Aktuelle Anforderungen an die Industrie, wie zum Beispiel hohe Ressourceneffizienz und individualisierte Teilefertigung, verlangen nach neuen Fertigungslösungen. Vor diesem Hintergrund wurde das Laser Powder Bed Fusion (LPBF) aufgrund seiner Prozesseigenschaften zu einem wichtigen Produktionsverfahren. Ein bedeutender Vorteil des LPBF-Verfahrens ist die Möglichkeit, Legierungen mit applikationsangepassten mechanischen Eigenschaften zu verarbeiten, die mit konventionellen Fertigungstechnologien nur schwer oder gar nicht verarbeitet werden können. Legierungen speziell entwickelt für die Verarbeitung mittels LPBF könnten zusätzlich die Prozesseigenschaften wie hohe Abkühlraten optimal und gewinnbringend ausnutzen und verbesserte Materialeigenschaften realisieren. Die Entwicklung dieser Legierungen aber ist zeit- und ressourcenaufwändig und das Potenzial des LPBF deshalb bisher nicht voll ausgeschöpft. In diesem Zusammenhang bieten die Prozesseigenschaften des Extremen Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen (EHLA) – etwa in-situ-Pulverzufuhr individueller Legierungen und LPBF-ähnliche Abkühlraten – vielversprechende Voraussetzungen, um dieses Verfahren zur schnellen und ressourcenschonenden Validierung und Entwicklung neuer Legierungen für das LPBF zu nutzen.
Gewusst wie: Vergleich zweier grundlegend unterschiedlicher AM-Prozesse
Die EHLA- und LPBF-Prozesse unterscheiden sich vor allem durch die Art der Pulverzufuhr und den Ort des Laserenergieeintrags (Laserspot): Im LPBF-Prozess wird das Pulver global in einer Pulverschicht aufgetragen und der Laserspot wird auf die Oberfläche der Pulverschicht fokussiert. Im EHLA-Prozess wird das Pulver lokal über einen Pulvermassenstrom, der durch eine Düse zugeführt wird, aufgetragen. Der Pulverfokus befindet sich etwas oberhalb der Beschichtungsoberfläche, ca. 1 mm. Dadurch können individuelle Legierungen gefördert und vor dem Auftrag in-situ separat gemischt werden.
Im Hinblick auf LPBF-Legierungsanforderungen sind applikationsangepasste mechanische Eigenschaften und eine verbesserte Materialverarbeitbarkeit von besonderem Interesse für Anwender aus der Industrie. Die mechanischen Eigenschaften ergeben sich aus den mikrostrukturellen Eigenschaften der Bauteile, die wiederum maßgeblich von der chemischen Zusammensetzung und der Abkühlrate beeinflusst werden. Die Aachener AM-Expert*innen identifizierten und untersuchten daher in einem ersten Schritt die relevanten EHLA- und LPBF-Prozessparameter, die die Abkühlrate und damit die resultierende Mikrostruktur beeinflussen. Außerdem übertrugen sie ihre Erkenntnisse auf die Fertigung von Proben aus hochmanganhaltigem Stahl X30Mn22. In einem letzten Schritt verglichen sie die Mikrostruktureigenschaften der Proben aus dem LPBF- und EHLA-Fertigungsprozess, um ihre Annahmen hinsichtlich der Prozessübertragbarkeit und damit der Qualifikation des EHLA-Verfahrens für die Legierungsentwicklung zu überprüfen.
Die Ergebnisse
Da die Intensität des Energieeintrags in das Pulvermaterial einen großen Einfluss auf die Abkühlrate hat, berechneten und verglichen die Wissenschaftler*innen die Wechselwirkungszeit zwischen Pulvermaterial und Laserstrahl sowie den Energieeintrag in das Material, d.h. die Laserintensität am Laserspot, für beide Verfahren: Unter Berücksichtigung der Parameter Laserleistung (PL) und Laserspotdurchmesser (Ø Spot) zeigt sich, dass die Laserintensität im LPBF-Verfahren fast 14-mal höher ist als im EHLA-Verfahren. Allerdings unterscheidet sich die Wechselwirkungszeit zwischen Material und Laserstrahl beider Verfahren um etwa den Faktor 10. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass sich die Auswirkungen der unterschiedlichen Laserintensitäten ausgleichen und zu einem ähnlichen Energieeintrag pro Partikel führen.
Darüber hinaus ermittelten die Forschenden den Einfluss der EHLA-Prozessgeschwindigkeit auf die Abkühlrate, indem sie die resultierenden Dendritenarmabstände (DAS) maßen. In einem zweiten Schritt verglichen sie diese DAS mit den DAS, die in LPBF-verarbeitetem Material gemessen wurden. Die Messungen ergaben, dass eine Erhöhung der EHLA-Prozessgeschwindigkeit von 50 auf 150 m/min zu einer Verringerung der DAS von 1,29 µm auf 0,58 µm führt. Daraus kann abgeleitet werden, dass auch die Abkühlrate im EHLA wesentlich von der Prozessgeschwindigkeit abhängt (siehe Bild 3 und 4).
Ein weiterer Faktor zur Untersuchung der Übertragbarkeit der Verfahren ist die resultierende Energievolumendichte (𝐸𝑣). Sie kann zum Vergleich der EHLA- und LPBF-Prozesseigenschaften Laserleistung, Scangeschwindigkeit und Pulvermassenstrom im Hinblick auf die Wärmebilanz verwendet werden. Die berechnete 𝐸𝑣 für LPBF ist etwa 2,3-mal größer als die 𝐸𝑣 für EHLA. Allerdings entspricht die berechnete 𝐸𝑣, LPBF nur einer Schmelzmenge von einer Schichtdicke. Da die tatsächliche Schmelztiefe beim LPBF-Verfahren das 2-3fache der Schichtdicke beträgt (siehe Bild 2), muss die 𝐸𝑣, LPBF entsprechend angepasst werden. Aus diesem Grund gehen die Forschenden davon aus, dass die Wärmebilanz bei beiden Verfahren ähnlich ist.
Weitere Untersuchungen zur unterschiedlichen Schmelzbadgeometrie und -größe beider Verfahren zeigen, dass die EHLA-Schmelzbadgeometrie eine 25-mal größere Fläche als die des LPBF aufweist – ein Ergebnis der unterschiedlichen Laserspotgrößen, die in beiden Verfahren verwendet werden. Darüber hinaus unterscheiden sich auch die Formen der Schmelzbäder: Im EHLA-Prozess ist das Schmelzbad im Vergleich zum LPBF-Schmelzbad eher flach (siehe Bild 2). Dies liegt vor allem an der Form des Energieeintrags der beiden Verfahren in das Material und der Wärmeabgabe aus dem Schmelzbad in das Substrat, bzw. die darunter liegenden Schichten. Im EHLA-Verfahren werden etwa 80 % der Energie von den Pulverpartikeln aufgenommen, die dann im geschmolzenen Zustand auf die Substratoberfläche auftreffen. Nur etwa 20 % der Energie werden von der Oberfläche absorbiert, so dass sie selbst nur zu einem geringen Teil aufgeschmolzen wird. Dies führt zu einem kleinen Schmelzfilm im Gegensatz zu einem veritablen Schmelzbad im LPBF, das die 2-3fache LPBF-Schichtdicke aufweist. Betrachtet man die Tiefe und Breite des Schmelzbades (d/w-Verhältnis), so liegt das d/w-Verhältnis für EHLA bei 0,37 und für LPBF bei 0,60. Dieses Ergebnis deutet auf unterschiedliche Schweißarten hin. Im EHLA-Prozess tritt demnach Wärmeleitungsschweißen auf, während es sich im LPBF-Prozess um Übergangsschweißen und, bei höherem Energieeintrag, möglicherweise um Tiefschweißen handelt. In diesem Zusammenhang werden die Aachener Forschenden die mechanischen Eigenschaften wie Mikrohärte, Zugfestigkeit und Duktilität untersuchen, um Aussagen über die Auswirkung dieser unterschiedlichen Schweißregime und die Übertragbarkeit der Prozesse treffen zu können.
Grundlegend anders, aber vielversprechend
In weiteren Untersuchungen sollen die chemischen Zusammensetzungen der mit EHLA und LPBF hergestellten Proben verglichen werden. Auch die EHLA-Prozessparameter wie Partikelgeschwindigkeit und Pulvermassenstrom werden hinsichtlich ihres Einflusses auf die chemischen Eigenschaften der resultierenden Proben untersucht. Darüber hinaus wird aufgrund des unterschiedlichen Energieeintrags das Verdampfungsverhalten der verschiedenen Legierungen untersucht und verglichen.
Die Mikrostruktur der hergestellten Proben ist bei beiden Verfahren dendritisch. Die gemessenen Dendritenarmabstände (DAS) sind ähnlich und können durch Anpassung der Prozessparameter, wie z. B. der Prozessgeschwindigkeit im EHLA, weiter angeglichen werden. Aus diesem Grund gehen die Aachener Forschenden davon aus, dass die resultierenden Mikrostrukturen und damit die mechanischen Eigenschaften von Proben, die mittels EHLA und LPBF gefertigt wurden, vergleichbar sind.
Die Ergebnisse hinsichtlich der mikrostrukturellen Eigenschaften deuten deshalb darauf hin, dass EHLA als fortschrittliches Werkzeug für die effiziente Entwicklung von Legierungen speziell für das LPBF geeignet ist.
Der Einsatz von EHLA zur Legierungsentwicklung für das LPBF und andere Technologien der Additiven Fertigung wird in Zukunft auch mithilfe einer 3D-EHLA-Anlage am Lehrstuhl DAP untersucht. Mit dieser können – im Gegensatz zu konventionellem EHLA – auch dreidimensionale Bauteile gefertigt werden. Zudem ist die Anlage maßgeschneidert für eine schnelle und ressourceneffiziente Legierungsentwicklung ausgelegt: neben der Möglichkeit, bis zu acht verschiedene Pulver gleichzeitig zu mischen, verfügt sie über eine umfangreiche Prozesssensorik und Materialanalytik zur Untersuchung der Wechselwirkungsprozesse zwischen Laserstrahl und Material und der anschließenden Materialcharakterisierung.
Diese Forschung wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der deutschen Exzellenzstrategie – EXC 2023 Internet der Produktion – 390621612 gefördert.
Mit der Berufung von Prof. Johannes Henrich Schleifenbaum wurde der Lehrstuhl Digital Additive Production DAP im August 2016 an der RWTH Aachen gegründet. Für ein nachhaltiges Morgen erforschen und entwickeln mittlerweile mehr als 120 motivierte und talentierte Mitarbeiter*innen in einem starken Netzwerk die Zukunft der Digitalisierung sowie der Additiven Fertigung (engl. Additive Manufacturing [AM]): Von der Digitalisierung und Vernetzung der Produktion über die Materialien und Fertigung bis hin zur Nachbearbeitung und Qualitätssicherung. Die Erkenntnisse dieser Forschungs-arbeiten bilden den Grundstein zur nachhaltigen Implementierung der Digitalisierung und Additiven Fertigung in das industrielle Umfeld.
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