Sternensegen im Nordosten

Das Land zwischen Ostsee und der Seenplatte hat sich seit 1996 einen guten Ruf in der Spitzengastronomie erworben, führt die Riege der Sternerestaurants in den neuen Bundesländern souverän an und ist seit 2022 erstmals mit einem Grünen Stern vertreten.

Mecklenburg-Vorpommern ist ein Bundesland mit faszinierender Natur, ein Land mit wechselvoller Geschichte und beeindruckender Kultur. In Sachen Spitzengastronomie hat sich der deutsche Nordosten im Vergleich der neuen Bundesländer längst an der kulinarischen Spitze etabliert. 1996 hat Michael Laumen (1950-2019) den ersten Michelin-Stern des Landes in sein Restaurant „Ich weiß ein Haus am See“ in Krakow am See geholt. Auch nach seinem Ausscheiden 2005 erhielt das Restaurant unter Raik Zeigner jährlich einen Michelin-Stern und liegt in der sogenannten Volkenborn-Liste gegenwärtig auf Rang sieben. Die Liste erfasst die Restaurants anhand der Bewertungen in verschiedenen Restaurantführern wie „Gault&Millau“ und Gusto und setzt sie nach einem Umrechnungsschlüssel punktemäßig in eine Reihenfolge. Als dienstältester Küchenchef in einem Sternerestaurant tischt Zeigner klassische französische Küche auf, die er geschmacklich-kombinatorisch kreativ und vorwiegend mit frischen Produkten aus der Region entwickelt.

Mit der Vergabe der Sterne im Frühjahr 2022 gibt es neun Restaurants im Land, die durch die Tester von Michelin den begehrten kulinarischen Meriten verliehen bekamen. Mehr noch, in diesem Jahr bekam das Restaurant „Klassenzimmer“ (Rang vier nach Volkenborn) in der „Alten Schule“ in Fürstenhagen bei Feldberg zusätzlich den sogenannten „Grünen Stern“ verliehen, der für nachhaltige, umweltfreundliche gastronomische Konzepte steht. Küchenchef Daniel Schmidthaler setzt in dieser Beziehung immer mehr auf Regionalität und Saisonalität der Zutaten, die er mit raffinierten Aromen-Kombinationen verbindet. Sein erklärter Anspruch ist es, bodenständig-lässigen, aber hochwertigen Genuss ohne artifizielle Anrichte, aber mit immer mehr Fokussierung auf das Produkt auf den Teller zu bekommen.

In den Ranglisten der deutschen Spitzenrestaurants steht das „Friedrich Franz“ (Rang zwei nach Volkenborn) im Grand Hotel Heiligendamm seit 13 Jahren mit an der Spitze. Küchenchef Ronny Siewert sorgt dort mit seinem Team seit 2008 für den jährlichen Sternesegen. Er steht für klassische französische Küche, die er mit besten regionalen und weiteren edlen Produkten nahezu schnörkellos in Szene setzt. Das Prägende seiner Menüs ist vor allem vom Spiel von Süße und Säure geprägt. Der Küchenchef wird längst als Kandidat für einen zweiten Stern gehandelt. Dass das bisher nicht eingetroffen ist, nimmt er eher sportlich. „Entscheidend ist, dass die Gäste bei uns ein exzellentes Genusserlebnis haben. Und wir brauchen uns weder geschmacklich-kombinatorisch noch hinsichtlich der Präsentation unserer Menüs zu verstecken“, so sein Kommentar. In Fachkreisen und auch aus der Sicht kulinarisch ambitionierter Gäste wird jedoch in diesem Kontext darüber diskutiert, dass der kulinarische Osten bei Michelin teilweise nicht die nötige Beachtung findet und man sich fragen muss, ob die Unterschiede in der Bewertung wirklich den Relationen in den Leistungen entsprechen, wenn in einem Bundesland zwei Köche seit Jahren Spitzenbewertungen in vergleichbaren Restaurantführern wie „Gault&Millau“ erhalten, ein zweiter Stern aber ausbleibt.

Nahezu geräuschlos hat sich das Restaurant „Der Butt“ (Rang eins) in der Yachthafenresidenz Hohe Düne in Rostock-Warnemünde seit 2020 hauchdünn vor Heiligendamm an die Spitze gesetzt. Der Spitzenplatz ist nicht zuletzt Küchenchef André Münch zu verdanken, der auch schon im Gutshaus Stolpe auf Sterne-Ehrungen verweisen kann und seit seinem Einstieg 2017 für die lückenlose Sternebewertung sorgt. Das gelingt ihm mit meisterhaft zelebriertem Handwerk und virtuoser Kreativität inklusive kulinarisch-kosmopolitischer Prägung samt dem Hang zu mediterranen geschmacklich-kombinatorischen Nuancen.

Auch im Restaurant „Ostseelounge“ (Rang drei) des Strandhotels Fischland im Ostseebad Dierhagen prangt seit 2014 der rote Michelin-Stern. Dort führt aber nicht mehr der langjährige Küchenchef Pierre Nippkow das Zepter, der seit dem Frühjahr 2022 in das Hotel seiner Eltern in Graal-Müritz gewechselt ist. Dass in der „Ostseelounge“ der Stern nicht erlischt, dafür sorgen jetzt André Beiersdorff und „Altmeister“ Matthias Stolze, der bereits Küchenchef im „Butt“ war. Dieses kongeniale Team mit ausgewiesener Sterne-Erfahrung will vor allem die regionale Schiene der Speisen und Menüs ausbauen und sich einer anspruchsvollen Cross-over-Küche widmen, die auch Gourmet-Ansprüchen gerecht wird.

Eine feste Größe im nordöstlichen kulinarischen Geschäft ist auch Ralf Haug. Der im Schwarzwald gebürtige Küchenchef übernahm 2013 das Restaurant „freustil“ (Rang fünf) im Hotel „Vier Jahreszeiten“ in Binz auf Rügen und führte es bereits im ersten Jahr zur Auszeichnung mit dem Michelin-Stern. Er setzt mit dem Slogan „Heimat, die schmeckt!“ in seiner Küche auf die Kombination von Kreativität und Regionalität. Seine nordisch-natürlich Küche zeichnet sich durch eher unprätentiöse Anrichte, aber geschmacklich raffiniert inszenierte Menüs aus.

Nachdem Spitzenkoch Tom Wickboldt ab 2017 das Restaurant „The O‘ Room“ (Rang sechs) übernahm, setzte sein Nachfolger André Kähler die Sternetradition des Hauses unweit der Heringsdorfer Seebrücke fort. Wickboldt machte sich 2020 im gleichen Ort mit dem Traditionshaus „Kulmeck“ selbstständig. Bereits im ersten Jahr wurde seinem Restaurant der begehrte Stern verliehen. 2022 gelang ihm der fulminante Sprung von Platz 23 auf Platz acht in der Volkenborn-Liste. Er gilt als exzellenter kulinarischer Künstler, der seine Gäste mit einer kombinatorischen Vielfalt aus Farben, Formen, Aromen und natürlich erstklassigen Produkten überrascht. Ebenfalls mit einem Stern ausgezeichnet wurde 2022 einmal mehr die „Gutsherrenküche“ (Rang zehn) im Gutshaus Stolpe. Das Gourmet-Restaurant ist zurzeit allerdings nicht geöffnet, weil sich der Küchenchef kurzfristig anderweitig orientiert hat.

Die anspruchsvolle zweite kulinarische Reihe

Darüber hinaus hat die kulinarische Szene des Landes zwischen Ostsee und Seenplatte Beachtliches zu bieten, das im Detail keinen Vergleich zu den Sternerestaurants zu scheuen braucht. So warten beispielsweise in Schwerin mit dem „Weinhaus Uhle“ (Platz neun; Holger Mootz und Ronny Bell) und dem „Cube by Mika“ (Mika Drouin) sowie dem „Belvedere“ (Christian Somann) in Heringsdorf Restaurants mit vorzüglicher Küche auf, die durchaus Sternepotenzial hat. Auch empfehlenswerte, hervorragend geschmacklich-kombinatorische Küche bieten Restaurants wie das „Jagdhaus“ (Alexander Ramm) und das „Kosi“ (Oliver Schols) in Heiligendamm, das „Räthro“ (Thorsten Räth) in Groß Nemerow bei Neubrandenburg oder das „Forsthaus Strelitz“ (Wenzel Pankratz) bei Neustrelitz.

Wer saisonale Frischeküche mit Raffinesse erleben möchte, dem wird in der „Landküche“ (Wilfried Glania-Brachmann) im Hotel de Weimar in Ludwigslust oder im „Wappen-Saal“ (Sabine Teubler) auf Burg Schlitz in Hohen Demzin bei Teterow im stilvollen Ambiente aufgetischt. Längst mehr als kulinarische Geheimtipps sind außerdem das „Kleine Meer“ (Hendrik Türk) in Waren (Müritz), das „Natürlich Büttners“ (Antje und Ines Büttner) in den Räumlichkeiten des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald, der „Fackelgarten“ (Sebastian Rauer) in Plau am See, das „Tenzo“ (Markus Sapion) in Triepkendorf bei Feldberg oder die „Schmiede 16“ (Björn von Appen) in Grambow bei Schwerin, wo sehr kreative Wildküche aufgetischt wird.

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