Die Vorträge und Diskussionen im Einzelnen
Birgit Schulze-Ehlers von der Georg-August-Universität Göttingen erläutert die Bedeutung der Kennzeichnung für ein nachhaltiges Ernährungsverhalten. „Labels müssen intuitiv sein, schnell erkennbar und einfach verständlich. Dann kann ein Label das Verbraucherverhalten ändern. Es kann sowohl zum Kauf anregen, aber auch dafür sorgen, dass ein Produkt nicht gekauft wird.“ Hans Kaufmann vom Bundesverband Naturkost Naturwaren sieht ebenfalls große Chancen einer einfachen und verständlichen Kennzeichnung, wie durch den Planet Score. Noch fehle es aber an eindeutigen und harmonisierten Regelungen: „Der politische Wille ist noch nicht da, das Thema Nachhaltigkeitskennzeichnung voranzubringen.“ Er fordert: „Unser Ziel muss es sein, aus dem Label-Dschungel herauszukommen, allein in Deutschland gibt es über 70 Labels für Nachhaltigkeit!“
Carolyn Hutter und Carsten Demming von der Dualen Hochschule Heil-bronn halten es für wahrscheinlich, dass angesichts der erheblichen Wirkun-gen des Ernährungssystems eine gesetzlich geregelte Nachhaltigkeitskenn-zeichnung von Lebensmitteln, ähnlich der Nährwertkennzeichnung, einge-führt wird. Der Getreidesektor stehe damit vor der Herausforderung, die Vermittlung von Nachhaltigkeitsinformationen zu nutzen, um den Mehr-wert, den die Branche zweifelsohne habe, für Verbraucherinnen und Ver-braucher zu signalisieren. Darüber, wie eine solche Kennzeichnung ausse-hen muss, gebe es unterschiedliche Vorstellungen bei Experten und Ver-braucherschaft. Während Verbraucherinnen und Verbraucher das Thema mit konkreten Eigenschaften verknüpften, strebten Expertinnen und Exper-ten eine möglichst vollständige Darstellung an. In einer Studie konnte mit Hilfe von „Eye-Tracking“ gezeigt werden, dass klar erkennbare, verständli-che Lösungen anzustreben seien: „Verbraucher betrachten ein Produkt zwei bis sechs Sekunden lang, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen. In dieser Zeit muss der Planet Score verstanden werden“.
Philipp Luthardt, Leiter Nachhaltigkeit & Kommunikation berichtet aus der unternehmerischen Praxis. Die Bohlsener Mühle ist ein Unternehmen mit langer Bio-Geschichte und starken Engagement in Sachen Nachhaltigkeit. Am Beispiel Quinoa-Anbau in Deutschland zeigt er, dass es lohnt Dinge zu versuchen: „Das heißt nicht, dass das jetzt alles immer reibungslos funktio-niert – der Großteil unseres Quinoas kommt immer noch aus Südamerika. Aber wir probieren uns eben aus, und das muss das Ziel sein. Lösungsan-sätze müssen nicht perfekt sein, um sie umzusetzen. Nörgeln bringt uns nichts, wir müssen ins Tun kommen!“
Tudor Vlah von der Wettbewerbszentrale und Bärbel Hintermeier vom VGMS stellen den Status Quo im Kennzeichnungsrecht sowie aktuelle Rechtsprechungen vor: „Eine strenge Durchsetzung von Regeln ist notwen-dig, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Umweltaussagen zu stärken“. „Damit letztlich Verbraucher, Umwelt und Politik gewinnen, dürfen gleich-wohl Anforderungen und bürokratischer Aufwand für die Kommunikation von Umweltleistungen nicht zur Hürde werden“, erklärt Bärbel Hintermeier. Tudor Vlah zeigt, dass das von Gerichten angenommene und in repräsenta-tiven Umfragen ermittelte Verbraucherverständnis nicht immer deckungs-gleich sind: „Teilweise entfernt sich die Rechtsprechung immer mehr vom Verbraucherverständnis“, so Vlah. Die Nachvollziehbarkeit von Informatio-nen sei aber wichtig, damit Verbraucher abwägen und auf dieser Basis Ent-scheidungen treffen können.
Thomas Brudermann von der Universität Graz gewährt Einblicke in die Entscheidungs-Psychologie im Zusammenhang mit klimafreundlichem Ver-halten: „Ausreden über Ausreden, aber die Nachhaltigkeit bleibt oft auf der Strecke. Politik, Wirtschaft und BürgerInnen spielen sich den Ball gegensei-tig zu, doch zu wenig passiert bei Themen wie Klimaschutz, Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Produktion und Konsum“. „Aus psychologischer Sicht sollten wir daher besser nicht von einem Verzicht, sondern vielmehr über ei-nen Tausch sprechen, damit uns die Transformation gelingt“. Brudermann mahnt: „Klimaschutz ist kein Zug, der irgendwann endgültig abfährt. Aber je später wir auf den Zug aufspringen, desto unbequemer wird die Fahrt.“
Friedrich Longin von der Universität Hohenheim stellt Forderungen der Wissenschaft an die Wertschöpfungskette: „Moderne Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie sind die größte Erfolgsgeschichte der Menschheit“.
Für die dringend benötigte Ernährungswende braucht es aber noch mehr Verständnis, Forschung und Ausbildung entlang ganzer Wertschöpfungs-ketten, um Potentiale für die Ernährung der Zukunft zu heben, so Longin. Am Beispiel der Versorgung mit Mineralstoffen macht er deutlich: „Sowohl Auswahl der Weizensorte, Anbauverfahren, Müllerei wie das Backrezept be-einflussen den Gehalt und die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen im Brot.“ Ertragssicherung und Produktqualität dürfen dabei nicht aus den Augen ver-loren werden. Und letztlich „braucht es auch hier mehr Verbraucherver-ständnis und -wissen, wie Lebensmittel entstehen und Ernährung funktio-niert“.
Wie wenig nachhaltig manch politisches Ansinnen ist, zeigt der Vortrag von Katja Heintschel von Heinegg vom Zentralverband der Deutschen Wer-bewirtschaft. Sie berichtet zum geplanten Werbeverbot für Kinderlebens-mittel. Der von Bundesernährungsminister Cem Özdemir vorgelegte Ent-wurf sieht massive Beschränkungen der Lebensmittelwerbung vor – unge-fähr 70 Prozent aller in Deutschland vertriebenen Lebensmittel wären von Beschränkungen betroffen, erklärt von Heinegg. Damit greife der Gesetz-entwurf in die Kommunikations- und Wirtschaftsgrundrechte der werben-den Unternehmen, aber auch in die Medien-Grundrechte ein. „Dass ein der-artiges Werbeverbote zur Reduzierung von kindlichem Übergewicht führt, ist zweifelhaft“ sagt von Heinegg und ergänzt: „Werbeverbote sorgen dafür, dass etablierte Marken am Markt bleiben und sich neue Firmen mit ihren In-novationen auch in Sachen Nachhaltigkeit nicht platzieren können“.
Im VGMS sind rund 500 Unternehmen organisiert, von mittelständischen, familiengeführten Unternehmen bis hin zu großen internationalen Konzer-nen. In den Betrieben werden rund 15 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Rohstoffe verarbeitet, unter anderem Weizen, Roggen, Hafer, Hartweizen, Mais, Reis und Stärkekartoffeln. Die Unternehmen sind wichtige Partner der Landwirtschaft sowie von Lebensmittelhandwerk, Industrie und Handel.
Die Produktpalette reicht von Mehl über Haferflocken, Frühstückscerealien, Nudeln und Reis bis zu nativen und modifizierten Stärken sowie Stärkever-zuckerungsprodukten. In Deutschland und darüber hinaus versorgen die Un-ternehmen Tag für Tag Millionen Menschen mit hochwertigen, sicheren und zugleich preiswerten Lebensmitteln. Daneben stellen sie Produkte für die chemisch-technische und pharmazeutische Industrie sowie Einzelfuttermit-tel für die Tierernährung her.
Mit ihren rund 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwirtschaften die im VGMS zusammengeschlossenen Branchen einen Umsatz von etwa 7,5 Milliarden Euro, mit ihren Produkten sind sie weltweit erfolgreich. Der VGMS vertritt ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen gegenüber deutschen und europäischen Institutionen.
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