Ein Hypnotiseur als diabolischer Verführer der Massen

Thomas Mann schrieb 1929, drei Jahre nach einem für ihn mit unangenehmen Erinnerungen verbundenen Italienurlaub am Meer, eine Novelle über diesen Aufenthalt: »Mario und der Zauberer«. Dass dieser kunstvolle, kleine Text heute als ein Hauptwerk Thomas Manns gilt, liegt zum einen an seiner formalen Qualität, zum anderen an seinem politischen Gehalt. Er beschreibt eine kranke, verführbare Gesellschaft, die nur allzu blind einer manipulativen, dämonischen Führerfigur folgt. Das war nicht nur vier Jahre vor der Machtübernahme durch Hitler in Deutschland prophetisch, sondern ist auch heute wieder erschreckend aktuell. Thomas Mann erklärte in Nachhinein, dass diese Novelle als seine »erste Kampfhandlung« gegen den Faschismus begriffen werden könnte.
»Mario und der Zauberer« kommt nun in einer Fassung von Regisseurin Nicole Buhr und Dramaturgin Dr. Mirjam Meuser auf die Bühne der BOXX. Die Premiere ist am 7. Dezember 2024. Die Bühnenfassung bleibt sehr nah an der kunstvollen Sprache und Erzählstruktur von Thomas Mann. Ausstatterin Gesine Kuhn zitiert mit ihren Kostümen die 1920/30er-Jahre. Das gesamte BOXX-Ensemble spielt dieses Stück: Cosima Fischlein, Magdalena Lehnen, Max Lamperti und Chris Carsten Rohmann.

Zum Inhalt

»Die Erinnerung an Torre di Venere ist atmosphärisch unangenehm. Ärger, Gereiztheit, Überspannung lagen von Anfang in der Luft, und zum Schluss kam dann der Choc mit diesem schrecklichen Cipolla, in dessen Person sich das eigentümlich Bösartige der Stimmung auf verhängnishafte Weise zu verkörpern und bedrohlich zusammenzudrängen schien.« Mit diesen Worten beginnt Thomas Manns Novelle »Mario und der Zauberer«. Er schildert die sich ausbreitende nationalistische Stimmung in Italien, die sich bis ins Privateste auswirkt: Der Ich-Erzähler macht Urlaub im Grandhotel im Badeort Torre di Venere. Eindeutig werden die Italiener bevorzugt behandelt. Er muss mit seiner Familie in einem schlechteren Raum speisen und wird wegen eines angeblich ansteckenden Hustens seines Kindes sogar gezwungen, aus seinem Apartment auszuziehen. Eigentlich hätte er da schon den Ort verlassen müssen. Aber er bleibt, und die Familie quartiert sich in die behagliche Pension Eleonora ein. Als seine achtjährige Tochter für einen kurzen Moment am Strand nackt ist, um ihren Badeanzug auszuspülen, reagieren die anderen Badegäste mit großer, sich zum Skandal steigernder Empörung. Es gibt aber auch einige freundliche Italiener wie den Kellner Mario zum Beispiel, der sie häufig bedient. Den treffen sie schließlich auf der groß angekündigten Schau des Hypnotiseurs Cipolla wieder.

Cipolla, ein verwachsener Mann mit bösen, stechenden Augen, scheint unendliche Macht über sein Publikum zu haben. Er zwingt einige der Zuschauer, unmögliche Dinge zu tun, führt sie vor und scheint ihren Willen zu brechen. »Die Freiheit existiert, und auch der Wille existiert, aber die Willensfreiheit existiert nicht, denn ein Wille, der sich auf seine Freiheit richtet, stößt ins Leere«, nimmt Cipolla den Besuchern der Show jegliche Hoffnung, ihm widerstehen zu können. Diejenigen, die er in Ruhe lässt, verfolgen mit angewiderter Faszination sein Treiben. Auch dem Ich-Erzähler ist es unmöglich, den Raum zu verlassen, obwohl er die Handlungen des Hypnotiseurs abstoßend findet und sie als unangenehm manipulativ durchschaut.

Schließlich schwadroniert Cipolla selbst über die unauflösliche Einheit von Befehlen und Gehorchen, der eine Gedanke sei in dem anderen einbegriffen, wie Volk und Führer ineinander einbegriffen seien. Als Mario das nächste Opfer von Cipollas bösartiger Manipulation wird, nimmt der Abend eine drastische Wendung. Mario erschießt Cipolla vor aller Augen.

Selbst erlebt

Vieles von dem, was Thomas Mann hier schildert, erlebte er 1926 im italienischen Badeort Forte del Marmi selbst: die Diskriminierung seiner Familie durch italienische Nationalisten, den erzwungenen Umzug aus dem Hotel in eine Pension, den Auftritt des bekannten Hypnotiseurs Cesare Gabrielli. Der letale Ausgang allerdings hat so nicht stattgefunden, wurde aber indirekt von seiner Tochter Erika so vorgeschlagen. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn der Kellner Mario den Hypnotiseur niedergeschossen hätte, soll sie gesagt haben.

Parabel auf heraufziehenden Faschismus

Thomas Mann verstand die Novelle zunächst als Kunstwerk und nicht als aktuelle politische Allegorie. Er selbst resümierte, dass er nicht vordergründig politisch warnend agieren, sondern die vergiftete Atmosphäre des faschistisch-nationalistischen Zeitgeistes einfangen wollte.

Später nahm er die Deutung an, dass man »Mario und der Zauberer« als Parabel auf den heraufziehenden Faschismus interpretieren könne, der in Italien mit Mussolinis Ernennung zum Ministerpräsidenten schon seit 1922 herrschte: Cipolla als Verführer und Lenker der Massen, dem man sich trotz innerer Widerstände nicht entziehen kann. Dass Thomas Manns dämonischer Zauberer unentwegt mit einer Reitpeitsche agiert, jenem Utensil, mit dem Adolf Hitler sich häufig in Szene setzte, ist nur eine der Gemeinsamkeiten. Auch, dass es sich bei Cipolla um einen äußerlich verwachsenen Außenseiter handelt und bei Hitler um einen in der Jugend erfolglosen und häufig zurückgewiesenen, vermeintlich verkannten Künstler, ist eine Übereinstimmung: Sie vereint die Rache der zu kurz Gekommenen, die, mit einem rhetorischen Talent und einem Gespür für die Verführbarkeit der Massen ausgestattet, die empfundene »Erniedrigung« mit einem ausgeprägten Machtgebaren wettmachen. Das Publikum respektive die Bevölkerung allerdings war dafür empfänglich. Die Menschen wurden nicht gezwungen, sondern in ihrem Inneren angesprochen. Das macht die Novelle mit Blick auf die Zeit kurz nach ihrer Entstehung und leider auch im Blick auf heute zu einem Seismographen gesellschaftlicher Verwerfungen. Allerdings zeigen sich faschistische Tendenzen heute eher in der manipulativen Verführungskraft der Propaganda als bei einzelnen charismatischen Verführern. Cipollas Kunst steht heute somit mehr für die Art und Weise, wie Manipulation, vor allem medial, eingesetzt wird, und wie leicht wir uns dadurch verführen lassen – für die mediale Hypnose sozusagen.

»Es gibt Menschen, die für ihre prognostische Kraft bewundert wurden und werden. Thomas Mann jedenfalls wird man angesichts der Erzählung ›Mario und der Zauberer‹ einen Sinn für die Bewegungen der gesellschaftlichen Tektonik, bevor auf der Oberfläche die Spannungen ausbrechen, kaum absprechen können. Es ist ein frühes Psychogramm der dem Faschismus verfallenen Gesellschaften«. Michael Hesse in der Frankfurter Rundschau, 5. Dezember 2022.

Premiere am 7.12.2024, 19 Uhr, BOXX des Theaters Heilbronn

Mario und der Zauberer
Nach der Novelle von Thomas Mann

Bühnenfassung von Nicole Buhr und Dr. Mirjam Meuser

Regie: Nicole Buhr
Ausstattung: Gesine Kuhn
Licht: Johannes Buchholz
Dramaturgie: Dr. Mirjam Meuser

Erzähler: Cosima Fischlein
Cipolla u. a.: Chris Carsten Rohmann
Mario u. a.: Max Lamperti
Signora Angiolieri u. a.: Magdalena Lehne

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