Ein unerwarteter Beginn
Manchmal klingelt das Leben buchstäblich an der Tür. Man öffnet, und ein neues Abenteuer beginnt.
So jedenfalls kam es, dass mein Sohn Maris Teil der Papillons wurde: Nach einem Umzug hatten wir unsere ehemalige Nachbarin, Regisseurin Christine Vogt, zufällig in der Nähe getroffen. Ein kleiner Plausch, ein paar Schritte bis zu unserer neuen Adresse. „Ach hier wohnt Ihr jetzt“, sagt Christine. Sie gibt mir ihre Karte und erzählt von ihrem Theaterprojekt in einem Pflegewohnheim.
Die Einladung, die alles veränderte
Kurze Zeit später arbeite ich mit einem verstauchten Fuß von zu Hause aus. Es klingelt an der Tür – die Treppen herauf kommt Christines Mann Michael. Ich bin mehr als erstaunt, denn obwohl wir viele Jahre lang Nachbarn waren, hatten wir kaum jemals mehr als einen kurzen Gruß ausgetauscht.
Ob Maris vielleicht Interesse hätte, zusammen mit alten Menschen Theater zu spielen, möchte Michael wissen. Er erzählt, dass viele von ihnen Demenz haben. Auch meine Mutter leidet an Demenz. Die Krankheit und viele der Probleme, die sie mit sich bringt, begleitet meinen Alltag seit zwei Jahren auf oft schmerzliche Weise. Maris vermisst seine Oma, so wie sie früher war, begleitet diesen zunehmend hilflosen Menschen aber auf eine ganz liebevolle, fürsorgliche und humorvolle Art.
Ein neues Abenteuer für Maris
Maris, zu dem Zeitpunkt sieben Jahre alt, möchte unbedingt bei den PAPILLONS mitmachen. Schon das Kennenlern-Wochenende begeistert ihn. Er habe einen neuen besten Freund und auch alle anderen Kinder und Jugendlichen seien toll, berichtet er. Auch mit den alten Menschen passt es sofort, „weil man sich mit ihnen so gut unterhalten kann“.
Seine Spielpartnerin heißt Fatima. Irgendetwas verbindet diese beiden Seelen. Er erzählt, wie Fatima bei den Proben immer „Butterfly“ singt – so schön, dass er sich heimlich eine Träne wegwischen muss. Außerdem erzählt er, dass Fatima in dem Stück von ihrem Mann spricht und davon, dass er sie tatsächlich nach seinem Tod noch einmal besucht.
Die Premiere: Ein unvergessliches Erlebnis
Juni 2024: „Die Anprobe“ feiert Premiere. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet und bin so gespannt, ob ein Projekt wie dieses funktionieren kann. Regisseurin Christine hält eine kleine Ansprache und stimmt uns auf den 1. Akt ein. Das Stück beginnt mit einer Art Tour durch die Szenerie, danach werden die Plätze eingenommen. Schon als wir eintreten, hab‘ ich einen Kloß im Hals. Die Musik, die liebevoll gestalteten Settings der Akteurinnen und Akteure, die Kostüme, und vor allem: Das Gefühl, die Stimmung, und die Chemie zwischen den alten und jungen Akteuren, ergreifen mich und halten mich bis zum Schlussapplaus fest.
Die Begegnung von Jung und Alt
Es ist ein Stück, auf das man sich einlassen muss, eine Herausforderung. Hier passiert etwas völlig abseits vom Mainstream, und ich spüre, ich muss meine Sehgewohnheiten komplett umkrempeln. Alte Menschen, die in Pflegewohnheimen leben, werden zwar noch von Verwandten und Freunden besucht. Für den Rest der Gesellschaft sind sie aber so gut wie unsichtbar. Bei den PAPILLONS werden sie in die Mitte der Gesellschaft, ins Rampenlicht geholt. Ihre Persönlichkeit und ihre Geschichten, die ihre Identität geprägt und ihnen Wert und Würde verliehen haben, dürfen nochmal leuchten. Und der Tod schwingt mit in diesem Theater. Viel eher tröstlich als tragisch ist der Blick auf dieses Thema, vor dem wir im Alltag aus Hilflosigkeit oder Überforderung die Augen verschließen. Es wird aber auch stellenweise sehr lustig. Die Szenen sind so vielfältig wie das Leben selbst. Ich lache und vergieße Tränen.
Respekt und Ernsthaftigkeit im Spiel
Besonders intensiv erlebe ich die Ernsthaftigkeit der Kinder, mit der sie den Alten zu ihren Szenen verhelfen. Ich spüre auch ihren Respekt vor dem langen Leben ihrer Spielpartnerinnen und Spielpartner.
Ein unvergesslicher Abschied
Maris hat unglaublich viel aus dieser Erfahrung mitgenommen. Ich kann Christine und allen anderen Beteiligten nur meinen größten Dank für diese wertvolle Arbeit aussprechen. Mir bleibt es ein Rätsel, wie sie und ihr Team es schaffen, all die losen Enden tatsächlich in ein Stück zu gießen. Fatima ist wenige Wochen nach den Aufführungen verstorben. Maris nimmt regelmäßig das große Foto von ihr aus dem Regal, und ist sich sicher, dass sie ihn genau so wenig vergessen wird wie er sie.
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