Die Dummheit des Jahres 2021

Im Januar hatte das Gleimhaus (Museum der deutschen Aufklärung) gebeten, Vorschläge für die Dummheit des Jahres 2021 einzureichen. Hintergrund der Idee war, im Sinne des Prinzips Aufklärung, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Zeit und auch dem eigenen Bewusstsein anzuregen. Wo bin ich / Wo sind wir? Welche Dummheiten sollten wir uns bewusst machen, damit sie nicht wieder geschehen? Über 70 Einsendungen aus ganz Deutschland folgten. Das Spektrum der Vorschläge war breit. Der Autor, Filmemacher sowie Ehrenbürger der Stadt Halberstadt Alexander Kluge war Juror. Die Entscheidung fiel für Vorschlag: Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol im Januar 2021. Hier zeigten sich Abgründe, wenn Menschen sich verirren, sich in Masse aufpeitschen lassen und Menschenleben gefährden. Als grotesk bezeichnete Alexander Kluge im Auswertungsgespräch die unflektierte historische Kostümierung derjenigen, die das Kapitol besetzen wollten, und bei ihrer Verkleidung sich an den dort hängenden Bildern zur amerikanischen Geschichte orientierten. „[Wir] sollten […] nachdenken, warum junge Leute sich kostümieren nach den Ölgemälden, die im Kapitol hängen, die die Frühzeit der USA beschreiben. Sie steigen quasi aus den Gemälden herab und erobern das Haus des Gesetzgebers. […] Das ist kein Kostümtumult, das ist kein Witz. Das sind die Abgründe der Dummheit.“ In seiner Tagebuchnotiz vom 6. Januar 2021 „Überfall auf eine Postkutsche aus der Zukunft“ hatte Alexander Kluge geschrieben: „Dass sie den Gemälden aus der Frühzeit der USA entstiegen seien, nur weil sie sich ähnlich kostümiert haben, ist dagegen eine Täuschung. Sie kommen nicht aus alter Zeit. Unruhig beseelt sind sie vom Jetzt.“ (Das Buch der Kommentar – Unruhiger Garten der Seele, 2021)

Die eingereichten Beiträge betrafen grundsätzliche Einstellungen, die als dumm zu bezeichnen sind (etwa die Annahme, in der Physik sei alles erforscht), vor allem aber aktuelle Themen wie die Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der CoronaPandemie, insbesondere die Realitätsleugnung, die grassierenden Verschwörungstheorien, die Impfgegnerschaft, aber auch die Impfbefürwortung. Ausbünde an Dummheit wurden auch in verschiedenen Diskursen, Debatten und politischen Entscheidungen des letzten Jahres ausgemacht. Insbesondere der Beschluss zum Atomausstieg wurde mehrfach als Dummheit genannt. Doch wurde im Gegenzug auch die Fortsetzung der Energiegewinnung durch Atomkraftwerke als dumm bezeichnet. Einige Vorschläge betreffen den menschlichen Umgang mit unserem Planeten. Nicht nur die Vernachlässigung des Klimaschutzes wurde als Dummheit genannt, sondern (aus finanziellen Gründen) auch dieser selbst. Mehrere Beiträge nannten aktuelle gendergerechte Sprachregelung „dumm“. Und auch einzelne Verhaltensweisen und Äußerungen verschiedener Politiker wie von Armin Laschet, Alice Weidel, Karl Lauterbach oder Friedrich Merz haben es auf die Vorschlagsliste gebracht. Das Gleimhaus wird am 3. März 2022 eine Diskussionsveranstaltung zu den verschiedenen Vorschlägen veranstalten.

Einige Vorschläge waren, teils unter direkter Bezugnahme auf den Namensgeber des Gleimhauses, den Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim, gereimt. Eine Prosaminiatur wurde eingereicht sowie auch zwei Vorschläge für Ausstellungen. Alexander Kluge war besonders fasziniert von der Vorschlagsidee „Lachen und Weinen“, seien doch hier grundsätzliche menschliche Empfindungen angesprochen. Die Vernunft allein reiche nicht aus, wenn es darum gehe, zu verstehen, wie Menschen und Gesellschaften Dummheiten begingen.

Bei der Auseinandersetzung mit den für ihn überaus interessanten Vorschlägen betonte Alexander Kluge, dass Dummheit nicht angeboren, vielmehr erworben sei und dass es wichtig sein, den Gründen von Dummheit und Irrtum nachzugehen: „Jeder Irrtum hat einen Grund. Es lohnt sehr, wenn man diesen Gründen nachspürt. Auch Dummheit ist nichts Absolutes. Es gibt die Pause im Denken, in der Aufmerksamkeit und sie hat oft einen guten Grund. Dann würde man eben nicht von Dummheit sprechen, sondern den Grund erforschen. Ich glaube nicht, dass Menschen irgendwann an sich dumm sind, das habe ich eigentlich in meinem Leben nicht in Erfahrung gebracht. Es ist immer eine erworbene Eigenschaft. Je zivilisierter die Frage ist, je abgehobener sie von der Praxis ist. Je mehr sie in der Verwaltung oder in den Medien entsteht, je dümmer kann sie werden. Wenn sie weit von der Seele weg ist als inmitten der Seele, und Seelen selber sind nicht dumm.“

 

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