Hinter neuen Kohlekraftwerken im globalen Süden steht oft der Drang nach neuen Absatzmärkten

In der Klimakrise geht es auch um den Kapitalverkehr: Er muss „in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen Entwicklung“, heißt es im Weltklimaabkommen von Paris. Doch eine neue Studie zeigt: Grenzüberschreitende Kredite öffentlicher Banken, vor allem aus China, Japan und Südkorea, sind ein wesentlicher Treiber für neue Kohlekraftwerke im globalen Süden. Und die Kredite sind oft nur Mittel zum Zweck für Exportgeschäfte. Die Studie wurde geleitet vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) und publiziert in der renommierten Fachzeitschrift Environmental Research Letters.

„Wir beleuchten damit erstmals empirisch einen bislang kaum erforschten Aspekt der politischen Ökonomie der Kohle“, sagt Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und Co-Autor. „Sicherlich gibt es in den Ländern, in denen die neuen Kraftwerke entstehen, auch einen natürlichen Bedarf an ausländischem Kapital – doch wir tragen starke Indizien dafür zusammen, dass das Angebot hier auch erheblich den Umfang der Nachfrage beeinflusst: Hersteller von Turbinen, Stromgeneratoren oder Dampfzufuhrsystemen sowie Projektdienstleister wie Architekturbüros oder Ingenieurfirmen mobilisieren offensichtlich Kapitalgeber im eigenen Land, um jenseits der Grenzen selbst ins Geschäft zu kommen.“

Die Studie stützt sich auf Datenbanken der US-Infodienste Global Energy Monitor und S&P Global Platts sowie der deutschen Umweltschutzorganisation Urgewald; letztere hatte bei den Infodiensten Bloomberg, Thomson Reuters und IJGlobal die Finanzquellen von 250 Projektierungsgesellschaften recherchiert. Daraus entstand ein einzigartiger Datensatz für 459neue Kohlekraftwerksanlagen mit 225 Gigawatt Leistung. Die Analyse fokussiert sich auf 188 Anlagen mit 91 Gigawatt, die seit 2018 fertiggestellt wurden oder bald in Betrieb genommen werden. Das Jahr 2018 – zwei Jahre nach Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens – wurde gewählt, da zwei Jahre als Mindestzeit von Sicherung der Finanzierung bis Inbetriebnahme gelten.

Der Großteil davon, mit 65 Gigawatt, wurde ganz oder teilweise von ausländischen Kapitalgebern finanziert. Und der Befund lautet: Dies erfolgte meist mit Beteiligung von Zulieferfirmen aus dem gleichen Land. So geht öffentliche Finanzierung aus dem Ausland zu über 90 Prozent einher mit einem ausländischen Turbinen-Hersteller, und der stammt dann mit über 60 Prozent Wahrscheinlichkeit aus dem gleichen Land wie die kreditgebende Bank. Eine ergänzende wissenschaftliche Befragung internationaler Fachleute half dann die Ursache-Wirkung-Beziehung klären: Die Finanzierung ist oft nur Türöffner, Treiber ist die Erschließung neuer Absatzmärkte. Aus den Interviews transportiert die Studie die Erkenntnis: Bei solchen Kopplungsgeschäften spielt auch die ausländische Regierung eine wichtige Rolle. Sie nutzt ihre Förderbank als strategisches Instrument, um für ihre Exportindustrie internationale Absatzmärkte zu erschließen.

Die 65 Gigawatt starke ganz oder teilweise aus dem Ausland finanzierte neue Stromerzeugungskapazität verteilt sich auf 22 Staaten vor allem in Südostasien und Subsahara-Afrika. Dabei entfallen allein 45 Prozent auf Vietnam und Indonesien. Auf der anderen Seite stehen 17 Staaten als ausländische Kapitalgeber, allen voran China mit 65 Prozent des ausländischen Kapitals, Japan mit 18 Prozent und Südkorea mit 9 Prozent. Die USA und die Europäische Union mischen nur geringfügig über private Kreditgeber mit.

Zwar war die Zahl neuer Projekte zuletzt rückläufig, und aus China, Japan und Südkorea gibt es starke Signale zum Ausstieg aus der Kohlefinanzierung. Doch Studien-Leitautor Niccolò Manych, bis vor kurzem Doktorand am MCC und derzeit Postdoc an der Universität Boston, hält dem entgegen: „Die hier beleuchtete Interessenallianz für neue Kohlekraftwerke kann auch künftig viel Eigendynamik entfalten, zumal Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine neues Interesse am Entwickeln fossiler Energien geweckt hat. Zudem entstehen inzwischen auch für Gaskraftwerke ähnliche, für das Klima kaum weniger bedrohliche Kopplungsgeschäfte.“ In den JETPs, den von den Industrieländern initiierten Partnerschaften für eine gerechte Energiewende im globalen Süden, sollte man das Miteinander von Industrie und Finanzwirtschaft genau in den Blick nehmen: „Es muss darum gehen, sowohl die Finanzierungsströme als auch den damit verbundenen Technologieexport auf Erneuerbare umzulenken.“

Quellenhinweis zur zitierten Studie:

Manych, N., Egli, F., Ohlendorf, N., Schmidt, T., Steffen, B., Stünzi, A., Steckel, J., 2023, Pushed to finance? Assessing technology export as a motivator for coal finance abroad, Environmental Research Letters
https://doi.org/10.1088/1748-9326/ace6c1

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Das MCC erforscht und liefert lösungsorientierte Handlungsoptionen für Klimapolitik sowie generell für das Bewirtschaften der globalen Gemeinschaftsgüter – und damit für die Stärkung der vielfältigen Aspekte von menschlichem Wohlergehen. Unsere sieben Arbeitsgruppen forschen zu Themen wie Wirtschaftswachstum und -entwicklung, Ressourcen und internationaler Handel, Städte und Infrastrukturen, Governance sowie wissenschaftliche Politikberatung. Das MCC ist eine gemeinsame Gründung der Stiftung Mercator und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. | www.mcc-berlin.net | https://twitter.com/MCC_Berlin

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