Ein Adelsspross, bittere Ereignisse und späte Ermittlungen im Dunkelfeld der eigenen Seele – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Ja, diesen heutigen Newsletter könnte man mit Fug und Reg als ein Wolfgang-Schreyer-Festival bezeichnen. Denn alle fünf aktuellen Sonderangebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 02.07. 21 – Freitag, 09.07. 21) zu haben sind, stammen von einem der populärsten Autoren der DDR-Spannungsliteratur, der vor nunmehr vier Jahren, kurz vor seinem 90. Geburtstag im November 2017, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende gesetzt hatte.

Im Jahr vor seinem Tode hatte Schreyer noch einmal mit neuen Texten überrascht – „Zu guter Letzt. Erinnerungen, Erzählungen, Essays“.

Mit „Der Verlust oder Die Abenteuer des Uwe Reuss“ beschließt der Autor seine Uwe-Reuss-Trilogie – eines Helden wider Willen.

In „Der Leuchtturm“ lässt Schreyer seinen Ex-Kriminalisten Christian Wendt noch ein paar offene Fragen klären – unter anderem an sich selbst. Sogar Egon Krenz kommt in dem Buch vor. Und ein nachdenkliches, anerkennendes Wort für den Kurzzeit-Partei-und-Staatschef.

Ein alter Spionagefall und überraschende Recherche-Ergebnisse stehen im Zentrum des Schreyer-Romans „Der Feind im Haus“.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Die heutige Leseempfehlung präsentiert einige aufschlussreiche Blicke hinter die Kulissen von Politik, Medien, Kunst und Kultur und nicht zuletzt hinter die Kulissen des Weltgeschäfts. Und leistet somit eine ebenso informative wie spannende Aufklärung darüber, wie es hinter den Kulissen so läuft und lässt entweder hoffen oder heulen oder auch beides …

Erstmals 2010 veröffentlichte Wolfgang Schreyer im Verlag Das Neue Berlin einen Band mit Erzählungen unter dem Titel „Die Verführung“: Klug plant Edna, die Hollywood-Agentin, das Comeback ihres B-Film-Stars: Sie managt seinen Wechsel in die Landespolitik. Im 13. Stock des New Yorker Hotels zieht es Prinz, den Frontmann des Damenjournals, magisch in die Venusfalle. Ein starker US-Präsident sieht in anfliegenden Raketen das klare Ziel für den Gegenschlag. Der kalifornische Nervenarzt Miguel flieht nach einer tragischen Fehldiagnose vor der Asphaltpresse und wähnt sich von einer Reporterin verfolgt. Die Kunststudentin erliegt dem Werben eines reichen Mannes und wird zur geplagten Ehefrau. Kurz vor der Hochzeit treibt beruflicher Ehrgeiz Anne und Tony, Konfliktforscher aus Washington, auf die Karibikinsel Grand Cayman; aber was wird da aus ihrer Liebe? Aus sechs Skizzen entsteht so ein Zeitbild, authentisch und fesselnd erzählt, bis der Kreis sich um Filmindustrie, Wissenschaft, Medien und Weltgeschäft schließt. Hier ein Textauszug, in dem es um Reaktionen auf einen Raketenanflug geht – auf die USA:

Der Schlagabtausch

(zuerst veröffentlicht 1985 in der Zeitschrift „Magazin“)

Als der Außenminister, durch Blitzruf verständigt, das Souterrain des Weißen Hauses betrat, fand er neun Männer vor. Im Lagezentrum erwarteten ihn der Geheimdienstdirektor, die drei Sonderberater des Präsidenten, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs mit den Vertretern von Army, Navy und Air Force, sowie sein eigener Hauptwidersacher, der Verteidigungsminister. Eben schob man die Karibik-Karten mit den Inseln Cuba und Grenada weg, um einen Plan der Antarktis zu entrollen. Es war sechs Minuten nach Mitternacht.

An der fensterlosen Wand voller elektronischer Display-Schirme schimmerte ein Bild des Südostpazifiks auf. Daneben leuchtete es hellgrün, das Luftverteidigungskommando in Colorado hatte gerade Alarmstufe 9 (Apple Jack – Apfelschnaps) gegeben. Der Launch-Zähler stand auf 001; er addierte die Starts sowjetischer Raketen. Das war beruhigend, ein Routinefall also. Es schien sich um einen Testschuss der Russen zu handeln.

Der Außenminister, selber Viersterne-General, sah gleich, was anlag. „Wo ist der Präsident?“, fragte er. „Wer alarmiert den Krisenstab wegen einer lausigen Rakete irgendwo am Südpol?“

„Der Präsident schläft, er hat sich mit Grippe hingelegt“, antwortete der Verteidigungsminister. „Das Krisenmanagement ist in Kraft. Da der Vizepräsident im Ausland ist, habe ich das Exekutivkomitee des Nationalen Sicherheitsrats einberufen.“

„Bitte, mit welchem Recht?“

„Bei Nichtverfügbarkeit des Präsidenten und seines Vize geht die Entscheidung auf mich über.“

„Irrtum“, sagte der Außenminister. „Das Präsidenten- Nachfolgegesetz in der gültigen Form vom Oktober sechsundsechzig billigt Ihnen nur Rang sechs zu: nach dem Vize, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, dem amtierenden Senatspräsidenten, dem Außenminister und dem Finanzminister. Tut mir leid, so ist das nun mal.“

„Es geht nicht um Nachfolge, sondern um das militärische Verfügungsrecht! Da liegt aktuell, im konkreten Fall, die Befehlsgewalt bei mir.“

„Bei Ihnen? Gehen Sie mal nach Hause, Junge, und lesen Sie in der Verfassung nach!“

Der Farbklecks neben dem Launch-Zähler wurde grüngelb (Lemon Juice – Zitronensaft), und der Sicherheitsberater rief: „Meine Herren, Alarmstufe acht! Sollten wir uns nicht dem Flugobjekt widmen?“

„Es steht, westlich von Südchile und nähert sich dem vierzigsten Breitengrad“, bemerkte der Vorsitzende der Stabschefs, den Zeigestab in der Hand. „Kurs Nord, fast auf dem Längengrad Chicagos.“

„Will denn niemand den Präsidenten verständigen?“

Der CIA-Direktor wiegte den Kopf. „Er könnte nicht mehr tun als sich Sorgen machen. Haben wir ihn geweckt, als Ghaddafi frech geworden ist? Wir haben dessen MiGs aus eigenem Entschluss vom Himmel gefegt.“

Der Außenminister starrte ihn an, damit er schrumpfe unter der Härte des Blicks. Sie mochten sich nicht, fast alle hier waren eifersüchtig aufeinander, wie das so ist bei Hofe; jeder wollte den anderen ausstechen in der Gunst von Nummer eins. Und natürlich wuchs das Gewicht der Berater in dem Maße, in dem der Präsident selbst sich zurückzog … „Wieviel Zeit bleibt noch?“

„In achtzehn Minuten ist sie über New Orleans“, erwiderte jener Luftwaffenoberst, der auf dem Bildschirm den Kurs markierte.“

„Der Präsident hat erklärt, es sei gestohlene Entscheidungszeit, ihn in den ersten drei Minuten eines Atomalarms nicht zu wecken.“´ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters – ebenfalls von Wolfgang Schreyer.

Erstmals 2016 erschien im BS Verlag Rostock „Zu guter Letzt. Erinnerungen, Erzählungen, Essays“ von Wolfgang Schreyer: Wolfgang Schreyer, Jahrgang 1927, einer der populärsten Autoren spannender Gegenwartsliteratur in der DDR, legte kurz vor seinem 90. Geburtstag einen Band mit neuen Texten vor. Unter dem Titel „Zu guter Letzt – Erinnerungen, Erzählungen und Essays“ sind fiktive Erzählungen und journalistische Betrachtungen versammelt, etwa zum deutschen Literaturbetrieb, sowie Essays zum Spannungsfeld von Anpassung, Opportunismus und Zensur – damals wie heute. Immer aus der eigenen Biografie schöpfend, schrieb Schreyer so lesbar, geistreich und ironisch, wie seine Leser es von ihm gewohnt sind. Im folgenden Text-Auszug setzte sich Schreyer mit dem Thema Literatur und Geheimdienste auseinander und berichtet über sein Verhältnis zu zwei anderen Schriftstellern:

Drei Mann in einem Boot?

Anfang der 90er Jahre traf ich auf der Leipziger Buchmesse meinen gleichaltrigen Kollegen Harry Thürk. Dank der drei bis vier Millionen Bücher, die es auf Deutsch von jedem gab, galten wir als zwei der erfolgreichsten DDR-Autoren und schätzten einander seit unseren Kriegsbüchern, erschienen 1954 und 1958; auch hatten wir in Prag wie in Moskau denselben Übersetzer. Thürks „Stunde der toten Augen“ hatte ich gegen Kritiker verteidigt, die ihm vorwarfen, er neige zu Hemingways harter Schreibweise, dem „hard boiled style“. Ohne befreundet zu sein, blieb unser Umgang stets entspannt. Seine Stoffe lagen in Fernost, war er doch von 1956-58 Redakteur in Peking gewesen und sprach sogar chinesisch; mich hatte es eher in die Karibik oder in die USA gelockt.

Und nun klagte er mir, der SPIEGEL habe ihn jüngst zum „Konsalik des Ostens“ erklärt. Dieses Los teilte ich mit ihm, genau dasselbe war mir passiert. Bald nach dem Mauerfall hatte ein SPIEGEL-Reporter namens Matussek unsere Kulturszene durchforscht und dabei nicht nur u. a. das Theater in Anklam geschmäht, sondern auch mich, und zwar als „Konsalik der SED“. Welch ein Etikett! „Simmel der DDR“, das hätte mir noch gepasst; stand ich doch mit dem drei Jahre älteren Wiener Johannes Mario Simmel längst in Gedanken- und Bücheraustausch. Aber Konsalik – mit ihm in einem Boot?

Ach, das wurmte uns, obwohl wir von Konsaliks Texten kein Wort kannten – nur die Urteile dazu in Literaturzeitschriften und Fachlexika. Das Schriftsteller-Lexikon des Bibliographischen Instituts Leipzig von 1988 etwa ignorierte ihn gänzlich. Während es den Erfolgsautor Hans Helmut Kirst („08/15 in der Kaserne“) noch halbwegs gelten ließ, schwieg es Heinz G. Konsalik einfach tot. Die 1972er Ausgabe desselben Werks hatte ihn zwar noch erwähnt, doch unter das Stichwort „Dwinger, Edwin Erich“ verbannt, zusammen mit jenen Verfassern „antibolschewistischer Machwerke“, die, wie es dort hieß, „von reaktionären westdeutschen Kreisen stark geförderte „literarische Bewältigung der deutschen Vergangenheit“ betrieben. So schrecke Konsaliks Roman „Der Arzt von Stalingrad“ (2 Millionen Stück seit 1958, auch verfilmt) vor keiner Verzerrung der Tatsachen zurück.

Und weiter teilte das Lexikon mit: „H. G. Konsalik (eigtl. Autorenteam unter der Leitung von Heinz Günther, dem noch Benno von Marroth und Günter Hein angehören)“ stehe Leuten wie Josef Martin Bauer nahe, dessen Roman „So weit die Füße tragen“ selbst westdeutsche Blätter als Propaganda gegen Russland empfunden hätten: „Eine von Primitivität wie Verleumdungen strotzende Schilderung der Flucht eines deutschen Kriegsverbrechers aus einem Gefangenenlager am sibirischen Ostkap; das Buch wurde bereits dreimal als mehrteiliger Fernsehfilm gesendet.“

Derweil habe Konsalik „sich zu einem der massenwirksamsten Schriftsteller in Westdeutschland entwickelt.“ All seine Bestseller, „meist in faschistischem Frontjargon“, seien „gemeingefährlicher Kitsch, der dem Leser einträufeln soll, wie tüchtig und unbesiegbar die Deutschen wären und dass der Krieg ein mystisches Geschehen sei …“ Ja, damit stand Konsalik exakt in der Tradition Dwingers, dessen Trilogie „Die deutsche Passion“ in gut zwei Millionen Exemplaren verbreitet war. Den Endband „Zwischen Weiß und Rot“ kannte ich aus dem Bücherschrank meiner Eltern.

Dies im Sinn, fanden wir am Messestand des Heyne Verlags, zum 70. Geburtstag Konsaliks präsentiert, „seine zwölf besten Romane als Jubiläumsausgabe“ – schmucke Taschenbücher zum Aktionspreis von 8 DM. Thürk schlug eins davon auf, es hieß „Alarm! Das Weiberschiff“ und spielte auf einem Atom-U-Boot der USA, das nach endloser Tauchfahrt im Eismeer fünf hübsche Mädchen halberfroren rettet … Zwecks Heilung muss man sie flink entkleiden. – „Welch ein Weib“, las mir Thürk vor, „mit hohen Brüsten, schlanken Hüften, langen Beinen und einem braunen Kräuselpelz zwischen den Schenkeln. Und diese ganze verdammte Schönheit ging vor ihm her, mit zuckenden Hinterbacken und sanft schwingenden Brustwarzen …“

„Faszinierend banal“, sagte ich; „aber Millionen fliegen darauf.“

„Und so viele Fliegen können sich nicht irren“, ätzte er. Ja, wir waren sauer auf Konsalik, weil Vielschreiber wie er es mit ihren kapitalstarken Verlegern schafften, uns aus dem Buchmarkt zu drängen, der jetzt täglich 250 Titel neu anbot; vor dem Mauerfall waren es hier nur zwei Dutzend gewesen.

Bevor Harry Thürk, an den Spätfolgen des über Vietnam versprühten US-Entlaubungsgifts leidend, Ende November 2005 verstarb, sechs Jahre nach Heinz G. Konsalik, wies er mich noch auf dessen Roman „Manöver im Herbst“ hin. Schon das Motto ließ aufmerken. „Allen Deutschen“, hieß es da, „die aus zwei Weltkriegen, zwei Geldentwertungen, zwei totalen Zusammenbrüchen und über 50 Millionen Kriegstoten noch nichts gelernt haben, mit Beklemmung gewidmet“.

Das Buch schildert den Lebenslauf eines Berufssoldaten von 1913 bis in die Ära Adenauer. Der Held bringt es vom kaiserlichen Fähnrich bis zum Oberstleutnant der großdeutschen Wehrmacht; zuletzt ist er Textillieferant der Bundeswehr. Restlos karrierefixiert, bewahrt er starr die apolitisch staatstreue rein militärische Haltung. Mir bewies dieser Text, der Mann konnte schreiben, und er war schon früh über jene deutschnationale Sicht hinausgelangt, die er mit Dwinger und dessen Epigonen doch zu teilen schien.

Rätselhaft? Heute findet man bei Google dazu, der Roman habe ein „vergleichsweise geringes Publikumsinteresse gefunden“ und sich „bisher am schlechtesten verkauft. Schon ein Vorabdruck, der 1960/61 in der ‚Frankfurter Illustrierten‘ erschienen war, sei – so Konsalik – hinter den Auflagenerwartungen zurückgeblieben.“ Das Buch nehme im Gesamtwerk eine Sonderstellung ein, inhaltlich wie auch stilistisch. „Erst die allgemeine ‚Konsalik-Welle‘, die 1978/79 einsetzte, trieb auch die Auflage dieses Romans bis Ende 1984 auf über 400.000 Exemplare.“

Bei Wikipedia erfährt man, Konsalik – der eigentlich Heinz Günther hieß – „sage über seine zur Trivialliteratur zählenden Werke selbst: ,Ich schreibe nur für meine Leser, ich bin Volksschriftsteller‘ … Ab 1939 war er bei der Gestapo tätig. Im Zweiten Weltkrieg wurde er dann Kriegsberichterstatter in Frankreich und kam als Soldat später an die Ostfront, wo er in Russland schwer verwundet wurde.“ Als kommerziell erfolgreichster deutscher Autor veröffentlichte er bis zu seinem Tode fast 160 Romane mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren.

Vier Bücher pro Jahr, in schwankender Qualität, das nährte den Verdacht, dahinter stehe ein Team, das gängige Label „Konsalik“ marktkonform nutzend. Dem aber widersprach der Autor, gründlich interviewt vom PLAYBOY, im Septemberheft 1982 der Münchner Zeitschrift. Glaubhaft beschrieb er sich dort als arbeitswütig, gedrängt von unbändiger Schreiblust, frei von Schaffenskrisen und ohne ein anderes Hobby als das Fabulieren. Er folge strikt seinen Erinnerungen, und auch da, wo er Grausames schildere, erfinde er nichts – bis auf all die traumhaften Frauen. Übrigens sei er „immun gegen jegliche Literaturkritik. Diese Leute ärgern sich, weil ich die hohen Auflagen habe, die sie anderen wünschen und die diese niemals bekommen … Mich zu beleidigen, ist noch keinem gelungen.“

Er schreibe, um die Leute auf andere Gedanken zu bringen: „Ich will unterhalten, den Menschen für ein paar Stunden Freude geben, indem ich sie aus dem grauen Alltag entführe, in eine Wunschwelt.“ Am liebsten seien ihm die Russland-Romane. Als literarisches Vorbild gelte ihm Scholochow, selbst wenn er den nie erreichen werde; schon gar nicht Tolstoi oder Turgenjew. Die hätten, verglichen mit ihm, bloß deshalb so wenig verfasst, weil sie noch mit der Feder schrieben. Er tippe stets gleich in die Schreibmaschine, deshalb gehe es so schnell bei ihm.

Bleibt der Fakt seiner Gestapo-Verquickung – nirgends erläutert und in Westdeutschland nach der kurzen „Entnazifizierung“ auch kaum noch von Gewicht.

Kein Vergleich mit dem Stasi-Hype ab 1990; nie spielten Gestapo-Akten dort je eine Rolle. Die Fachkompetenz arg NS-belasteter Beamter und Offiziere brachte der frühen Bundesrepublik ja einen erheblichen Startvorteil gegenüber der DDR; die wurde von zuvor ganz staatsfernen Personen aufgebaut, denen es bei proletarischer Herkunft oft an höherer Schulbildung fehlte.

Im Übrigen scheint mir, der Kontakt zum eigenen Geheimdienst muss keinen Autor beflecken, sofern er für den nicht spitzelt, sondern ihn selbst als Quelle nutzt. Das ist legitim, es gilt auch für Harry Thürk. Der Stoff für sein Filmdrehbuch „For eyes only“ wie auch für den Dissidenten-Roman „Der Gaukler“ dürfte vom MfS gekommen sein. (Thürk focht da gegen kein Phantom. Heute weiß man, Washington war und ist bestrebt, Widersprüche in der Kulturszene geopolitischer Feinde anzuheizen, ob via CIA oder durch Mäzene, scheinbar unabhängige Institute und auch Stiftungen: die dezentere Form der Einflussnahme.) Ohnehin liefern Regierungsstellen gern manchem Autor gezielt Informationen, um das Publikum zu beeinflussen.

Dem diente auch die DDR-Fernsehreihe „Das unsichtbare Visier“, in der ein so namhafter Darsteller wie Armin Mueller-Stahl als Abwehrmann das Wirken der Stasi dem Publikum nahebrachte. Selber habe ich zweimal versucht, diese Quelle anzuzapfen, so wie es mir bei der Kriminalpolizei öfter geglückt war – bin jedoch nach Aktenlage als politisch unbequem abgeblitzt: schon anno 1956 in Berlin beim Chef der Abteilung Agitation des MfS Oberst Gustav Borrmann, und zehn Jahre später bei Major Kammler, dem Leiter der Abteilung XX der Bezirksverwaltung Magdeburg.

In stabilen Demokratien wird der eigene Geheimdienst durchweg positiv gesehen, der Umgang mit ihm wirkte – jedenfalls bis zu all den Enthüllungen à la Snowden – ganz seriös. Das waren ja stets die Guten. Da griff z. B. Graham Greene, zeitweilig auch mein Vorbild, in Büchern wie „Unser Mann in Havanna“ oder „Der menschliche Faktor“ auf seine Erfahrungen im Dienst der Krone zurück. Während dem „007“-Schöpfer Ian Fleming sein kurzer Draht zum MI6 mehr Realismus für all die Bond-Storys hätte bringen können, wäre der denn gewünscht worden. Doch es reichte ihm halt, knallharte Auslandseinsätze des britischen Geheimdienstes amüsant darzubieten.

Fraglich bleibt, wie Heinz G. Konsalik selbst den Vergleich mit Thürk und Schreyer empfand, den ein Leitmedium da immerhin zweimal zog. Gewiss sah er sich mit uns durchaus nicht in einem Boot, weder geistig noch geldlich. Es gab von ihm dreimal so viele Titel wie von uns beiden zusammen, und die waren – für ein viermal größeres deutschsprachiges Publikum – in zehnfach höherer Auflage erschienen. Auch hatte er uns Jahre an Kriegserfahrung, dazu noch die noble Herkunft nebst akademischer Bildung voraus. Das Lexikon WER IST WER erwähnt im Band 1992/93 sein Studium der Theaterwissenschaften, Germanistik sowie Literaturgeschichte in Köln, München und Wien. Dazu nennt es ihn den „letzten Spross eines uralten sächsischen Geschlechts, der Freiherren v. Günther, Ritter zu Augustusburg“; erst unter Kaiser Wilhelm II. habe dieses seinen Adel abgelegt.“

Erstmals 2001 veröffentlichte Wolfgang Schreyer im BS-Verlag Rostock „Der Verlust oder Die Abenteuer des Uwe Reuss“: KARIBIK, 1984 und 1986: Schwungvoll beginnt Uwe Reuss mit Linda, seiner nächsten Partnerin, ein neues Leben. Sie fassen Fuß auf Navassa und betreiben dort ein Feriendorf. Bis es ihnen dämmert, dass dies nur fremde Interessen deckt: US-Rauschgift-Bekämpfer, internationale Drogenhändler, übermächtige Finanzjongleure oder Waffenschieber? Da bleibt nur rascher Rückzug auf die friedliche Insel Grand Turk. Doch dem Spiel der Gewalten hält auch diese Ausweich-Existenz am Ende nicht stand. Wieder zieht die tragische Gestalt des Kubaners Sergio Figueras das Paar in den Strudel bitterer Ereignisse. Nach seiner „Suche“ und dem „Fund“ setzt Wolfgang Schreyer mit „Der Verlust“ den Abenteuern des Uwe Reuss, dieses Helden wider Willen, ein verblüffendes Ende. Aber hier erstmal der Beginn des zweiten Kapitels:

„Sergio konnte es kaum fassen, dass ich sein Schiff nicht sehen wollte“, sagte Reuss zu Linda Prout.

„Und, weshalb hast du verzichtet?“

„Ehrlich, ich weiß es nicht. Vermutlich wäre ich vor Neid erstickt. Schon der Rumpf lässt das Tempo ahnen, die Angriffslust, mit seinen Linien, die zum Bugspriet ansteigen. Wie der Kopf eines Schwertfischs, weißt du?“

„Das klingt aber recht schwärmerisch.“

„Nein, mir lag nichts daran“, fuhr Reuss über einer Karte der Windward Passage fort, die er mitgebracht hatte. „Wozu Wasserhähne aus purem Gold bestaunen, versenkbare Wände und Betten, die sich auf Knopfdruck soweit unter dir heben, dass du nicht aufstehen musst, um das Meer zu sehen. Barbarisch! Sündhafter Überfluss …“ Er tippte auf das winzige Oval bei Haiti. „Dort bauen wir dazu den Gegenpol, unser Robinson-Dorf.“ Das Kontrastmilieu.

Das muss ihr doch eingehen? Er entwickelte den Plan und skizzierte die Finanzierung.

Nach einer Welle fragte sie: „All das ist deine Idee?“

„O ja; aufgrund bestimmter Informationen.“

„Ich ahne, von welcher Seite.“

„Gut, von ihm, aber es ist okay.“ Reuss sah die Falte auf ihrer Stirn. „Er selbst ist kaum daran interessiert. Er hat für uns nachgedacht, dankbar, dass wir ihn herausgeholt haben. Es liegt kein Schatz dort, bloß Vogelmist. Linda, was hast du gegen Vogelmist?“

„Das habt ihr einfach so beschlossen, ohne mich. Aber auf meinen Namen soll es gehen.“

„Für die Yankees bist du ein unbeschriebenes Blatt.“

„Na fein. Du versteckst dich hinter mir, und er versteckt sich hinter uns. Aber zu welchem Zweck?“

„Ihm geht es um ein Refugium, falls er mal schnell verduften muss.“

„Ich hab’s ja geahnt! Dieser Mann zieht dich ständig in etwas hinein. Er ist und bleibt ein Filou.“

„Nicht uns gegenüber, da war er immer fair. Hätte er mir sonst heute früh die Summe ausgezahlt?“

„Wer weiß, warum er das tat. Leute wie er leben nur für sich. Diese Jacht wird auch einem gehören, der durch dunkle Geschäfte reich geworden ist.“

„Wie kommst du darauf?“

„Wenn er an Bord darf, muss es ein Komplize von ihm sein.“

„Linda, wir sind auch seine Freunde.“

„Du vielleicht, ich nicht.“

Das ging zu weit, irgendwie musste er sie bremsen. Trotz ihres zarten Wesens, in dem Punkt trat sie ihm störrisch entgegen. Er durfte nicht zulassen, dass sie sich zwischen ihn und Sergio schob. – „Wenn du der Ansicht bist, hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen irgendwelcher Art, okay, in diesem Sinne hast du natürlich recht.“

„Weich mir nicht aus“, bat sie. „Sei nicht so glatt und philosophisch. Ich bin überzeugt, er hat mit dieser Insel etwas vor. Und wir geben mit dem Feriendorf die Tarnung für ihn ab.“

„Was soll er denn dort vorhaben?“

„Das eben möchte ich gern wissen, bevor ich mich darauf einlasse, Uwe.“

„Gut, gehen wir also hinüber, und du fühlst ihm auf den Zahn …“´

Erstmals 2009 veröffentlichte Wolfgang Schreyer im Scheunen-Verlag Kückenshagen seinen Roman „Der Leuchtturm“: Christian Wendt lebt an der Ostsee im Ruhestand. Aber da bohren in ihm noch Fragen. Der Ex-Kriminalist will sie lösen, mehr durch Recherchen als durch Grübeln. Die Rätsel der Welt, dieses Landes und des eigenen Lebens, hängt da nicht vieles zusammen? Sein ruheloser Geist will das ergründen. Private Ermittlungen führen ihn durch die Feriensiedlung bis ins Grundbuchamt, an den Tisch Nr. 3 des Landgasthauses „Am Kiel“, ja auch zum Alterssitz des ehemaligen Staats- und Parteichefs Krenz. Ein deutscher Polizist muss alles klären. Tief taucht er in längst Versunkenes, in Notlagen von heute, in die Psyche zweier Männer und einer Frau … auch in das Dunkelfeld der eigenen Seele. Was ist uns denn passiert, wie sind wir an diesen Punkt gelangt, und welchen Sinn hat das Ganze? Ohne schlüssige Antwort kein Neubeginn! Den aber braucht dieser Mann für sein Glück, für den inneren Frieden. Im folgenden Auszug vom Beginn dieses Krimis läutet aber zunächst einmal das Telefon des Ich-Erzählers – und zwar hartnäckig:

DER SCHULFREUND

An einem windigen Samstag im November läutete hartnäckig das Telefon. Ich hatte gerade mein Mahl beendet, das Geschirr auch schon abgewaschen und fragte mich, wie den Rest des Tages verbringen? Nun, die Stimme im Hörer sagte es mir. Es war Helmut Löw, zwölf Jahre jünger als ich und recht selbstsicher, weil so erfolgreich; doch für ein Alphatier angenehm locker, ja charmant. Ganz überraschend lud er mich zu sich ein. Auch Bettina rechne mit mir, seine Partnerin, längst überfällig sei doch mein Besuch.

Ich sagte ohne weiteres zu. So freundlich die Einladung auch klang, ich hörte einen drängenden Unterton heraus. Das machte mich neugierig. Was hatten die zwei auf dem Herzen? Sonderbar, dass Löw um diese Jahreszeit noch einmal zurückkam ans Meer. Er war die Hauptperson, der Chef einer namhaften Werbefirma in Berlin, dort also vor Weihnachten kaum entbehrlich. Mehr als ein Wochenend-Trip an die See konnte es nicht sein. Ein Windstoß fuhr mir ins Gesicht, als ich die Finnhütte abschloss und vorging zum Carport. Bleigraue Herbstwolken, herrisch und kühl, zogen südwärts, zauberhaft angestrahlt. Über den Silberpappeln leuchtete der Himmel im Mittagslicht, er prangte in Blau, Weiß und Grau – ein festliches Bild. Ich ließ den klapprigen Kleinwagen stehen, und während ich zum Fahrrad griff, gestand ich mir ein, dass es mich auch lockte, Bettina wiederzusehen. Ein feiner Reiz ging von ihr aus, worin der lag, das blieb dunkel; ich kam nie ganz dahinter. Bei all ihrer Schlichtheit, der einfachen Bildung wirkte sie doch stets anregend auf mich. Nun ja, sie war hübsch und wesentlich jünger als Löw … Ganz zu schweigen von mir selbst, dem rüstigen Rentner. Kein Zweifel, dass es mir seit längerem an weiblicher Nähe und Zuwendung zu mangeln begann.

Am Gartentor erwartete mich, wie lästig, Manfred Pelzer.

Er war mein Nachbar und galt im Dorf als dreister, störenden Mensch, als Eindringling eben. Seit zwei Jahren eingebürgert, ergriff er in jeder öffentlichen Sitzung des Gemeinderats penetrant das Wort. Ihm hing der Ruf einer dunklen Vergangenheit an, da sollten Fäden ins Rotlichtmilieu führen. Gut, das konnte Verleumdung sein, er hatte sich hier viele Feinde gemacht. Er besaß zwei Drittel der Feriensiedlung, die vor Jahrzehnten ohne ihn entstanden war. Unser Bürgermeister hatte von ihm gesagt, er sei einer von denen, die vom ganz großen Geld träumen, aber einfach zu ungeschliffen sind, um es auch wirklich zu kriegen. Es fehlte ihm halt an Bonität: keine Manieren, kein Format. Ganz ohne Aplomb, ohne Stil schafft es keiner.

„Tüchtig, Herr Wendt“, rief er mir im Hinblick auf das Fahrrad zu, in seiner Aufdringlichkeit, die krass abwich von norddeutscher Zurückhaltung. „Immer in Form bleiben!“

„Man bemüht sich“, knurrte ich und schickte mich an, aufzusteigen.

Pelzer genügte das nicht, breitbeinig stand er mir im Weg, unbekümmert um das, was ich vorhaben mochte. Er war nachlässig gekleidet, hatte die Figur eines Boxers und das dazu passende Gesicht. „Nur ums mal festzuhalten, ganz nebenbei“, trompetete er, „das Dach Ihres Schuppens steht ein Stück über. Es ragt glatt zwanzig Zentimeter auf meine Hecke.“

„Wollen Sie denn, dass ich’s absäge?“

„I wo“, sagte er kumpelhaft. „So genau pisst kein Edelmann. Es bewässert mir ja die Hecke … Aber mal ehrlich, Nachbar, für wen strampeln Sie sich jetzt ab? Verbrecherjagd, das ist doch vorbei bei Ihnen, und tischlern tun Sie auch nicht mehr. Also was bleibt noch – fit sein für den Spaß mit Weibern?“

Verdutzt sah ich ihn an. Das war frech, es verdiente keine Antwort. Auf Pelzer einzugehen, gar Privates mit ihm zu erörtern, das schien mir unter all den närrischen Dingen meines Lebens wohl das dümmste zu sein. Was zum Teufel will der Kerl von mir? Er ist gar nicht der Typ, der die Zeit totschlägt mit Geplauder am Gartenzaun. Jeder Schritt, den er tut, dient seinem Vorankommen hier bei uns. Er sieht zwar aus wie der Türsteher eines Nachtlokals, ist aber verdammt raffiniert. Ach, ihm lag wohl bloß daran, seinen bedrohlichen Ruf zu stärken. Denn als ich, knapp nickend, nun an ihm vorbeischob, da fügte er schnoddrig hinzu: „Falls Ihnen die Damen in der Kreisstadt nicht liegen – ich kenne in Rostock auch ein paar Adressen.“

„Wie schön für Sie, Herr Pelzer.“ Ich schwang mich aufs Rad und trat zu.

„Für einsame Herzen“, sagte er noch; bloß um das letzte Wort zu haben. Das war ihm immer wichtig.

Der Pfad am Rande des Steilufers hatte tückische Stellen voll lockerem Sand, aber ein böiger Rückenwind unterstützte mich in dem Wunsch, mein Gewicht zu halten und möglichst ein bisschen jünger zu wirken als 68. Wer rastet, der rostet. Das Ziel ist nichts, die Bewegung alles. Gut eine Stunde im Sattel, Bettina würde staunen – oder doch so tun, als imponiere ihr das. Insgeheim lag mir an derlei Anerkennung. Es fehlt einem was, wird man von keiner Frau mehr bemerkt.

Diesen Mangel schien sogar Pelzer zu wittern. Das Ärgerliche an seiner Flapsigkeit war ja, dass er damit nicht ganz daneben lag. Er sah halt den virtuellen Freier in mir und würde, falls das Gerücht stimmte, auch nicht zögern, mich entsprechend zu bedienen – bloß weil ich im Gemeinderat saß. Zwar nicht im Bauausschuss, dem sein höchstes Interesse galt als Besitzer etlicher Grundstücke, die noch kein Bauland sind. Aber in seinen Augen doch mitzureden hatte, wenn demnächst sein Plan, einen mondänen Golfplatz zu schaffen, zur Abstimmung kam.

Jetzt erst fiel mir wieder ein, dass Löw und Pelzer gleichaltrig waren, beide Mitte 50, einst sogar dicke Freunde gewesen! Kaum fassbar bei ihrer Verschiedenheit. Damals in Brandenburg, hatte Helmut Löw mir erzählt, gab es in seiner Schulklasse drei Gruppen: die Streber vorn, die Lümmel hinten, dazwischen der Durchschnitt. Für Löw, den permanent Klassenbesten, kam nur die erste Reihe in Frage. Pelzer drückte sich hinten herum, bei den Schlägern und Komikern. Trotzdem, die zwei verbündeten sich, da sie einander ergänzten. Löw half Pelzer über die Runden, der bot ihm dafür Schutz vor Angriffen in der Pause und auf dem Heimweg: das klassische Bündnis von Geist und Macht.

Da war die schöne Bettina noch gar nicht auf der Welt gewesen. Übrigens auch nicht, als ich Mitte der 70er Jahre Helmut Löw kennenlernte. Zu jener Zeit war ich mit Leib und Seele Kriminalist gewesen. Und man hatte mich, den Hauptmann der Volkspolizei, dienstlich beauftragt, ein Team der DEFA zu beraten, in dem Löw den Ton angab. Dieser junge Filmautor schien wider die Regel der Platzhirsch zu sein. Er improvisierte flott, wich gern vom eigenen Textbuch ab und drängte die wirkliche Hauptperson, den Regisseur, in puncto Dialog und Handlungsablauf leicht an den Rand. Das glückte ihm nur, weil die Regie in der Hand eines farb– und einfallslosen Absolventen der Filmhochschule lag. Gedreht wurde nahe dem Bodden, und Löw hatte es sich in den Kopf gesetzt, seinen Polizeiruf mit Irrtümern und Pannen der Ordnungskräfte zu starten: zugunsten des „menschlichen Faktors“, der „Plausiblität und Dynamik“, wie er es nannte. Er drückte sich oft pompös aus, nicht immer begriff ich ihn, doch den Drehstab beeindruckte das. Sein Vokabular überzeugte oder schüchterte die anderen ein.

Mich freilich nicht; ich musste ihn bremsen. Ihm war nämlich der Einfall gekommen, die Polizei zu blamieren, zum Ergötzen des Kino-Publikums; was sich grundsätzlich von selbst verbot. Die Genossen sollten mit ihrem Patrouillenboot immerhin Strolche stellen, amateurhafte Einbrecher und Asoziale, die Sommerhäuser redlicher Bürger vom Bodden her anliefen, sie aufbrachen und leer räumten, um mit dem Diebesgut übers Wasser zu verschwinden; anfangs spurlos. Und als das Kreisamt endlich Lunte roch und selbst ein Boot schickte, da schwebte Löw vor, es im Flachwasser jäh auflaufen zu lassen, wobei die Staatsmacht baden ging. Ihn faszinierte der pure Schauwert: ruckartig schlugen die Uniformierten hin auf Deck, einer ging sogar über Bord. Das mochte tatsächlich so schon passiert sein – ein Polizeiboot hat stets mehr Tiefgang als eine Segeljolle –, doch es im Film zu zeigen, war völlig daneben. Das hieß doch bloß „dem Affen Zucker geben“, wie ich sofort erklärt hatte. Niemals würden meine Chefs für solch eine Lachnummer Kräfte hergeben.

Bei diesem ersten Konflikt verblüffte mich Löws Einsicht, seine Bereitschaft zur Selbstkritik. Er hatte das Abwegige der Idee erfasst, strich die Szene und dankte mir unter vier Augen auch noch dafür, ihn vor dem Missgriff bewahrt zu haben. Mit seinem Hang, sich gehoben auszudrücken, nannte er den eigenen Einfall „grenzwertig“ – was ich nicht gleich verstand. „Nicht wahr“, hatte ich deshalb nachgehakt, „Sie wollen doch realistisch sein und keinen Ulk oder Schwank abliefern.“

„Es ist nicht allein eine Frage des Genres, Genosse Hauptmann“, war Löws Antwort gewesen. „Da hat mich der Teufel geritten, den Klassenstandpunkt mal glatt zu vergessen, im Eifer des Gefechts …“ Das klang damals ebenso aufrichtig wie politisch korrekt, es hatte sich mir eingeprägt. Gewisse Aussprüche, ob wichtig oder nicht, haften halt im Gedächtnis.

Ach, lang war’s her! Bilder aus einer Zeit, die mich heute eher plagen, mit dem vagen Gefühl der Trauer, des Bedauerns über den Untergang einer Ordnung, für die ich einst tapfer gestanden hatte. Helmut Löw allerdings, dank seiner beweglichen Fantasie, spielte oft mehr, als für etwas zu stehen. Es war manchmal schwer gewesen, überhaupt mit ihm zu streiten. Intuitiv nahm er möglichen Widerstand schon im Vorfeld wahr und wich Zusammenstößen aus. Die Gabe des großen Überblicks. Wie aber befähigten ihn Versöhnlichkeit und Künstlertum dazu, im Konkurrenzkampf heute zu bestehen? In dem Punkt gab er mir nicht weniger Rätsel auf als in seiner Beziehung zu Bettina, seiner reizvollen Gefährtin … Der Professorensohn und das Arbeiterkind, das er zärtlich Betti nannte; vielleicht schätzte er ja ihre Unterlegenheit, die sie zu ihm aufblicken ließ?

Einiges von dem ging mir durch den Kopf, während unter den Reifen meines Trekkingrads aus dem Sandweg ein Asphaltband wurde, das hinter den Dünen auf der Deichkrone lief. Bei dem Windrad, es war das erste hier gewesen, verengte sich der Landstrich zwischen Bodden und Meer. Links zog ein Zeesenboot vorbei, es lief südwärts, nur unter zwei seiner fünf braunen Segel. Ein Anblick, der mich daran erinnerte, selbst kein Segler mehr zu sein. Ich hatte mein Boot verkauft und dem Sportklub adieu gesagt, weil das Drum und Dran zu teuer geworden war: die Reparaturen und Bootspflege, der Mitgliedsbeitrag nebst Liegeplatz. Aber der betrübliche Verzicht entlastete mich auch, ich musste nicht mehr so peinlich aufs Wetter achten oder nach einem Segelpartner suchen.

Ich fuhr jetzt über historischen Grund. Hier mündete einstmals der Bodden, gespeist von dem Flüsschen Recknitz, in die Ostsee. Die Öffnung war erst verlandet, als die Hanse dort anno 1398 Schiffe versenken ließ, damit ihr die Stadt Ribnitz als Konkurrenz zu Rostock und Lübeck nicht in die Quere kam. Sogar der berühmte Klaus Störtebeker hatte die Passage ständig benutzt. In Erinnerung an seine Vitalienbrüder – auch Likendeeler genannt, also Gleichteiler – hieß die Bucht früher Störtebeker-Hafen. Genau an der Stelle hatten sich Sturmfluten noch mehrfach in den Bodden ergossen. Über sechs Jahrhunderte, ja bis heute, gab es öfter Bestrebungen, den Durchstich zu erneuern; natürlich aus kommerziellen Gründen. Zuletzt, um gut betuchte Segler in den Bodden zu locken. Nachdem die Russen 1994 den Flugplatz Püttnitz geräumt hatten, sollte dort eine Marina entstehen.

Ja, es boomte der Tourismus … Aber noch vor 150 Jahren, als es den Deich noch gar nicht gab, hatten Schmuggler ihr schweres Boot hier, knapp hinter Wustrow, über die Landenge gezurrt, weil sie merkten, dass ihnen preußische Zöllner den Ausgang des Boddens versperrten. Mit ihrem Schleichgut waren sie auf die stürmische See ausgewichen, hatten das Leben riskiert für ein paar Dutzend Säcke voller Salz, das in Preußen besteuert wurde, in Mecklenburg nicht. Diese Armut damals, unvorstellbar! Viel später erst brummte das Geschäft mit dem Urlaub am Meer.

Übrigens nutzte ab Mai 1962 dann sogar ein US-Geheimdienst diesen schmalsten Punkt des Fischlands zum Transport.

Statt Salz schmuggelte die National Security Agency (NSA) freilich Menschen. Es ging den Amis um das Ein- oder Ausschleusen ihrer Leute – erschwert seit dem Bau der Mauer in Berlin. Dazu dienten Mini-U-Boote und Container, eben das Arsenal moderner Tauch- und Landetechnik. Die NSA-Kampfschwimmer peilten gern den Strand in Höhe des Turms der Seefahrtschule an. Die vielen Studenten der Hochschule im Dorf boten hinreichend Deckung. Und die Container, zwei Meter lang, waren nahe dem Barnstorfer Ufer unter Wasser im Saaler Bodden geparkt. Darin karrte man dann die Agenten, wie einstmals das Salz, über die Landenge.“

Erstmals 2011 veröffentlichte Wolfgang Schreyer im Verlag Das Neue Berlin seinen Roman „Der Feind im Haus“: Edgar Sörensen ist ein angesehener Journalist und Terrorexperte, und jetzt ist er Leiter des „Hauptstadtstudios“ und somit auch Chef seiner jungen Ehefrau. Die forscht in seinem Auftrag in Akten der Birthler-Behörde nach einem über vierzig Jahre zurückliegenden Spionagefall. Sie wird auf überraschende Weise fündig, auch wenn es andere Ergebnisse sind, als ihr Mann erwartete. Wolfgang Schreyers spannender, auf Tatsachen beruhender Roman zeigt das Innenleben der Geheimdienste und den heutigen Medienalltag. Hier ein Auszug, den man sich auch sehr gut als eine Filmausschnitt vorstellen könnte:

„Als am Freitag, dem 30. April, die schwere Limousine vorfuhr, da hatte es aufgehört zu nieseln. Die Singvögel tschilpten, und noch im leichtesten Wind war das Nahen des Frühsommers zu spüren. Jan Otto, der baumlange Chauffeur, riss vor den Sörensens wie üblich die Tür zur Rückbank auf. Doch nur Anja stieg dort ein, ihr Mann setzte sich nach vorn. Das geschah selten, eigentlich bloß, wenn er den Fahrer anweisen wollte, abzuweichen vom direkten Weg ins Studio.

Dieser schweigsame Mann genoss sein Vertrauen. Nur wenig jünger als Edgar, war er Feldwebel der Bundeswehr und schon vor fünf Jahren mit einer Eliteeinheit in Afghanistan gewesen. Zur Jagd auf die Taliban, das hatte den Ausschlag gegeben. Deswegen zog Edgar ihn anderen Fahrern vor, über die der Sender verfügte. Jan Otto war privilegiert, er bewohnte das hübsche Quartier über Sörensens Doppelgarage allein, ohne dass er etwa schwul gewesen wäre; seine Neigung, mit den wechselnden Hausmädchen anzubändeln, sprach klar dagegen. Er verstand sich auch als Leibwächter und war einer derjenigen, denen es erlaubt war, unterwegs wie auch im Studio bewaffnet zu sein. Und wenn das Haus der Sörensens im Urlaub leer stand, wurde es von ihm bewacht; ein rundum zweckmäßiges Arrangement.

Nach dem Theaterabend gestern war man verspätet aufgewacht, daher fiel das Gespräch am Frühstückstisch denkbar knapp aus, und Anja hätte es gern fortgesetzt. Zum Beispiel noch geklärt, ob die Spitzenmeldung des Tages dem Ressort Innen- oder Außenpolitik zuzuordnen sei. Letzteres ging sie nichts an, es schien aber ein typischer Grenzfall zu sein.

Da hatte doch Laura Bush, die sonst eher stille Frau des letzten US-Präsidenten, laut CNN und dpa einen schlimmen Verdacht geäußert. Nämlich in ihren Memoiren jüngst enthüllt, sie sei am 7. Juni 2007 beim Abendessen auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm vergiftet worden, und mit ihr die ganze US-Delegation. Sie alle habe Kopfweh und Übelkeit geplagt, ein Assistent sei zeitweilig ertaubt, ein zweiter nicht mehr gehfähig gewesen. Und George W, ihrem Mann, hätten die Symptome derart zugesetzt, dass er kein Frühstück zu sich nahm und, dem straffen Reiseplan zuwider, vorzeitig aufgebrochen war nach Polen, Italien und Albanien. Man hatte halt genug gehabt von der Küche des Kempinski Grand Hotel in Heiligendamm!

Peinliche Story. „Ich dachte, ich sterbe hier“, hatte die First Lady in der Tat gesagt. Der Secret Service habe, höchst alarmiert, das ganze Umfeld nach Giftstoffen abgesucht. „Ist es vielleicht ein schlechtes Schnitzel gewesen?“, fragte jemand von CNN, dem Lauras Buch Spoken From the Heart (Aus dem Herzen gesprochen) vorab zugegangen war. Dem trat der Chefkoch des Grand Hotels prompt entgegen: Er habe nur für die Staatschefs und deren Gattinnen gekocht, wie also könne es die übrigen erwischt haben? Es sei denn, das Gift entstamme Lebensmitteln, von den Yankees selbst mitgeführt. „Die hatten ja sogar ihr eigenes Benzin dabei“, erinnerte sich der Mann, heute tätig als Spitzenkoch in Rostocks Jachthafen-Residenz Hohe Düne.

War all das wirklich ernst zu nehmen? Die für morgen fälligen Mai-Krawalle hier in Berlin gingen doch bei weitem vor. Anja fragte sich, ob es sie überhaupt beschäftigen solle. Merkwürdig nur, dass Edgar dies jetzt, statt mit ihr, mit dem Fahrer besprach. „Wenn Heiligendamm da mal wieder ins Gespräch kommt, ist das gar nicht übel“, hörte sie den sagen, als er einbog ins Adlergestell, die Chaussee zum Autobahnring. Und ihr Mann setzte noch eins drauf: „Laura Bush macht Werbung. Verschwörungsmärchen ziehen immer, das wird der Verlag ihr gesagt haben, Jan.“

Um nicht weiter übergangen zu werden, beugte sie sich vor und warf ein: „Nimm aber mal an, es stimmt – wie wär das möglich gewesen bei der Akribie des Personenschutzes, dieser pingeligen Überwachung und Vorkosterei? Jeder amerikanische Präsident reist doch, perfekt bewacht, in einem Sicherheitskokon!“ … Darauf hatte Edgar keine Antwort. Wie seltsam; sonst fiel ihm immer etwas ein.

Anja fühlte sich ausgegrenzt. Links glitt der Adlershof- Komplex vorbei, einst Zentrum des Fernsehfunks der DDR und Sitz von dessen Frontmann Karl-Eduard von Schnitzler. Sohn eines königlich-preußischen Legationsrats und Kommunist bis zu seinem Tode; erst kurz nach den Anschlägen vom 11. September war der verstorben, mit 83 Jahren. Auf gewisse Art, dachte sie, hat Edgar ihn in puncto Bildschirmpräsenz beerbt. Nach dem Untergang der DDR sind jene Studios abgewickelt worden, das Gelände lag brach bis zu der Idee, es zu nutzen für eine neue „Stadt der Wissenschaft, Wirtschaft und Medien“, genannt WISTA, und den Standort tüchtig auszubauen.

Schnitzler übrigens, sie wusste es von ihrer Mutter, hatte einen Ritterkreuzträger der Wehrmacht als Chauffeur gehabt. Und es lockte sie, ihrem beharrlich schweigenden Mann das nachher auch zu sagen, ihn mit dem Vergleich zu ärgern – einer wohl systemübergreifenden Affinität von Stars und Stärke, also von Geist und Macht. Weil aber Edgar ihr befremdlicherweise momentan jede Antwort schuldig blieb, drehte der Fahrer sich halb zu ihr um. „Falls der Verdacht wirklich zutrifft, Frau Sörensen“, sagte er höflich, „muss es ein Sicherheitsleck gegeben haben bei den Amis.“

„Was heißt das, Jan?“

„Nun, ich denke mal, ein Doppelagent im Secret Service. Das wär aus meiner Sicht die beste Erklärung.“´

Zum Schluss diesmal doch noch ein paar Worte über den von Schreyer und Thürk nicht besonders gern erwähnten Schriftstellerkollegen Konsalik, der übrigens im vergangenen Monat, genauer gesagt/geschrieben am 28. Mai dieses Jahres 100 geworden wäre. Der Mann war ein Phänomen, konnte schreiben und vor allem verkaufen, wie kaum ein anderer deutschsprachiger Autor. Angeblich haben nur Karl May und Helmut Rellergerd (John Sinclair) mehr Bücher verkauft als er – 85 Millionen Bücher. Allerdings sagt das nicht nur etwas über ihn aus, sondern vor allem auch über seine Leserinnen und Leser vor allem in der alten Bundesrepublik, die sich offenbar in seinen Romanen, seinen Themen und seiner absichtlich nicht sehr literarischen Sprache wiederfanden. Mehr über seine eigenen An- und Absichten erfährt man übrigens in dem auch von Schreyer angeführten durchaus streitbaren Playboy-Interview, das immerhin Elfriede Jelinek 1982 mit dem damals 94-jährigen Autor für das Herrenmagazin geführt hatte (siehe: http://elfriedejelinek.com/andremuller/interview%20mit%20heinz%20g.%20konsalik.html).

Spannend unter anderem Konsaliks Antwort zum Thema politische Dummheit. Bleibt die Frage, ob man Konsalik lesen sollte? Die Antwort scheint nicht ganz einfach, fällt aber vielleicht positiv aus, wenn man sich fragt, wie politische Dummheit entsteht und wirkt und was sich dagegen tun ließe. Außerdem verblüffen Konsaliks Ansichten zu Russland, den russischen Menschen und speziell zu den russischen Frauen. Womit wir schon fast wieder in der Gegenwart gelandet wären.

Und bei den aktuellen Sonderangeboten des ersten Juli-Newsletters. Herzlich Willkommen im zweiten Halbjahr, weiter einen schönen Sommer – auch ohne deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der EM und ohne Jogi Löw als Bundestrainer -, viel Vergnügen beim Lesen, bleiben Sie auch in den kommenden Wochen und Monaten weiter vorsichtig, vor allem aber schön gesund und munter und bis demnächst.

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