Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hatte bereits am 26. März 2020 in einem spektakulären Urteil die Rechte von Verbraucherinnen massiv gestärkt und nebenbei per Urteil das gesamte deutsche Verbraucherkreditrecht auf den Kopf gestellt (EuGH Urteil v. 26.03.2020, Az. C-66/19). Die EuGH-Richter entschieden, dass die meisten deutschen Kreditverträge die sich aus EU-Recht ergebenden Voraussetzungen nicht erfüllen. Insbesondere die Informationen zum Beginn der Widerrufsfrist würden in den meisten Verträgen auf ein Labyrinth von Paragrafen verweisen (sog. Kaskadenverweis), was nicht den Anforderungen an Klarheit und Prägnanz genüge. Das Resultat der unzureichenden Widerrufsinformation: Die Widerrufsfrist hat nie zu laufen begonnen, so dass Millionen Verträge, die zwischen Juni 2010 und heute abgeschlossen wurden, noch heute widerrufen werden können.
Am 9. September nun wird ein weiteres wichtiges EuGH-Urteil mit großer Spannung erwartet (Rechtssachen C-33/20, C-155/20 und C-187/20). Angestoßen wurde das Verfahren vom Landgericht (LG) Ravensburg. Thema des aktuellen Rechtsstreits sind fehlende Pflichtangaben zum Verzugszins in Verbraucherdarlehensverträgen. Im Verfahren geht es um drei Autokreditverträge die bei der Volkswagen-, Skoda- sowie BMW-Bank abgeschlossen wurden. Geklagt hatte unter anderem ein Autokäufer, der 2015 einen Kredit in Höhe von über 10.000€ aufnahm und diesen 2019 noch widerrufen wollte.
Rechtsanwalt Christian Solmecke erklärt: „Im juristischen Fachjargon spricht man insoweit auch vom Vorabentscheidungsersuchen. Mit einem derartigen Vorgehen fuhr das LG Ravensburg zuletzt beinahe regelmäßig dem BGH in die Parade. Der Grund hierfür: Der BGH weigert sich in konstanter Beharrlichkeit, die bei ihm anhängigen Verfahren auszusetzen und sie selbst dem EuGH vorzulegen. Gebetsmühlenartig führte der BGH aus, dass für die von dem LG Ravensburg aufgeworfenen Rechtsfragen für vernünftige Zweifel kein Raum bleibe. Dadurch, dass die Ravensburger Richter immer und immer wieder den EuGH anrufen, zeigen sie nicht nur in erstaunlicher Offenheit, dass sie der bankenfreundlichen Rechtsprechung des BGH kritisch gegenüberstehen. Zugleich muss sich der BGH erneut dem kritischen und deutlich verbraucherfreundlicheren Auge aus Luxemburg stellen. Und Luxemburg scheint schon mit den Hufen zu scharren.“
Solmecke weiter: „Auch Darlehensverträge, die nicht unter einer unzureichenden Widerrufsbelehrung leiden, könnten so demnächst widerrufbar sein. Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen jedenfalls zu dem Ergebnis, dass die Angaben zu Verzugszinsen in den umstrittenen Darlehensverträgen nicht den europäischen Ansprüchen an die Pflichtangaben genügen. Den vom Generalanwalt aufgestellten Anforderungen zu einzelnen Pflichtangaben in Verbraucherdarlehensverträgen kann auch kein mir bekanntes Darlehensvertragsmuster standhalten. Für die Praxis hätte dieses Urteil dann eine explosionsartige Schlagkraft. Es wären dann auch außerhalb des Autokredits nahezu alle Verbraucherdarlehensverträge widerrufbar, weil durch fehlende Pflichtangaben die Widerrufsfrist nie zu laufen beginnt. Zahlreiche Darlehensverträge könnten dann aufgelöst und neue zu momentanen Niedrigzinsen geschlossen werden. Bei einer Autofinanzierung kann die Ersparnis für eine Familie schnell sehr viel Geld bedeuten. Das heißt für Darlehensnehmer: Raten zurück oder Umschuldung auf günstigere Niedrigzins-Verträge.
Seit der EuGH-Entscheidung aus dem Vorjahr haben schon zehntausende Verbraucher von ihrem Recht Gebrauch gemacht und ihre Darlehensverträge widerrufen. Das nun erwartete Urteil sollte besonders Verbrauchern Mut und Hoffnung machen, die bislang noch einen Widerruf ihres Kreditvertrages gescheut haben. Kurz nach dem Urteil des EuGH aus dem letzten Jahr hatte der BGH die Ansprüche der Verbraucher auf ein Minimum beschränkt und verweigerte in der Folgezeit auch weitere Rechtsfragen auf europäischer Ebene vorzulegen. Nun hat aber das LG Ravensburg dem EuGH eine wichtige Rechtsfrage vorgelegt und diese könnte durch das erwartete Urteil dazu führen, dass bald ein noch größeres Spektrum an Darlehensverträgen widerrufbar ist. Für Verbraucher wäre das ein weiterer wichtiger Erfolg und für den BGH eine klare Ansage vom EuGH!“
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Neben seiner Kanzleitätigkeit ist Christian Solmecke auch Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Kommunikation und Recht im Internet (DIKRI) an der Cologne Business School (http://www.dikri.de). Dort beschäftigt er sich insbesondere mit den Rechtsfragen in Sozialen Netzen. Vor seiner Tätigkeit als Anwalt arbeitete Solmecke mehrere Jahre als Journalist für den Westdeutschen Rundfunk und andere Medien.
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