Inflationswirkung des Strategiewechsels der EZB unter Finanzexperten umstritten

Finanzexpertinnen und Finanzexperten reagieren unterschiedlich auf die neue Strategie der Europäischen Zentralbank (EZB). So geben 49 Prozent der vom ZEW Mannheim Befragten an, der Strategiewechsel habe sie dazu bewogen, ihre mittelfristigen Inflationsprognosen für die Jahre 2021 bis 2023 nach oben zu korrigieren. Weitere 46 Prozent dagegen sagen, dass die neue Strategie ihre Prognose nicht beeinflusse. Fünf Prozent rechnen sogar mit einer Korrektur ihrer Inflationsprognose nach unten. Am 8. Juli 2021 hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre neue geldpolitische Strategie veröffentlicht. Die drei zentralen Elemente sind dabei ein symmetrisches Inflationsziel, das Einbeziehen selbst genutzten Wohneigentums bei der Inflationsmessung und die Berücksichtigung des Klimaschutzes in der Geldpolitik.

Klarer bewerten die Finanzexpertinnen und Finanzexperten hingegen den Klimaschutz-Auftrag, den die EZB sich mit der neuen Strategie gibt. Zwei Drittel der Befragten bezweifeln, die EZB könne mit reduzierten CO2-Emissionen zur EU-Klimapolitik beitragen – entgegen des darin formulierten Ziels. Vielmehr erschwere die Berücksichtigung von Klimaaspekten, das neue symmetrische Inflationsziel zu erreichen und EZB-Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit zu erklären. Das sind die Ergebnisse des ZEW-Finanzmarkttest August 2021, in dessen Rahmen 147 Finanzmarktexpert/-innen zur EZB-Strategie Auskunft gaben.

Inflation könnte mittelfristig steigen, Leitzins nur geringfügig

Unter den Finanzmarktexpertinnen und Finanzmarktexperten besteht noch große Unklarheit darüber, wie sich der Wechsel zu einem symmetrischen Inflationsziel mittelfristig auf die Inflation und die Leitzinsen auswirken wird. Demnach werden Abweichungen der Inflationsrate vom Zielwert zwei Prozent sowohl wie bisher nach oben als nun auch nach unten gleichermaßen als ungünstig eingeschätzt. Auf die Frage, wie sich der Wechsel zum symmetrischen Inflationsziel auf ihre Inflationsprognosen ausgewirkt hat, antworten nur rund 55 Prozent der Befragten. Diese Expertinnen und Experten beziffern den Einfluss der neuen EZB-Strategie auf die Inflationsrate im Euroraum für die Jahre 2021-2023 im Durchschnitt mit jeweils knapp plus 0,4 Prozentpunkten.

Wie die neue Strategie den Leitzins beeinflusst, quantifizieren rund 48 Prozent der Finanzmarktexperten/-innen. Nach ihrer Schätzung steigt der EZB-Hauptrefinanzierungssatz auf Sicht von sechs und 24 Monaten durchschnittlich um jeweils 0,1 Prozentpunkte. "Dem Leitzins prognostizieren die Finanzmarktexpertinnen und -experten durch die neue EZB-Strategie einen deutlich geringeren Anstieg als der Inflationsrate", erklärt Frank Brückbauer, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" und Co-Autor des ZEW-Finanzmarkttests. "In Summe erwarten die Befragten vom Wechsel zu einem symmetrischen Inflationsziel von zwei Prozent somit einen geringen, negativen Effekt auf die Realzinsen im Eurogebiet."

Wohneigentum erhöht gemessene Verbraucherpreise voraussichtlich leicht

Eine deutliche Mehrheit der Finanzmarktexpertinnen und Finanzmarktexperten sieht die Berücksichtigung von selbst genutzten Wohneigentums bei der Verbraucherpreismessung als einen moderaten, zukünftigen Inflationstreiber. Rund 70 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Veränderung der Zusammensetzung des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) die gemessene Inflation leicht erhöhen werde. Weitere 11 Prozent der Expertinnen und Experten erwarten sogar eine deutliche Erhöhung des Maßes für Verbraucherpreise. Während rund 14 Prozent der Befragten schätzen, die Veränderung entfalte keinen Einfluss auf den HVPI, prognostizieren sechs Prozent ein leichtes bzw. deutliches Absinken.

Berücksichtigung von Klimaschutz könnte Inflationsziel gefährden

Die EZB will bei ihrer Geldpolitik zudem Klimaschutzaspekte in Zukunft stärker berücksichtigen. Etwa 51 Prozent der Befragten rechnen damit, dass sich dadurch das Inflationsziel von zwei Prozent schwerer erreichen lassen dürfte. 43 Prozent gehen hier von keiner nennenswerten Änderung aus.

"Das Verbinden von Geldpolitik mit Klimaschutz sorgt zwar für ein besseres Risikomanagement und wird damit der aktuellen Marktsituation gerecht. Doch könnte es der EZB durch das Vermischen verschiedener Politikziele schwerer fallen, ihre Entscheidungen zu erklären", sagt Dr. Michael Schröder, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" und Co-Autor des ZEW-Finanzmarkttests. Dass die Kommunikation der EZB durch Klimaerwägungen an Transparenz verlieren könnte, vermuten 44 Prozent der befragten Finanzexperten/-innen. Die knappe Mehrheit von rund 47 Prozent traut der EZB allerdings zu, diese Aufgabe gut zu bewältigen. Weitere 9,1 Prozent der Befragten rechnen sogar mit einer erhöhten Transparenz in der Kommunikation, wenn die EZB Klimaschutz offiziell berücksichtigt.

Neue EZB-Strategie ändert wenig an CO2-Emissionen

Ob die EZB tatsächlich zum EU-Klimaschutz beitragen kann, zieht die Mehrheit der Befragten allerdings in Zweifel. "Es überrascht, dass zwei Drittel der Befragten der EZB nicht zutrauen, den EU-Klimaschutz zu verändern", sagt Schröder weiter. 29 Prozent der Finanzexpertinnen und Finanzexperten schätzen jedoch, es gelinge der EZB, die EU bei ihrer Klimapolitik zu unterstützen. "Insgesamt zeigen die stark auseinandergehenden Antworten bei unserer Befragung, dass die Unsicherheit im Markt hinsichtlich der Effekte der Strategieänderung der EZB derzeit noch groß ist."

Über ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim

Das ZEW in Mannheim forscht im Bereich der angewandten und politikorientierten Wirtschaftswissenschaften und stellt der nationalen und internationalen Forschung bedeutende Datensätze zur Verfügung. Das Institut unterstützt durch fundierte Beratung Politik, Unternehmen und Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene bei der Bewältigung wirtschaftspolitischer Herausforderungen. Zentrale Forschungsfrage des ZEW ist, wie Märkte und Institutionen gestaltet sein müssen, um eine nachhaltige und effiziente wirtschaftliche Entwicklung der wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften zu ermöglichen. Durch gezielten Wissenstransfer und Weiterbildung begleitet das ZEW wirtschaftliche Veränderungsprozesse. Das ZEW wurde 1991 gegründet. Es ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Derzeit arbeiten am ZEW Mannheim rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen rund zwei Drittel wissenschaftlich tätig sind.

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