Die herkömmliche Suche nach Wirkstoffen folgt dem Trial-and-Error-Prinzip, bei dem Wissenschaftler:innen auf Basis bekannter chemischer Reaktionen versuchen, neue Wege zur Herstellung von Wirkstoffen abzuleiten. Dieser Ansatz ist nicht nur zeitaufwendig, sondern auch von hoher Unsicherheit geprägt. Hier setzt das gemeinsame Projekt der ETH Zürich und Roche an, indem es eine KI-basierte Methode einführt, die auf vorhandene Datenbanken von chemischen Reaktionen und Erfolgsquoten zugreift.
Pharmazeutische Wirkstoffe bestehen aus komplexen Kohlenstoff-Gerüsten, an die funktionelle Gruppen gebunden sind, welche die biologische Wirkung des Medikaments ermöglichen. Die Herausforderung besteht darin, diese funktionellen Gruppen in eine spezifische geometrische Ausrichtung zu bringen, um ihre gezielte Wirkung zu gewährleisten. Die KI übernimmt die Aufgabe, potenzielle Borylierungsstellen in neuen Molekülen zu identifizieren, wobei sie auf einen umfangreichen Datensatz von chemischen Reaktionen zurückgreift, der durch Experimente und automatisierte Labore von Roche erweitert wurde.
Die KI wurde mit 38 ausgewählten Arbeiten trainiert, die 1380 Borylierungs-Reaktionen beschreiben. Durch die Integration von 1000 weiteren Reaktionen aus dem automatisierten Labor von Roche wurde die KI weiter verfeinert. Die Validierung im Labor, anhand von sechs bekannten Wirkstoffmolekülen, zeigte eine erstaunliche Erfolgsrate, wobei die KI in fünf von sechs Fällen die experimentellen Ergebnisse korrekt vorhersagte. Besonders bemerkenswert war die Zuverlässigkeit der KI bei der Identifizierung von Gerüststellen, an denen keine Aktivierung möglich ist.
Aktuell setzt Roche diese KI-Methode bereits erfolgreich ein, was auf die praktische Anwendbarkeit und das Potenzial dieses innovativen Ansatzes hinweist. Die Forschenden der ETH Zürich denken bereits über zukünftige Anwendungsmöglichkeiten nach, darunter die Erweiterung der KI auf die Identifikation weiterer Aktivierungsreaktionen und die Integration zuverlässigerer Reaktionsdaten.
Dieser Durchbruch in der Arzneimittelentwicklung könnte nicht nur die Effizienz und Zuverlässigkeit der Wirkstoffsuche erhöhen, sondern auch zu einer beschleunigten Markteinführung neuer Medikamente führen, was letztendlich einen positiven Einfluss auf die Patientenversorgung und die Gesundheitsbranche insgesamt haben könnte.
Kommentar:
Der vorgestellte Fortschritt in der Arzneimittelentwicklung durch die KI-Methode der ETH Zürich und Roche markiert einen entscheidenden Schritt in Richtung einer effizienteren und präziseren Medikamentenforschung. Die traditionelle Herangehensweise an die Wirkstoffentwicklung, die oft von langwierigen Experimenten und einer hohen Fehlschlagquote begleitet ist, erhält durch die Integration künstlicher Intelligenz einen dringend benötigten Modernisierungsimpuls.
Die Fähigkeit der KI, potenzielle Borylierungsstellen in neuen Molekülen zu identifizieren und experimentell getestete Ergebnisse präzise vorherzusagen, verspricht nicht nur eine erhebliche Zeitersparnis, sondern auch eine Verringerung der Kosten für die Medikamentenentwicklung. Dieser technologische Fortschritt könnte nicht nur die Effizienz der Forschung steigern, sondern auch die Entdeckung neuer Wirkstoffe beschleunigen, was für Patienten weltweit von entscheidender Bedeutung ist.
Der erfolgreiche Einsatz der KI-Methode durch Roche unterstreicht die Praxistauglichkeit dieser Innovation und gibt Anlass zur Hoffnung auf weitere bahnbrechende Entwicklungen in der pharmazeutischen Industrie. Die Bereitschaft der Forschenden, die KI weiter zu verbessern und auf neue Anwendungsgebiete auszudehnen, zeigt das enorme Potenzial dieser Technologie für die Zukunft der Medikamentenentwicklung.
Insgesamt könnte dieser technologische Durchbruch nicht nur die Art und Weise, wie wir Medikamente entwickeln, transformieren, sondern auch einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung und der Gesundheitsbranche insgesamt leisten. Es bleibt zu hoffen, dass solche Innovationen weiterhin gefördert und unterstützt werden, um die Zukunft der medizinischen Forschung und Behandlung zu gestalten.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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