Verurteilt: Schwere Schlappe für Daimler am OLG Köln
Die Daimler AG muss nach dem aktuellen Urteil des 7. Zivilsenats am Oberlandesgericht Köln den streitgegenständlichen Mercedes 200 d Marco Polo mit dem Motor OM 651 Euro 6 zurücknehmen und dem Kläger 53.813,18 Euro erstatten (AZ. 7 U 35/20). Zu dem Fahrzeug lag ein Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vor. Spannend bei dem Fahrzeug ist auch, dass es sich um einen Wohncamper handelt. Gerade läuft in der Wohn- und Reisemobilbranche der durch Fiat Chrysler ausgelöste Abgasskandal an. Hier nun die wichtigsten Fakten zum Verfahren im Kölner Urteil:
- Die Klägerpartei erwarb das Fahrzeug am 22. Februar 2017 zum Preis von 61.304,04 Euro. Der Wohncamper Marco Polo verfügt über einen Motor vom Typ OM 651 (Euro 6) und soll mit verschiedenen Abschalteinrichtungen zum Einsatz gekommen sein, die in der Summe dazu führen, dass das Fahrzeug im Normalbetrieb auf der Straße die gesetzlichen Abgasnormen nicht einhält. Neben der temperaturabhängigen Abgaskontrolle (Thermofenster) verfüge der Motor über eine Aufwärmstrategie mit Erkennung der Prüfstandsituation, fehlerhafter Dosierung des AdBlue im SCR-Katalysator, einen Wechsel der Motorsteuerung nach 20 Minuten (Dauer des Testzyklusses) in einen schmutzigen Abgasmodus sowie einer auf das Getriebe einwirkende Abschalteinrichtung. Am 24. Mai 2019 wurde der Kaufvertrag angefochten.
- Das Diesel-Fahrzeug unterlag seit dem 3. August 2018 einem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Daimler bot dem Kläger daraufhin ein Software-Update zur Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen für sein Fahrzeug an. Der Verbraucher lehnte jedoch ab.
- Das Gericht folgte in seinem Urteil letztlich dem Kläger. Daimler muss das Fahrzeug zurücknehmen. Der Kläger hat ein Fahrzeug erworben, das er so nicht kaufen wollte, und daher einen Schaden erlitten. Daimler ist aufgrund vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB dem Kläger haftbar. Durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors OM 651 in dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug hat Daimler sich sittenwidrig verhalten.
- Einen bösen Rüffel erhielt nebenbei das Landgericht Bonn. Die Bonner hatten die Klage in erster Instanz abgelehnt, weil sie dachten, dass die Klage sich nur auf das Thermofenster beziehe (Az. 15 0 172/19). In der Klage wurden jedoch sieben verschiedene unzulässige Abschalteinrichtungen aufgeführt und beschrieben. „Insofern liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Art. 103 GG, vor, indem das Landgericht im Rahmen der Klageabweisung allein auf den Aspekt des Thermofensters abgestellt hat“, heißt es in der Urteilsbegründung.
- Die Erkennung der Prüfstandsituation durch die Motorsteuerung wertet der Senat als identischen Sachverhalt wie beim Abgasskandal der Volkswagen AG und wies ausdrücklich auf das erste BGH-Urteil in einem VW-Verfahren vom 25. Mai 2020 hin. Da war VW wie jetzt auch Daimler nach §826 BGB verurteilt worden.
- Daimler, so rügte das Gericht, konnte nicht in einer für das Gericht nachvollziehbaren Weise darlegen, aus welchem Grund entgegen den Angaben der KBA-Bescheide keine unzulässigen Abschalteinrichtungen im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs verbaut waren. Obwohl das Gericht den KBA-Bescheid ungeschwärzt vorgelegt bekommen wollte, kam Daimler der Aufforderung vom 6. August 2020 nicht nach. Auf diese Weise konnte Daimler die Ausführungen des klagenden Verbrauchers zum SCR-Katalysator nicht entkräften.
- Das Gericht akzeptierte das von Daimler vorgetragene Geheimhaltungsinteresse nicht. „Die Angaben der Beklagten“, so das Gericht, „sind angesichts ihrer Pauschalität nicht geeignet, eine konkrete Gefährdung von Geschäftsgeheimnissen zu plausibilieren.“ Das Gericht kritisierte daher die „mangelnde Substantiierung“ des Vortrags der Daimler-Anwälte. Das OLG folgte in seiner Argumentation einem Beschluss des BGH vom Januar 2020 (Az. VIII ZR 57/19). Der Kläger müsse nicht detailliert die Funktionsweise des Motors vortragen, sondern plausibel seinen Verdacht erklären.
- Der Kläger habe konkret vorgetragen, dass die Steuerungsmechanismen des Fahrzeugs durch eine aus mehreren verschiedenen Abschalteinrichtungen zusammengesetzte Abgasstrategie bewirken, dass die Abgasrückführung die Grenzwerte für Stickoxide letztlich ausschließlich unter Prüfstands-Bedingungen erreichen kann. Im Realbetrieb auf der Straße müssen sie zwangsläufig bei weitem verfehlt werden.
- Durch den Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung hat die Beklagte das KBA bewusst getäuscht und sich damit zugleich gegenüber dem Kläger sittenwidrig verhalten. Die besondere Verwerflichkeit eines Verhaltens kann sich aus einer bewussten Täuschung ergeben, die hier im Verschweigen des Einbaus der unzulässigen Abschalteinrichtung gegenüber dem KBA im Typengenehmigungsverfahren zu sehen ist. Der Senat bezog sich hier auf die Argumentation des BGH zum ersten VW-Urteil vom 25. Mai 2020 (Az. VI ZR 252/19).
- Der Kläger hat mehrere von der Beklagten installierte technische Abläufe im Emissionskontrollsystem des Motors OM 651 substantiiert dargelegt, ohne dass die Beklagte diesen Vortrag durch Vorlage der Bescheide und Angaben zum weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens wirksam bestritten hätte.
- Der Einbau einer Abschalteinrichtung ohne technisch belegte Rechtfertigung wertete das Gericht als Täuschung von Behörden und Verbrauchern.
- Der Hinweis der Daimler-Anwälte, dass der vorliegende Fall sich grundlegend von den Manipulationsvorwürfen gegenüber VW unterscheide, überzeugt nicht. Denn letztlich war für das Gericht die Funktionsweise der Software im Detail nicht entscheidend. Bei VW kam eine „Umschaltlogik" zur Anwendung und bei Daimler mehrere zusammenwirkende Abgasstrategien. Für das Gericht war einzig allein das Ergebnis wichtig, das durch den Einsatz der Software erzielt wurde. Nämlich das unterschiedliche Abgasverhalten des Fahrzeugs auf dem Prüfstand und auf der Straße. Da die unzulässigen Abschalteinrichtungen den Prüfstand erkennen und der Motor in der regulären Nutzung ein völlig anderes Abgasverhalten zeigt als im Testzyklus, ist der Schädigungsvorsatz der Beklagten damit ausreichend dargelegt. Für das Gericht gibt es im Ergebnis der Manipulation keinen Unterschied zwischen VW und Daimler.
- Das Software-Update hätte den Schaden des Verbrauchers nicht behoben. Sein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ist bereits mit dem Vertragsschluss über den Kauf eines aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung von Stilllegung bedrohten Fahrzeugs entstanden.
- Der Käufer muss sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen. Das Gericht schätzte die Gesamtlaufleistung des Marco Polo auf 250.000 Kilometer.
- Eine Revision vor dem BGH ließ der Senat nicht zu.
Im Diesel-Abgasskandal der Daimler AG hält Trendwende an
Die juristischen Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer aus Lahr, dass die Daimler AG vor Gericht in die Defensive gerät und die Chancen der Verbraucher, die Verfahren zu gewinnen, derzeit enorm ansteigen. Mit dem Oberlandesgericht Naumburg hatte am 18. September 2020 erstmals ein Gericht der Berufungsinstanz den Autobauer nach § 826 BGB zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Die Diesel-Fahrzeuge sind durch die mögliche Manipulation am Abgaskontrollsystem des Motors in ihrem Wert gemindert. Die Kanzlei rät den betroffenen Verbrauchern dazu, sich anwaltlich beraten zu lassen. Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal von Daimler herausfinden. Die Fälle werden individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigt.
Die Kanzlei hat bereits mehrere positive Urteile gegen die Daimler AG in erster Instanz erstritten:
- Oberlandesgericht Köln – 5. November 2020 – 7 U 35/20
- Landgericht Stuttgart – 9. Oktober 2020 – Az. 14 O 89/20
- Landgericht Stuttgart – 14. Mai 2020 – Az. 19 O 108/19
- Landgericht Stuttgart – 14. Mai 2020 – Az. 19 O 109/18
- Landgericht Stuttgart – 08. Mai 2020 – Az. 14 O 74/20
- Landgericht Freiburg – 13. März 2020 – Az. 8 O 71/19
- Landgericht Oldenburg – 13. Februar 2020 – Az. 16 0 2884/18
- Landgericht Stuttgart – 16. Januar 2020 – Az. 27 O 40/19
- Landgericht Stuttgart – 24. Oktober 2019 – Az. 20 O 73/19
Thermofenster im Visier des Europäischen Gerichtshofs
An deutschen Gerichten werden für die Daimler AG im Diesel-Abgasskandal die Zeiten rauer. Wie kam es zu dieser verbraucherfreundlichen Wende?
- Temperaturabhängig gesteuerte Abschalteinrichtungen wie das von Daimler in den Mercedes-Modellen verwendete Thermofenster sind vor dem Europäischen Gerichtshof EuGH am 30. April 2020 in Schlussanträgenals unzulässig bezeichnet worden. Mit dem Urteil wird in diesem ersten europäischen VW-Verfahren noch in diesem Jahr
- Auch der BGH hat mit seinem Beschluss vom 28. Januar 2020 (Az. VIII ZR 57/19) den Druck auf Daimler erhöht. Der BGH bemängelte, dass das Oberlandesgericht Celle (Az. 7 U 263/18) kein Gutachten eingeholt hat, um zu klären, ob die Daimler AG das Abgaskontrollsystem im Motor OM 651 mit einer Abschalteinrichtung manipuliert hat oder nicht. Schadensersatzansprüche im Abgasskandal gegen Mercedes können von einem Gericht nicht einfach als Behauptungen „ins Blaue hinein“ abgewiesen werden. Es reicht, wenn der klagende Verbraucher seine Argumente schlüssig vorträgt und nicht bis ins kleinste Detail ausführt. Schließlich könne er nicht detailliert wissen, wie ein Motor funktioniere. Gutachten über die Abgasreinigung könnten in wichtigen Fragen Abhilfe schaffen.
- Die Daimler AG äußert sich bisher vor Gericht in der Regel höchst vage zu den gegen sie gemachten Vorwürfen und verweist in der Regel auf Betriebsgeheimnisse, die sie vor Gericht nicht preisgeben möchte. Auch wird der Vortrag des Klägers pauschal als unbegründet zurückgewiesen – ohne die Abweisung genauer auszuführen.
- Das unkooperative Verhalten vor Gericht hat übrigens auch der BGH in seinem ersten Urteil in einem VW-Verfahren am 25. Mai 2020 bemängelt (Az. VI ZR 252/19). Die Autobauer können sich jetzt nicht mehr mit dem Hinweis auf Betriebsgeheimnisse vor Aussagen drücken.
Bei der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt es sich um eine der führenden Kanzleien im Abgasskandal. Die Kanzlei ist unter anderem auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Die Kanzlei führt mehr als 15.000 Gerichtsverfahren im Abgasskandal bundesweit und konnte bereits hunderte positive Urteile erstreiten.
In dem renommierten JUVE Handbuch 2017/2018, 2018/2019 und 2019/2020 wird die Kanzlei in der Rubrik Konfliktlösung – Dispute Resolution, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten besonders empfohlen für den Bereich Kapitalanlageprozesse (Anleger). Die Gesellschafter Dr. Ralf Stoll und Ralph Sauer führten in der RUSS Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) außerdem die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG und verhandelten einen 830-Millionen-Euro-Vergleich aus. Damit haben die beiden Inhaber Rechtsgeschichte geschrieben. Im JUVE Handbuch 2019/2020 wird die Kanzlei deshalb für ihre Kompetenz beim Management von Massenverfahren als marktprägend erwähnt.
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