Eine invasive Beatmung ist meistens unnötig und kann fatale Auswirkungen für die Patienten haben

In Kliniken, in denen anstelle des Sauerstoffgehalts des Blutes nur die Sauerstoffsättigung als Behandlungskriterium herangezogen wird, riskieren Patienten unnötigerweise intubiert und invasiv beatmet zu werden. Dabei ist eine nicht-invasive Beatmung über eine Mund-Nasen-Maske in den meisten Fällen völlig ausreichend, um die Atemgaswerte zu normalisieren. Zudem ist sie viel schonender, mit weniger Infektionsrisiken und mit einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden sowie mit mehr Lebensqualität sowohl während der Therapie als auch danach. Insbesondere für ältere Patienten empfiehlt es sich, in einer Patientenverfügung festzuhalten, was im Falle einer schweren COVIDLungenentzündung gewünscht wird, raten die Lungenärzte des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK).

Ausschlaggebend für die Beatmung eines Patienten mit Atemnot aufgrund eines Sauerstoffmangels im arteriellen Blut (Hypoxämie) ist der Sauerstoffgehalt seines Blutes. Nicht die Sauerstoffsättigung – das wird aber anscheinend oft verwechselt, was fatale Auswirkungen für die Patienten haben kann. Darauf weisen die Lungenärzte des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK) hin.

Hintergrund: So steht es seit 50 Jahren in den Lehrbüchern

Der Sauerstoffgehalt des Blutes ergibt sich aus der Menge an Hämoglobin (einem Blutbestandteil, der Sauerstoff transportiert) – also der sog. Hämoglobin-Konzentration – multipliziert mit dem Hämoglobin-Füllungsgrad (ein Hämoglobin kann maximal vier Sauerstoffteilchen binden) – der sog. Sauerstoffsättigung. Die Formel in den Lehrbüchern lautet: Sauerstoffgehalt = Hämoglobin-Konzentration X Sauerstoffsättigung des Hämoglobins

Sauerstoffgehalt ist nicht gleich Sauerstoffsättigung

Zentraler Parameter zur Intervention auf der Intensivstation ist der Sauerstoffgehalt des Blutes. „Trotzdem werden Therapieentscheidungen – wie z. B. für eine invasive Beatmung oder gar ECMO – anhand der Sauerstoffsättigung des Hämoglobins getroffen, die jedoch nur ein Teilprodukt des Blutsauerstoffgehaltes (siehe Formel oben) darstellt“, kritisiert Dr. med. Thomas Voshaar, Vorstandsvorsitzender des VPK und Chefarzt des Lungenzentrums am Krankenhaus Bethanien in Moers. Anscheinend wird der Sauerstoffgehalt des Blutes von einigen Medizinern inkorrekt mit Sauerstoffsättigung gleichgesetzt.

Die Gesamtmenge der Sauerstoffteilchen im Blut ist entscheidend!

Ein messbares Anzeichen bei einer Corona bedingten Lungenentzündung ist, dass die Sauerstoffsättigung abnimmt – die Hämoglobin-Teilchen sind also nicht mehr wie bei Gesunden zu 95 % mit Sauerstoff gesättigt, sondern z.B. nur noch zu 50 %. Das wird dann oft bereits als Alarmzeichen gedeutet, obwohl medizinisch gesehen noch gar kein Handlungsbedarf besteht. Angestrebt wird dann sogar eine Sauerstoffsättigung von über 90 %. Wenn hingegen aufgrund eines Blutmangels (Anämie) die Hämoglobin-Menge auf 50 % des Normalwertes absinkt, bleiben viele Intensivmediziner ganz entspannt, obwohl der Sauerstoffgehalt des Blutes – also die Gesamtmenge der Sauerstoffteilchen im Blut – in beiden Fällen gleichartig vermindert ist (s.a. Cicero online am 8.11.2021) „Es ist daher unbegreiflich, warum in vielen Kliniken diese beiden Größen – Sauerstoffsättigung (d.h. Hämoglobin-Füllungsgrad mit Sauerstoff) und Hämoglobin-Konzentration, die gemeinsam (miteinander multipliziert) den Sauerstoffgehalt des Blutes bestimmen – dennoch voneinander getrennt betrachtet und sogar unterschiedlich behandelt werden“, erläutert Dr. Voshaar.

Nicht-invasive Beatmung ausreichend und viel schonender

In Kliniken, in denen nur die Sauerstoffsättigung als Behandlungskriterium herangezogen wird, gelten Patienten mit einer Sauerstoffsättigung unter 90 % bereits als gefährdet und werden sogleich intubiert und invasiv beatmet, auch wenn die Kohlendioxidwerte im Blut normal, also noch nicht angestiegen sind. „Erst wenn die Atempumpe geschwächt ist, also der Kohlendioxidwert im Blut angestiegen ist, wird eine Beatmung erforderlich. Auch dann ist eine invasive Beatmung aber in den meisten Fällen unnötig, da die nicht-invasive Beatmung über eine Mund-Nasen-Maske sehr effektiv und völlig ausreichend ist, um die Atemgaswerte zu normalisieren. Zudem ist die nicht-invasive Beatmung schonender, mit weniger Infektionsrisiken und mit einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden sowie mit mehr Lebensqualität sowohl während der Therapie als auch danach. Zumal der Patient während der nicht-invasiven Beatmung bei Bewusstsein bleiben und selbstständig atmen kann und anschließend nicht wie nach einer langwierigen invasiven Beatmungstherapie zunächst vom Beatmungsgerät entwöhnt werden muss, was u.a. bedeutet, dass er Vorgänge wie das Atmen, Schlucken und Aufstehen erst wieder mühevoll erlernen muss“, erläutert Dr. Voshaar.

Medizinische Auswirkungen einer invasiven Beatmung sind oft fatal für die Patienten

Eine invasive Beatmung hat oft besonders fatale Auswirkungen für die Patienten: Zunächst muss der Patient für den mehrtägigen bis mehrwöchigen Anschluss an eine Beatmungsmaschine über einen in die Luftröhre integrierten Schlauch in ein künstliches Koma versetzt werden. Durch die Dauernarkose kommt es sehr häufig zu einem erheblichen Blutdruckabfall, dem medikamentös mit Adrenalin (Katecholaminen) entgegengewirkt werden muss. Um den gleichen Gasaustausch wie bei einer Spontanatmung zu erreichen, muss ein Drittel mehr Atemvolumen aufgewendet werden, das mit entsprechend höherem Druck in die Lunge gepresst werden muss. Höhere Beatmungsdrücke beeinträchtigen aber die Herzfunktion, den Blutkreislauf und die Nierenfunktion. Daher verschlechtert sich auch der Gasaustausch zusehends, so dass noch mehr Sauerstoff gegeben werden muss, um die Sauerstoffsättigung über 90 % zu bringen. Allerdings ist Sauerstoff in hohen Konzentrationen toxisch, wirkt also als Gewebegift, das ebenso wie die hohen Beatmungsdrucke das Lungengewebe schädigt.

Post-Covid-Syndrom könnte auch durch invasive Beatmungstherapien mit verursacht sein

Auf die Toxizität von zu viel Sauerstoff sind wahrscheinlich auch die Nerven- und Muskelentzündungen zurückzuführen, die nach längerer Intubation typischerweise auftreten. Eine Dauernarkose führt außerdem zu künstlich erzeugten Entzündungsherden, die das Immunsystem überfordern und die Immunabwehr entgleisen lassen können. „Überschießende Immunreaktionen bei schweren Covid-Verläufen können – wie man bei Obduktionen von an Covid Gestorbenen festgestellt hat – zum Absterben von Lungengewebe und Vernarbung (Fibrosierung) führen. Solche Lungenschäden könnten auch auf eine invasive Beatmung zurückzuführen sein. Stattdessen werden sie aber als Rechtfertigung dafür angeführt, dass sie eine langwierige invasive Beatmung oder sogar ECMO-Therapie erst erforderlich gemacht hätten! In diesem Teufelskreis an Behandlungsfehlentscheidungen erhöht sich aber nicht nur die Sterblichkeit der Patienten. Auch Langzeitauswirkungen wie das Post-Covid-Syndrom könnten möglicherweise durch eine invasive Beatmungstherapie mit verursacht worden sein. Daher wäre es für die Patienten besser, eine invasive Beatmung möglichst zu vermeiden. Insbesondere für ältere Patienten empfiehlt es sich, in einer Patientenverfügung festzuhalten, was im Falle einer schweren COVID-Lungenentzündung gewünscht wird. Hier kann man eindeutig festlegen, ob nach Ausschöpfung aller nicht-invasiven Verfahren gegebenenfalls auch noch eine invasive Beatmung oder ECMO gewünscht wird oder nicht. In jedem Fall müssen alle schwer erkrankten Patienten rechtzeitig und ehrlich aufgeklärt werden“, erklärt Dr. Voshaar.

Quelle: äin-red

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