Familien unterstützen – Für einen verantwortungsvollen stufenweisen Öffnungsprozess der Kindertagesbetreuung

Am 30. April 2020 haben die Familienminister*innen aus Bund und Länder zur Eindämmung des Coronavirus Maßnahmen zum stufenweisen Wiedereinstieg in die Kindertagesbetreuung und den Schulalltag beraten. Am heutigen Mittwoch, den 6. Mai, wollen Bundesregierung und Länder über einen stufenweisen Wiedereinstieg in die Kindertagesbetreuung und den Schulalltag entscheiden. Die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) unterstützt eine kontrollierte, kriterienbasierte, stufenweise Öffnung von Kindertagesstätten und Schulen. Ein Wiedererstarken der Pandemie muss dabei verhindert werden. Familien brauchen transparente Verfahren und zeitliche Perspektiven für ihre Lebens- und Arbeitsplanung. Entsprechende Zeitplanungen und Verfahren müssen von der Bundesregierung und den Ländern in dieser Woche konkretisiert werden. Bei den Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen in Kindertagesstätten sollten Qualitätskriterien mitgedacht werden, um die Krise als Chance für eine Weiterentwicklung der Kita-Qualität zu nutzen.

Die Corona-Krise bringt für viele Familien neue Belastungen, erhebliche Einkommenseinbußen und drohende Arbeitslosigkeit mit sich. Gleichzeitig übernehmen Familien in großem Umfang die wesentlichen Sorgeleistungen der Gesellschaft bei der Betreuung von Kindern, bei erkrankten Familienmitgliedern und bei der Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger, trotz bzw. aufgrund des Wegfalls von unterstützenden und entlastenden Diensten. Eltern, die Kinder im Kita- und Schulalter haben, müssen Kleinkindbetreuung und Homeschooling-Aufgaben gleichzeitig bewältigen. Besonders sind zurzeit Frauen von zusätzlichen Belastungen aus der Corona-Krise betroffen: Sie tragen in den Familien häufig überproportional die Belastungen durch Schließung von Kitas oder durch Probleme bei ambulanten Pflegedienstleistungen. Zum anderen werden von ihnen im Beruf weiterhin hohe Arbeitsleistungen erwartet.

Zudem sind Familien in dieser Situation in großer Sorge um die Gesundheit ihrer Familienmitglieder, insbesondere um die älteren Angehörigen.

Familien brauchen in dieser Situation entsprechende Unterstützung.

Stufenweise Öffnung der Kindertagesbetreuung

Insgesamt sieht die AGF die stufenweise Öffnung der Kindertagesbetreuung als einen wichtigen Baustein zur Entlastung von Familien mit kleinen Kindern. Gründe, die für eine schnelle stufenweise Öffnung der Kindertagesbetreuung sprechen, sind:

  • Familien tragen den Großteil der Belastungen der Corona-Krise und brauchen Unterstützung, um die wachsende Doppelbelastung von Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit zu bewältigen. Dies betrifft in besonderem Maß Alleinerziehende.
  • Bei Familien in schwierigen Lebens- und Wohnsituationen können Kontaktbeschränkungen und das Fehlen der institutionellen Betreuung hohe psychische Belastung mit sich bringen.
  • Kinder brauchen Kinder! Für die Entwicklung von Kindern ist der Kontakt zu Gleichaltrigen wichtig, um Freundschaften aufrechtzuerhalten, als Spiel- und Lernpartner und um ein gutes Sozialverhalten zu entwickeln. Kinder haben ein Recht auf Bildung und auf soziale Beziehungen.
  • Das Fehlen der institutionellen Betreuung kann zur Vertiefung von Bildungsungleichheiten führen, wenn Eltern ihren Kindern aufgrund hoher Belastungen oder fehlender Ressourcen keine lern-anregende Umwelt schaffen können. Auch der Spracherwerb von Kindern mit Eltern, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, kann beeinträchtigt werden.

Die AGF unterstützt das Ziel einer stufenweisen Öffnung der Kindertagesbetreuung unter Berücksichtigung der epidemiologischen Lage mit den Schritten: Eingeschränkte Notbetreuung, flexible und stufenweise Erweiterung der Notbetreuung, eingeschränkter Regelbetrieb, vollständiger Regelbetrieb.

Die Normalisierung des Kita- und Schulbetriebs wird voraussichtlich ein Prozess sein, der sich über einen längeren Zeitraum erstecken wird. Familien brauchen zeitliche Perspektiven und transparente Informationen, mit welchen Schritten der Öffnung für welche Familien wann zu rechnen ist und wie eine mittel- und langfristige Perspektive für sie aussieht. Dazu müssen Bundesregierung und Länder in möglichst kurzer Zeit Rahmenplanungen vorlegen, auch wenn mittel- und langfristige Terminplanungen unter dem Vorbehalt der Kontrollierbarkeit des Infektionsgeschehens stehen.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Wissensstands befürwortet die AGF einen kriterienbasierten Zugang zu den Angeboten der eingeschränkten Notbetreuung sowie der flexiblen und stufenweisen Erweiterung der Notbetreuung. Aus hygienischen Gründen und um die möglichen Kontakte zu reduzieren, sollte die Notfallbetreuung nur mit deutlich reduzierten Gruppengrößen stattfinden. Die Gruppen sollten keine Wechsel von Kindern untereinander haben und die Räume müssen geeignet sein, Kontakte zwischen den Gruppen zu reduzieren. Erzieher*innen sollten in der jetzigen Phase nicht zwischen den Gruppen wechseln. Diese Maßnahmen dienen nicht nur dem Schutz der Kinder und ihrer Familien, sondern besonders auch dem Schutz der Erzieher*innen, die zum Teil den gefährdeteren Altersgruppen ab 50 Jahre angehören oder auch Vorerkrankungen aufweisen können. Denn auch Erzieher*innen haben oft Familie.

Das Aufstellen von Kriterien für den eingeschränkten Zugang zur Betreuung über die Phasen der schrittweisen Öffnung ist zwangsläufig für Familien mit Härten und individuellen Ungerechtigkeiten verbunden. Trotzdem sieht auch die AGF vorläufig keine Alternativen zur kriterienbasierten Einschränkung bzw. Öffnung der Betreuung. Die AGF unterstützt die in der Diskussion befindlichen Kriterien für einen Zugang zur eingeschränkten Notbetreuung sowie der flexiblen und stufenweisen Erweiterung der Notbetreuung. Dies sind:

  • Kinder von Eltern, die in systemrelevanten Infrastrukturbereichen tätig sind
  • Kinder von erwerbstätigen Alleinerziehenden
  • Kinder, deren Elternteile beide erwerbstätig sind
  • Kinder in schwierigen Lebens- und Wohnverhältnissen
  • Kinder mit besonderem sozialpädagogischen Förderbedarf
  • Kinder mit erhöhtem Sprachförderbedarf und insbesondere Kinder mit Deutsch als Zweitsprache

Es muss kontinuierlich geprüft werden, ob im Zeitverlauf eine Öffnung für alle Kinder, dann jedoch mit eingeschränkter zeitlicher Nutzungsmöglichkeit, mit den gesundheitlichen Zielen vereinbar ist. So würde zum Beispiel ein Kitabesuch an einem oder zwei Tagen pro Woche es den Kindern aus den Familien, die zunächst nicht prioritär Zugang zur Notfallbetreuung haben, ermöglichen, soziale Kontakte zu Erzieher*innen und Freund*innen wiederaufzunehmen.

Die AGF unterstützt die Planungen, nach jedem Öffnungsschritt eine Zeitspanne von mindestens zwei Wochen zur Beobachtung des Ansteckungsgeschehens in der Bevölkerung vorzusehen, bevor weitere Öffnungsschritte erfolgen.

Die Kriterien, die den Zugang zur Betreuung bis zur vollständigen Öffnung der Kindertagesstätten und Schulen in einigen Monaten regeln, sind mit bedeutenden individuellen Einschränkungen und eventuell auch zusätzlichen psychischen Belastungen für diejenigen Familien verbunden, deren Kinder erst spät in die Betreuung zurückkehren können. Deshalb müssen für sie andere Entlastungsformen gefunden werden. Dazu können zum Beispiel einkommenssichernde Maßnahmen sowie weitere Entlastungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (erweitertes Elterngeld) gehören.

Beim Neustart die Zukunft mitdenken

Den Familienorganisationen ist bewusst, dass die derzeitige Lage und die Forderungen nach einer stufenweisen Öffnung für die Einrichtungen und vor allem für die Fachkräfte, eine große Herausforderung und Belastung ist. Sie dürfen daher bei der Bewältigung dieser Aufgaben nicht alleine gelassen werden und brauchen die entsprechende Unterstützung, die eine stufenweise Öffnung unter Bewahrung der nötigen Sicherheit- und Hygienekonzepte überhaupt erst möglich macht. Gleichzeitig sollte diese Ausnahmesituation dafür genutzt werden, neue Qualitätsansätze in den Einrichtungen zu erproben. Die AGF hat in ihrem Positionspapier zur Qualität in Kindertagesstätten (Download) auf entsprechende Notwendigkeiten hingewiesen. Auch haben sich Bund und Länder mit dem Gute-Kita-Gesetz auf eine Verbesserung der Qualität geeinigt. Bei den neuen Konzepten, die derzeit teilweise auch auf pragmatischem Wege gefunden werden, sollten diese Qualitätskriterien mitgedacht werden, um nicht nach der Krise wieder in alte Muster zurückzufallen.

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