wichtige Zielmoleküle für solche Therapien.“
Die Originalpublikation
Microgliosis and neuronal proteinopathy in brain persist beyond viral clearance in SARS-CoV-2 hamster model
Christopher Käufer, Cara S. Schreiber, Anna-Sophia Hartke, Ivo Denden, Stephanie Stanelle-Bertram, Sebastian Beck, Nancy Mounogou Kouassi, Georg Beythien, Kathrin Becker, Tom Schreiner, Berfin Schaumburg, Andreas Beineke, Wolfgang Baumgärtner, Gülsah Gabriel, Franziska Richter, DOI: https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2022.103999
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