„Wann wirken geldpolitische Maßnahmen?“ – der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar

Im letzten Zinskommentar sind wir auf den sog. Transmissionsmechanismus mit Fokus auf den zeitlichen Abstand zwischen Geldpolitik und Preisentwicklung eingegangen. Hiermit sind wir jedoch nur auf das Ende und nicht auf den Anfang dieser Ursache-Wirkungs-Kette eingegangen. Bevor sich Preise verändern, verändert sich die Konjunktur bzw. das Wirtschaftswachstum. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars, wie lange die Geldpolitik braucht, um konjunkturelle Veränderungen hervorzurufen und was das für die heutige Lage bedeutet.

Wann wirken geldpolitische Maßnahmen?

Der sog. Transmissionsmechanismus beschreibt wie sich Geldpolitik auf eine Volkswirtschaft und die Preisentwicklung auswirkt. Diese Ursache-Wirkungs-Kette entfaltet sich jedoch mit einer gewissen Zeitverzögerung. So kann es fast bis zu 24 Monate dauern bis sich Leitzins- oder Geldmengenveränderungen auf die Inflation auswirken und damit der Zweck von Geldpolitik erfüllt wird (Vgl. Abbildung 1). Nachdem wir im Rahmen des letzten Zinskommentars das Ende der Ursache-Wirkungs-Kette beleuchtet haben, betrachten wir heute den Anfang. Und zwar gehen wir der Frage nach wie lange es dauert bis sich Geldpolitik auf die Konjunktur bzw. das Wirtschaftswachstum auswirkt.

Durch die Steuerung des Leitzinses steuert die Europäische Zentralbank (EZB), die Finanzierungskosten von Unternehmen und Privatpersonen und damit die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Steigende Kreditkosten und höhere Einlagezinsen machen Investitionen und Konsum unattraktiver, womit die Konjunktur abschwächt. Doch wie lange dauert dieser Prozess?

Steigt der Leitzins, passen die Geschäftsbanken in der Regel zügig ihre Kreditzinsen an, während die Einlagezinsen eher langsam nachziehen. Dies erhöht die Gewinne aus der Fristentransformation, also der Umwandlung von kurzfristigen Einlagen in langfristige Kredite. Die träge Anpassung Einlagezinsen kompensiert teilweise die steigenden Kreditkosten, da das Sparen nicht proportional attraktiver wird, während die Kredite an Attraktivität verlieren. Genau umgekehrt verhält es sich bei einer Leitzinssenkung. Die Kreditzinsen fallen eher langsam, während die Einlagezinsen sich schnell an den neuen Leitzins anpassen. Dies ist ein wichtiger Bestandteil des Geschäftsmodells von Banken.

Vergleicht man das Geldmengen- und das Wirtschaftswachstum, lässt sich eine Zeitverzögerung von ca. sechs Monaten ausmachen (Vgl. Abbildung 2). Insbesondere seit 2021 verläuft das zeitversetze Geldmengenwachstum nahezu proportional zur wirtschaftlichen Entwicklung. Traut man der Geldmenge als Indikator der Konjunktur, wäre mit einer weiteren Abschwächung innerhalb der Eurozone zu rechnen. Es verwundert also nicht, dass die fünf wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute die Wachstumsprognose für Deutschland für 2023 erst kürzlich von 0,1 Prozent auf -0,9 Prozent korrigierten.

Letztlich stellt sich die Frage, warum sich die schwächelnde Konjunktur erst so spät auf die Preisentwicklung auswirkt. Zwischen dem Eintreten des Effektes einer Leitzinsveränderung auf die Preise liegen bis zu 24 Monate. Dies liegt vor allem daran, dass viele Unternehmen erst langsam auf eine schwächelnde Nachfrage in Form von Preissenkungen oder anderen Preisanpassungen reagieren. Insbesondere dann, wie aktuell in Deutschland, wo trotz sinkender Energiekosten Preissenkungen nur sehr langsam beim Verbraucher ankommen. Der Verlauf der Geldmenge M3, die erstmals seit 2010 im wieder negativen Bereich notiert, lässt nichts Gutes erahnen. Die EZB könnte schon bald gezwungen sein ihren derzeitigen geldpolitischen Kurs zu ändern und die Zinsen wieder zu senken. Eine Deflationsgefahr in ein bis zwei Jahren ist nicht auszuschließen.

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