Den körperlichen und psychischen Stress rund um Operationen minimieren und alles tun, damit operierte Patient:innen sich möglichst schnell erholen können – das ist ein seit Jahren etablierter Trend in vielen chirurgischen Fächern. In Fachkreisen ist von Fast-Track-Chirurgie oder ERAS-Konzepten die Rede (ERAS: enhanced recovery after surgery). Ziel ist die schnelle Genesung der Patient:innen, so dass sie möglichst keine oder eine nur kurze intensivmedizinische Betreuung benötigen und rasch wieder in ihre häusliche Umgebung zurückkehren können. Realisiert wird das durch optimierte Operationsvorbereitung der Patient:innen, zum Beispiel mit einem angepassten Ernährungskonzept, durch schonende Operations- und Narkosemethoden sowie mit einer durchdachten und multiprofessionellen Betreuung nach der Operation. International sind dazu fachspezifische ERAS-Protokolle entwickelt worden.
Das Deutsche Herzzentrum der Charité (DHZC) in Berlin bietet seit 2021 mit ERMICS (Enhanced Recovery After Minimally Invasive Cardiac Surgery) ebenfalls ein solches Protokoll für Herzchirurgie-Patient:innen an. Das aus mehreren Komponenten bestehende Programm ERMICS ist in den vergangenen Jahren systematisch weiterentwickelt und wissenschaftlich untersucht worden [1]. Seine Effektivität wird nun in einer prospektiv-randomisierten Studie [2] noch eingehender geprüft, gefördert mit Mitteln der Dr. Rusche-Projektförderung der Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF) und durchgeführt von Dr. Leonard Pitts und dem ERMICS-Team der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie des DHZC. „Das Forschungsvorhaben von Dr. Pitts und dem ERMICS-Team ist vielversprechend und wichtig für die Lebensqualität und Sicherheit von Patient:innen, weil es tiefergehende Erkenntnisse unter anderem zu Patientenzufriedenheit, funktioneller Erholung und Entzündungs- und Stressreaktion liefern könnte“, betont der Herzchirurg und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der DSHF, Prof. Dr. Armin Welz. Bei ERMICS handelt es sich um ein Partnerprojekt der DHZC-Kliniken für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie (Direktor: Prof. Dr. Volkmar Falk) sowie für Kardioanästhesiologie und Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Benjamin O‘Brien). Beteiligt ist außerdem das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE).
Kürzer im Krankenhaus, weniger Entzündungs- und Stressreaktion bei gleichbleibender Sicherheit
Geplant ist, dass 128 Patient:innen an der Studie teilnehmen, die eine neue Aortenklappe (Herzklappe zwischen linker Herzkammer und Hauptschlagader) oder eine neue Mitralklappe (Herzklappe zwischen linkem Herzvorhof und linker Herzkammer) erhalten sollen. Die Hälfte von ihnen durchläuft das ERMICS-Programm, wobei die Patient:innen bereits am Abend nach der Operation vom Aufwachraum auf die Normalstation verlegt werden und nicht Tage auf der Intensivstation verbringen müssen (Tag-Null-/Day-Zero-Konzept: ERMICS-D0). Die andere Hälfte der Patient:innen erhalten die bisher übliche perioperative Standardbetreuung.
„Wir gehen davon aus, dass bei gleichbleibender Sicherheit das ERMICS-D0-Programm die Zeit des Krankenhausaufenthaltes verkürzt und die Entzündungs- und Stressreaktion sowie den operationsbedingten Muskelabbau verringert“, sagt Dr. Pitts vom DHZC. Damit könne die körperliche Belastbarkeit nach chirurgischer Herzklappen-Operation rascher wiederhergestellt werden als mit der bisherigen Standardversorgung. „Es geht heute nach Herzoperationen nicht mehr nur ums Überleben, sondern um schnellere Erholung, weniger Schmerzen und eine zügige Rückkehr in den Alltag“, erklärt der angehende Herzchirurg und wissenschaftliche Mitarbeiter des Studienteams.
Wurde früher noch das Brustbein gespalten, um Herzklappen implantieren zu können, erfolgt heute bei geeigneten Fällen ein minimaler Schnitt am rechten Brustkorb. Dies reicht häufig aus, um die neue Klappe in das Herz zu bringen und zu fixieren – eine deutlich schonendere Operationsmethode als früher. Die geringere Invasivität des Eingriffs ermöglicht zudem ein vergleichsweise schonenderes Narkoseverfahren. „Die Entzündungsreaktion nach der Op und die damit verbundene Morbidität der Patient:innen ist bislang allerdings noch ein Problem, mit dem wir umgehen müssen“, räumt Dr. Pitts ein.
Strukturierte Ärzte-Teamarbeit: Schlüssel zur rascheren Patienten-Wiederherstellung?
Eben hier setzt das ERMICS-D0-Programm an: schonende Anwendung der Herz-Lungen-Maschine während der Operation, optimierte Ernährung für einen schnelleren Kraftaufbau nach der Operation, zielorientierte Infusionstherapie, ein multimodales Schmerztherapiekonzept, rasche Entwöhnung von der maschinellen Beatmung nach der Op, ganzheitliche Physiotherapie und baldiger Kontakt zu Angehörigen – das sind wesentliche Komponenten des Versorgungsprotokolls. Dessen Umsetzung erfordert die strukturierte Zusammenarbeit aller Kolleg:innen der Herzchirurgie, Anästhesiologie, Pflege, Physiotherapie und anderen. Für einen reibungslosen Ablauf der perioperativen Versorgung sorgt die/der ERAS-Koordinator:in.
Der Fokus liegt damit auf der Lebensqualität herzkranker Menschen. „Ich bin überzeugt davon, dass wir mit dem ERMICS-D0-Programm den Schlüssel in der Hand halten, um die Patient:innen noch besser versorgen zu können“, erklärt Dr. Pitts. Genauer werde man das in zwei bis drei Jahren wissen, wenn die Studie abgeschlossen und ausgewertet worden ist.
(tm/wi)
Literatur
[1] Pitts L, Dini M, Goecke S et al. Enhanced recovery after minimally invasive cardiac surgery following a zero ICU concept – a propensity score-matched analysis. Eur J Cardiothorac Surg 2024;66(6):ezae439. Doi:10.1093/ejcts/ezae439
Goecke S, Pitts L, Dini M et al. Enhanced Recovery After Cardiac Surgery for Minimally Invasive Valve Surgery: A Systematic Review of Key Elements and Advancements
Medicina 2025, 61(3), 495; https://doi.org/10.3390/medicina61030495
[2] Titel des Forschungsvorhabens: “Enhanced Recovery after Minimally Invasive Cardiac Surgery following a Day Zero concept (ERMICS-D0)”
Forschung nah am Patienten
Dank der finanziellen Unterstützung durch Stifterinnen und Stifter, Spender und Erblasser kann die Deutsche Herzstiftung gemeinsam mit der von ihr 1988 gegründeten Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF) Forschungsprojekte in einer für die Herz-Kreislauf-Forschung unverzichtbaren Größenordnung finanzieren. Infos zur Forschungsförderung der Deutschen Herzstiftung: www.herzstiftung.de/forschung-und-foerderung
Die 2008 eingerichtete „Dr. Rusche-Projektförderung“ ist mit 60.000 Euro dotiert und wird jährlich von der DSHF zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) vergeben. Benannt ist der Stiftungsfonds nach dem Internisten Dr. Ortwin Rusche (1938 bis 2007) aus Bad Soden, der die DSHF in seinem Testament bedachte, um Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Herzchirurgie zu fördern. Bewerben können sich junge Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler, die in Deutschland auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie tätig sind. Infos: https://www.dshf.de
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