Weltweit suchen Forscher nach Alternativen zu den herkömmlichen fossilen Energieträgern: Die sind nicht unbegrenzt verfügbar, umweltschädlich und teuer. Brennstoffe, die regenerativ, sauber und kostengünstig erzeugt werden können, sind das Gebot der Stunde. Solare Brennstoffe, die mit erneuerbarer Energie hergestellt werden, ermöglichen es, die Sonnenenergie in Form von chemischen Bindungen zu speichern, beispielsweise in Wasserstoffmolekülen, und dies vollkommen frei von schädlichem Kohlenstoffdioxid. In Wasserstoff sehen viele den Energieträger der Zukunft. Wasserstoff kann als Gas und Flüssigkeit gespeichert und in tragbaren Tanks oder über Wasserstoff-Pipelines transportiert werden. Bei der Reaktion mit Sauerstoff erzeugt Wasserstoff lediglich Wasser, Wärme und Strom. Und da er keinen Kohlenstoff enthält, entsteht kein schädliches Kohlendioxid.
Als Königsweg zur Produktion solarer Brennstoffe gelten sogenannte photoelektrochemische Zellen. Um zum Beispiel Wasserstoff herzustellen, werden Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Dies geschieht mit Hilfe halbleiterbasierter Materialien: Sie absorbieren im Halbleiter die Sonnenenergie, die in Elektronen umgewandelt werden, die sich, genau wie die Elektronen im Strom, zum gewünschten Gerät bewegen können, um es mit Energie zu versorgen – der entscheidende Schritt für die Gewinnung von „sauberer“ elektrischer Energie.
Solche Photoabsorber gibt es bereits, sie basieren auf einer Kombination aus sogenannten III-V-Halbleitern und Silizium, einem Material, das fast unbegrenzt verfügbar ist und nahezu ideale physikalisch-chemische Eigenschaften für den Energieumwandlungsprozess besitzt. Doch diese Systeme haben einen entscheidenden Nachteil: Kommen der III-V-Halbleiter oder Silizium mit einem Elektrolyten in Kontakt, korrodiert das Material oder löst sich sogar im Elektrolyten auf. Um das System robust und zuverlässig zu machen, werden die Zellen mit einer Schutzschicht versehen und um die gewünschte chemische Reaktion zu steuern, wird ein Katalysator integriert. Doch auch solche optimierten Systeme sind nur wenige Stunden stabil, da die Stabilität von der Materialzusammensetzung sowohl der Schutzschicht, als auch des Katalysators abhängt. Zudem führen beide Komponenten, Schutzschicht und Katalysator, zu zusätzlichen Effizienzverlusten.
Im Institut für Physik der TU Ilmenau arbeitet eine von sieben vom Bundesforschungsministerium geförderten Nachwuchsforschungsgruppen im Rahmen der Fördermaßnahme SINATRA daran, die Oberflächen von Halbleitern gezielt zu manipulieren. Im Projekt PARASOL („Passivierungsschutzschichten für Multiabsorber: Hochleistungsbauelemente für die photoelektrochemische Herstellung von Solarbrennstoffen“) entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Dr. Agnieszka Paszuk dünne, stabile und effiziente Schutzschichten aus Metalloxiden für photoelektrochemische Zellen.
Die Übergänge von einem Material zum anderen, die so genannten Grenzflächen, sind das kritischste Problem, das es für Dr. Paszuk und ihr Team zu lösen gilt. Unter Grenzfläche versteht man die Grenze zwischen zwei Raumbereichen, die von unterschiedlicher Materie oder von Materie in unterschiedlichen physikalischen Zuständen eingenommen werden. Eine Grenzfläche ist also keine geometrische Oberfläche, sondern eine dünne Schicht, die andere Eigenschaften als das Hauptmaterial auf beiden Seiten der Grenzfläche hat. Bei der Verwendung von III-V Halbleiter und Passivierungsschutzschichten aus Metalloxid in den Bauelementen kommen Materialgruppen zusammen, die verschiedenen Halbleiterfamilien angehören. „Das ist deswegen ein Problem,“ so Dr. Agnieszka Paszuk, „weil es bei einer ungenauen Zusammenführung dieser Materialien bei der Energiegewinnung zu Leistungseinbußen kommt. Wir machen uns jetzt auf die Suche nach dem optimalen Material und nach der idealen Zusammensetzung, Kristallinität und Oberflächenmorphologie der Metalloxid-Passivierungsschicht. Damit werden wir nicht nur stabile Bauelemente, sondern auch einen stabilen Ladungstransport in einer solchen Schicht erzielen.“
Um Stabilität und Effizienz der photoelektrochemischen Zellen zu maximieren, muss das Forschungsteam die Grenzfläche zwischen solchen Passivierungsschichten und dem III-V-Halbleiter auf atomarer Ebene untersuchen. Dies geschieht im Zentrum für Mikro- und Nanotechnologien in einem der größten Universitätsreinräume Europas mit modernster Technologie: einer Kombination aus in situ optischer Spektroskopie und Photoelektronenspektroskopie. Für stabile und effiziente photoelektrochemische Zellen muss aber, wie Dr. Agnieszka Paszuk weiß, noch ein weiteres Problem gelöst werden: „Um die komplexen Verluste der Photospannung und die Ladungsträgerdynamik an den kritischen Grenzflächen verhindern zu können, müssen wir die Zel-len im Kontakt mit einem Elektrolyten unter realistischen Arbeitsbedingungen untersuchen – eine wirkliche Herausforderung, aber nötig, um die elektronischen Zustände und die chemischen Veränderungen an der Grenzfläche Festkörper/Flüssigkeit genau zu verstehen.“
Gelingt das „SINATRA: PARASOL“-Projekt, hat die wettbewerbsfähige Umwandlung von Sonnenenergie in grünen Wasserstoff mannigfaltige Anwendungsmöglichkeiten: Gespeichert in großen Reservoirs und verteilt über spezielle Wasserstoffpipelines, wird die neue Technologie zur Stabilisierung der Energieversorgung beitragen. Großtechnische industrielle Verfahren werden ebenso davon profitieren wie Fahrzeugantriebe und die verschiedensten mobilen und stationären Anwendungen von neuartigen Brennstoffzellen auf Basis von grünem Wasserstoff.
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