Stellungnahme zum Papier „Lehrermangel in Thüringen?“ von Prof. Merten, Uni Jena

Prof. Merten, Uni Jena, wollte mit seinem Papier „Lehrermangel in Thüringen?“ Daten und Fakten und vor allem Lösungen zu einem emotional(isiert)en Thema präsentieren. Leider ist ihm das nicht gelungen. Mit der pauschalen Verunglimpfung, Lehrkräfte würden sich wie in einem Selbstbedienungsladen durch Abminderungsstunden ihrer Unterrichtsverpflichtung entziehen, trägt er nicht dazu bei, das Problem des realen Lehrermangels auch nur im Ansatz zu lösen. Die Art und Weise, wie der Autor sich über Lehrkräfte äußert, weisen wir deutlich zurück. Weniger pauschale Kritik, dafür mehr Differenzierung und vor allem die Anerkennung der schulischen Realitäten wären für einen sinnvollen Debattenbeitrag einträglicher gewesen.

Die GEW Thüringen hat von Prof. Merten mehr erwartet. Er war von 2009 bis 2014 Bildungsstaatssekretär, in einer Position mit viel Gestaltungsspielraum, was die Verbesserung der überwiegend schlechten Arbeitsbedingungen der Thüringer Lehrer:innen betrifft. Diesen Gestaltungsspielraum hat er leider unzureichend genutzt, womit er an der aktuellen Misere nicht ganz unschuldig ist.

Die GEW Thüringen hofft, dass der Autor die Arbeitszeit- und Arbeitsbelastungsstudien der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen kennt. Nachweislich hat sich das Pflichtstundenmodell in der Gestaltung der Arbeitszeit von Lehrkräften seit der Kaiserzeit kaum verändert, mal ein paar Pflichtstunden mehr, mal ein paar weniger. Schon immer aber gehörte ein kaum definierter Teil von Aufgaben in das Tätigkeitsprofil von Lehrkräften. So zu tun, als wäre dies das Ergebnis der Entledigung von Unterrichtsverpflichtungen, ist mindestens unseriös, wenn nicht ahnungslos. 

Zudem machen die Studien deutlich: die Arbeitszeit von Lehrkräften ist mess- und damit auch eingrenzbar – also etwas, was die Thüringer Lehrer:innen und auch die GEW Thüringen seit langer Zeit einfordern. Laut der Studie „Niedersächsische Arbeitsbelastungsstudie 2016: Lehrkräfte an öffentlichen Schulen“[1] ist davon auszugehen, dass sich die Arbeitszeit von Lehrkräften wie folgt aufteilt: 35% Unterricht (inkl. betreuende Aufsicht), 27% unterrichtsnahe Lehrarbeit, 7% Funktionen und 31% weitere Tätigkeiten. Die sonstigen (außerunterrichtlichen) Verpflichtungen und Tätigkeiten werden als unabdingbar vorausgesetzt und nehmen mittlerweile ein Drittel und mehr der Gesamttätigkeit ein. Das aber ignoriert der Autor.

So benennt er beispielsweise auf Seite 43 des Papiers diese in der Realität umfangreichen und vielfältigen Aufgaben in nur zwei Zeilen. Und auf Seite 48 schreibt er: „Mit anderen Worten: Thüringer Lehrerinnen und Lehrern wird zur Bestreitung ihrer sonstigen Aufgaben ein deutlich größerer Teil der Arbeitszeit eingeräumt, als dies für die Durchführung von Unterricht vorgesehen ist.“ Weiß er es nicht besser? Macht der Autor das aus Absicht oder aus Unkenntnis?

Die Ausführungen zur wöchentlichen Arbeitszeit (40 Stunden pro Woche) sind schlichtweg falsch. Wir hoffen, dass der Autor sehr wohl weiß, dass die unterrichtsfreien Tage, die nicht Urlaubsanspruch sind, in die Unterrichtszeit umgelegt werden und Lehrkräfte in Vollzeit daher eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 46 Stunden ableisten. Die weiter oben erwähnte Studie zeigt deutlich, dass schulartübergreifend eine höhere IST-Arbeitszeit als SOLL-Arbeitszeit erreicht wird, die allerdings häufig nicht dem konkreten Unterricht zugutekommt.

Nicht zuletzt mangelt es dem Papier an etlichen Differenzierungen. Die Schüler:innenzahl unterscheidet sich deutlich zwischen Städten und ländlichem Raum. Die Schülerschaft ist heterogener geworden, sozialökonomische Herausforderungen verteilen sich ungleich auf die Schulen und Schularten. Es ist messbar heterogener geworden, als es Anfang der 1990er Jahre der Fall war. In der Folge verteilen sich die sozialökonomischen Herausforderungen ungleich auf die Schulen und die Schularten. Ebenso unterschlägt der Autor die Wirkungen der Beschulung von Schüler:innen mit Migrationshintergrund, die Anforderung an die inklusive Beschulung im Gemeinsamen Unterricht findet kaum Beachtung und die Belastungen der Corona-Pandemie ebenso. Wenn man undifferenziert betrachtet, kommen nur pauschale, aber damit leider unzutreffende Schlussfolgerungen heraus.

Der Geschäftsführende Vorstand der GEW Thüringen hat sich mit den vorliegenden Daten und Fakten und den Ableitungen daraus befasst. Es ist bedauerlich, dass neben durchaus interessanten Anregungen das Fazit auf einen pauschalen Vorwurf an alle Lehrkräfte hinausläuft. Wir weisen das aus den genannten Sachgründen und in Verantwortung für unsere Mitglieder und für alle Lehrkräfte zurück. Es ist peinlich, wie der Autor die Augen vor der hohen Belastung der Lehrkräfte verschließt, die Zahl der Langzeitkranken ausblendet und den Lehrkräften eine zweckwidrige Verwendung der ihnen zustehenden Anrechnungsstunden unterstellt.

Mit diesem Unverständnis und dieser Unkenntnis der Arbeit der Lehrer:innen beschädigt der Autor leider einen der schönsten Berufe, der Zukunft gestaltet und möglichst allen Kindern und Jugendliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet.

[1] Mußmann, Frank; Hardwig, Thomas; Riethmüller, Martin (2017): Niedersächsische Arbeitsbelastungsstudie 2016: Lehrkräfte an öffentlichen Schulen. Unter Mitarbeit von Stefan Peters, Marcel Parciak, Ilka Charlotte Ohms und Stefan Klötzer. Göttingen: Georg-August-Universität Göttingen, Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften.

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