Mit der richtigen Formel durch den Herbst

„Der Schlüssel zur Bewältigung der Pandemie ist die nationale und internationale interdisziplinäre Vernetzung“, betonte RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler. Und damit untermauerte der Mikrobiologe, dass sich bei HIV, Hepatitis und Corona zahlreiche Parallelen ergeben – nicht nur in der Intensität der pandemischen Bedrohung.

Vor diesem Hintergrund wurde das Aids- und Hepatitis-Forum bei seiner 24. Auflage am Wochenende um Vorträge zur „Systemerkrankung“ Corona ergänzt. Für das Programm zeichnete sich einer – wie Schirmherr Oberbürgermeister David Langner betonte – „der führenden Infektiologen des Landes“ verantwortlich: Dr. Ansgar Rieke, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Nephrologie, Infektiologie im Kemperhof. „Wir sind dankbar, dass der Arbeitskreis AIDS/STI Rheinland-Pfalz Nord, die Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz und der Förderverein der Immunologischen Ambulanz Koblenz diese wichtige Plattform zum Austausch der Experten und Betroffenen bieten“, betonte Staatssekretär Dr. Alexander Wilhelm, der für Schirmherrin Landesgesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler sprach. Erreicht wurden mehr als 200 Teilnehmer, die entweder vor Ort waren oder von Sylt bis Österreich, von Sachsen bis Benelux per Zoom-Konferenz oder im Livestream zugeschaltet waren.

„Das Corona-Virus hat die Behandlung von HIV ausgebremst und den Fokus der Wahrnehmung verschoben“, postulierte Dr. Ansgar Rieke direkt im ersten Vortrag des Tages. „Die kontinuierliche Therapie mit der HIV-Medikation wurde zeitweise durch Unterbrechung der Lieferketten durch Corona erschwert und führte zu Komplikationen. Patienten kommen mit fortgeschrittenen Symptomen als sogenannte Late Presenter zu spät in die Behandlung.

Corona und die Konsequenzen der Maßnahmen dürfen generell nicht dazu führen, dass chronisch Kranke aus dem Blick geraten.“ Genauso wichtig sei allerdings bei allen Therapieerfolgen das frühzeitige Erkennen und Behandeln Betroffener. Nach neuen Studien würde generell ein frühzeitiger Therapiestart befürwortet. HIV-Testungen seien dafür unabdingbar.

Ob HIV das Risiko erhöhe, an Corona zu erkranken, verneinte der Experte: „Wenn die Viruslast des HIV-Patienten unter der Nachweisgrenze liegt, besteht aktuell kein erhöhtes Risiko. Die Verläufe der 39 Corona-Patienten im Bundesgebiet und der 13 in der Immunologischen Ambulanz in Koblenz sind eher mild gewesen“, fasste Rieke zusammen. HIV-Medikamente schützten dennoch nicht vor Corona, da es zwei ganz unterschiedliche Viren seien. Generell bliebe die Prävention der Infektionsübertragung ein wichtiges Thema in Kombination mit den Erfolgen der PrEP (medikamentöse Präexpositionsprophylaxe) als Kassenleistung für besonders gefährdete Zielgruppen.

Gute Nachrichten überbrachte Privatdozent Dr. Felix Gundling, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Gastroenterologie, Gastroenterologische Tumortherapie und Diabetologie im Kemperhof, im Hinblick auf Hepatitis C. Hier liege die Heilungsrate bei 98 Prozent. Daher sollten betroffene Personen mit Risikofaktoren zeitnah diagnostiziert werden, um diese überaus wirksame Therapie rasch einzuleiten. „Anders sieht dies bei der chronischen Hepatitis B aus. Hier existieren wirksame Medikamente, um die Erkrankung zu kontrollieren. Eine definitive Heilung ist in den meisten Fällen bisher noch nicht möglich“, berichtete Gundling.

Einen gleichsam spannenden wie auch eindrucksvollen Beitrag bot im Anschluss RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler, der das Krisenmanagementsystem des Robert-Koch-Instituts vorstellte. „Rund 1300 Mitarbeiter aus 90 Berufsgruppen des RKI arbeiten am Institut, seit Anfang Januar ist ein Großteil sieben Tage die Woche daran beteiligt, die Pandemie im Griff zu halten. Die Basis des Erfolgs steht auf breiten Füßen – aber es sind vor allem die Gesundheitsämter vor Ort, die neben der ambulanten als auch stationären Versorgung Großes leisten. Und nicht zu vergessen, unsere Zivilgesellschaft, die insbesondere in den vergangenen Monaten große Solidarität zeigte“, sagte Prof. Wieler und verband dies mit einem großen Dank an alle Akteure des Gesundheitswesens.

Welche Lehre zieht das RKI nach fast neun Monaten? „Neben dem fachlichen Austausch wäre eine elektronische Patientenakte wertvoll. Insofern gilt es, die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Dass die Corona-Warn-App in den kommenden Monaten auch europaweit  zum Einsatz kommt, ist ein wichtiger Schritt“, so Wieler. Verbesserungspotenzial gebe es auch hinsichtlich der Ausweitung von Testzentren und sogenannten Fieberpraxen/-ambulanzen, mit denen man in Koblenz landesweit einer der Vorreiter war. „Auch für die zukünftigen Im- pfungen ist es wichtig, eine Struktur mit Impfzentren zu etablieren. Nur so können wir sicher- stellen, dass alle Geimpften erfasst und auch etwaige seltene Nebenwirkungen gut dokumentiert werden“, betonte der RKI-Präsident. Auf die Chat-Frage, ob der Mundschutz in Schulen sinnvoll sei, obwohl Kinder wohl nicht als infektiös gelten, antwortete Wieler: „Genau diese Aussage stimmt nicht, Kinder über zehn Jahre sind nicht weniger ansteckend als Erwachsene. Das heißt ganz klar: Mundschutz tragen ist sinnvoll.“ Und insgesamt sei es wichtig, die bekannte AHA-Regel (Abstand, Hygiene und Alltagsmasken) mit einem A (Corona-Warn-App aktivieren) und einem L (Lüften) zu ergänzen.

Dass der Mundschutz von einigen gar nicht gerne gesehen wird, karikierte Autor Werner Tiki Küstenmacher mit „Limbi“. Die Figur ist die Verkörperung unseres emotionalen Gehirns und zentrale Figur in seinem neuen Buch. „Allzu oft richten wir unseren Blick nur auf das Negative oder die Einschränkung. Daher sollten wir Limbi trainieren, dass es auch das Geschaffte nicht aus den Augen verliert und Veränderungen nicht immer negativ bewertet.“

Das tat Dr. Astrid Weber, niedergelassene Ärztin aus Koblenz und Leiterin der Corona-Ambulanz Koblenz. „Ich bin mittlerweile zum 23. Mal beim Forum. Dr. Rieke arbeitet die Themen immer so anschaulich auf, sodass ich immer sehr viel mitnehme. Und Prof. Wieler hat mich derart motiviert, sodass ich mir sicher bin, dass wir das schaffen, wenn wir weiter an einem Strang ziehen.“

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