Biodiversität in die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen integrieren: eine Herausforderung für Unternehmen und Forschung

Biodiversität – also die Vielfalt an Arten und Ökosystemen – ist die Grundlage für unsere menschliche Existenz und leistet einen wesentlichen Beitrag für die Wirtschaft. Für Unternehmen greifen seit 2023 rechtlich verbindliche Vorgaben der Europäischen Union (EU), die sie dazu verpflichten, ab dem Berichtsjahr 2024 ihre Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von Biodiversität in jährlichen Nachhaltigkeitsberichten offenzulegen. Somit entstehen neue Anforderungen an die Erfassung von Biodiversität und Ökosystemleistungen in Unternehmensprozessen: Einerseits sollen entsprechende Kennzahlen für Unternehmen entscheidungsrelevant sein, andererseits muss deren Erfassung wissenschaftlich robust und kosteneffizient sein. Hält die Wissenschaft Methoden und Informationen bereit, die eine solche passgenaue Anwendung in Unternehmen möglich machen?   

Biodiversität und Ökosystemleistungen ermöglichen die Produktion von Nahrung, Energie und Rohstoffen, die wiederum Basis für viele Produktionsprozesse sind. Sie regulieren die Verfügbarkeit und die Qualität von Wasser, puffern Extremereignisse und unterstützen Maßnahmen für Klimaschutz und Anpassung. Wirtschaftliche Aktivitäten sind jedoch oft Treiber für eine intensive Landnutzung sowie die direkte Entnahme von Arten und tragen zu Klimawandel, Verschmutzung und der Verbreitung invasiver Arten bei – durch global aufgestellte Lieferketten und Handelsströme oft auch weltweit. Die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Biodiversität treiben den Verlust von Arten und die Degradation von Ökosystemen voran und führen zu negativen Folgen für die Bereitstellung von Ökosystemleistungen. Dies ist nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein wirtschaftliches Risiko, wie der Weltbiodiversitätsrat IPBES in seinem 2019 veröffentlichten Global Assessment Report attestiert (Summary for policy makers, S. 22). Während bisher Finanzkennzahlen die Entscheidungen in Unternehmen steuern, spielen Informationen zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in Unternehmensstrategien keine oder kaum eine Rolle. 

Dies ändert sich jedoch mit rasanter Geschwindigkeit, weil neue rechtlich verbindliche Anforderungen auf politischer Ebene und privatwirtschaftliche Initiativen zur Biodiversitätsberichterstattung in Unternehmen etabliert werden. Das stellt nicht nur die Unternehmen, sondern auch  die Biodiversitätsforschung vor neue Herausforderungen: Zum einen werden Unternehmen verpflichtet, ihre Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von Biodiversität offenzulegen: Das "Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF)", das auf der CBD-Vertragsstaatenkonferenz im Dezember 2022 verabschiedet wurde, gibt den Mitgliedstaaten das Mandat, Regeln für die Offenlegung in Unternehmen zu etablieren (Target 15). In der EU wurden hierzu die European Sustainability Reporting Standards verabschiedet. Sie geben als Teil der EU Corporate Sustainability Reporting Directive Unternehmen verbindliche Standards für die Biodiversitätsberichterstattung vor, welche sich sowohl auf die eigenen Standorte als auch die Lieferketten beziehen. Dies betrifft bis zu 50.000 Unternehmen, Versicherungen und Kreditinstitutionen in der EU, rund 15.000 Unternehmen in Deutschland sowie zahlreiche außereuropäische Unternehmen mit wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb der EU. 

Zum anderen erkennen Zentralbanken, Finanzinstitutionen und Unternehmen den Verlust von Biodiversität zunehmend als systemisches Risiko für wirtschaftliche Aktivitäten. So haben private Finanzinstitutionen Initiativen wie die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures auf den Weg gebracht, um ihre Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von Biodiversität für die eigenen Standorte und Lieferketten zu erfassen. Eine Berichterstattung möglicher Risiken durch den Verlust von Natur wird somit nicht nur durch politische Vorgaben forciert, sondern auch von Marktakteuren vorangetrieben, um sich den Herausforderungen einer nachhaltigen Wirtschaft zu stellen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Zudem entwickeln Organisationen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen mit Unternehmen unter dem Dach des Science-Based Target Networks Kennziffern für Ziele und Indikatoren für Biodiversität und Ökosysteme. Sie sollen es Unternehmen ermöglichen, die UN-Biodiversitätsziele in ihren Unternehmensstrategien zu etablieren und deren Erreichung mit Kennzahlen zu messen. Dies betrifft insbesondere die Reduktion des Flächenverbrauchs sowie die Förderung von Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ökosystemen und deren Leistungen.   

Bei all diesen Ansätzen ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der Biodiversitätsforschung an wissenschaftliche Genauigkeit, Vergleichbarkeit und Konsistenz der Datenerhebung einerseits sowie der Praktikabilität eines Biodiversitätsmonitorings bei gleichzeitiger Entscheidungsrelevanz für Unternehmen andererseits. Die unterschiedlichen Wirtschaftssektoren und Produktionsprozesse erfordern passgenaue Ziele, Methoden und Kennzahlen. Diese müssen es den Unternehmen erlauben, die Umsetzung von Maßnahmen und Strategien in Bezug auf die eigenen Standorte als auch die Lieferketten messbar und damit für Unternehmensentscheidungen greifbar zu machen. Gleichzeitig müssen sie allgemein genug sein, um eine Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen zu ermöglichen und sektorübergreifende Aussagen zur Nachhaltigkeit zu treffen.

Diese doppelte Anforderung stellt die Forschung vor neue Herausforderungen: Während die Biodiversitätsforschung über viele Methoden, Indikatoren und Modelle verfügt und stetig nach größerer Genauigkeit strebt, ist es nicht gewiss, dass diese wissenschaftlichen Ansätze zu den Anforderungen in den Unternehmen passen und entscheidungsrelevante Informationen liefern. Auf diese Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung sollte die Forschung eingehen und die Unternehmen mit praktikablen Methoden und relevanten Informationen unterstützen. Gleichzeitig werden Unternehmen als Teil der Nachhaltigkeitsberichterstattung in Zukunft viele Daten zu Biodiversität und Ökosystemleistungen liefern, die relevant für die Biodiversitätsforschung sein können. Hier gilt es für die Forschung, gemeinsam mit Unternehmen praktikable Ansätze zu entwickeln.       

Während Citizen Science – das Erfassen wissenschaftlicher Daten durch Bürgerinnen und Bürger – einen etablierten Bereich der Biodiversitätsforschung darstellt, werden in Zukunft auch Unternehmen Informationen zu Biodiversität erfassen – dementsprechend wird "Business Science" an Bedeutung gewinnen. Aktuell erleben wir durch die neuen rechtlichen Anforderungen ein "Mainstreaming" von Biodiversität in die Wirtschaft. Die Biodiversitätsforschung ist dabei gefordert, die Entwicklung wissenschaftlich robuster, kosteneffizienter Methoden für die Erfassung von Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von Biodiversität voranzutreiben. So wird die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen umsetzbar und kann gleichzeitig als ein verlässlicher Kompass für eine nachhaltigere Wirtschaft dienen. 

Dr. Johannes Förster forscht an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu den Themen Klimawandel, Biodiversität und der Integration von Ökosystemleistungen (und deren monetären Werte) in Entscheidungsprozesse. Sein aktuelles Projekt Bio-Mo-D fokussiert auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen.

Weitere Informationen:
Vom 31. Januar bis 1. Februar 2024 fand auf Initiative des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) die Konferenz "Sustainable Finance & Biodiversity" statt, bei der die Nachhaltigkeitsberichterstattung zentrales Thema war.

Über Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
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