Es braucht eine Plattformaufsicht, keine Poststelle

Deutschland droht die Chance zu verspielen, Internetplattformen – wie soziale Netzwerke oder Online-Marktplätze – unter eine effektive, unabhängige Aufsicht zu stellen. Der Digital Services Act (DSA) soll Nutzerinnen- und Nutzerrechte online schützen und legt Sorgfaltspflichten für Plattformen wie TikTok, Facebook und Twitter fest. Um diese Ziele wirkungsvoll zu erreichen, bedarf es einer zentralen und gut organisierten Plattformaufsicht in den EU-Mitgliedstaaten, die Beschwerden von Betroffenen zügig und kompetent bearbeitet und ihre Rechte durchsetzt. Mit dieser Aufgabe sind die sogenannten Koordinatoren für Digitale Dienste (Digital Service Coordinators, DSCs) in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission betraut. Jedoch streiten sich die deutschen Behörden seit Monaten um Zuständigkeiten und verzögern damit die dringend notwendigen Vorbereitungen für eine effektive Plattformaufsicht.  

Das Bündnis F5 aus Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), AlgorithmWatch, Open Knowledge Foundation Deutschland, Reporter ohne Grenzen (RSF) und Wikimedia Deutschland befürchtet, dass dieses machtpolitische Kompetenzgerangel zu Lasten der Betroffenen geht und die Rolle der Aufsicht in Deutschland dauerhaft schwächt. Die Bündnispartner appellieren an die Ministerien, die Frage der Zuständigkeiten im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer und nicht nach machtpolitischen Aspekten zu entscheiden. Eine Zersplitterung der Zuständigkeiten wird letztendlich zum Nachteil der Betroffenen führen, weil Beschwerden und Hilfegesuche nicht sinnvoll und zügig bearbeitet werden können. Die detaillierten Forderungen hat das Bündnis bereits im Februar in einem Offenen Brief erläutert.

„Wir erleben es immer wieder, dass Medienschaffende aufgrund ihrer Berichterstattung online angegriffen, ihre Beiträge willkürlich gelöscht und ihre Accounts oft ohne Begründung gesperrt werden. Auch aus Sicht der Medienschaffenden darf die Zuständigkeitsverteilung beim DSC nicht im Klein-Klein der deutschen Behördenlandschaft untergehen”, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Notwendig ist eine zentrale, durchsetzungsstarke Aufsichtsbehörde in Deutschland, die sich im Interesse unser aller Rechte gegen Plattformen behaupten kann.”

Die Zuständigkeiten der deutschen Behörden auf Bundes- und Landesebene, die bereits jetzt diverse Aufgaben bei der Plattformregulierung übernehmen, werden im vorläufigen Referentenentwurf zum Digitale-Dienste-Gesetz nach dem DSA neu verteilt. Darin wird der deutsche DSC bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) benannt. Dieser Referentenentwurf des federführenden Bundesministeriums für Digitales und Verkehr kursiert allerdings schon seit Februar dieses Jahres und ist noch immer nicht in den Ressorts abgestimmt. Grund hierfür scheint zu sein, dass weitere Behörden über einzelne Aufgabenbereiche des DSCs (mit)entscheiden wollen. Dabei sieht der vorläufige Referentenentwurf schon vor, dass zwei ausgewählte Behörden Zuständigkeiten erhalten: Der Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) und die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ), die jeweils in ihren klar abgegrenzten Bereichen über spezielle Expertise verfügen und Aufgaben im Sinne des DSA übernehmen – beispielsweise bei Risiken des Profilings im Bereich der Online-Werbung oder dem Online-Schutz Minderjähriger. 

Aus dem Fachgespräch zum DSA am 26.06, von dem der Tagesspiegel Background berichtete, wurde ersichtlich, dass es weitere Interessierte für eine Zuständigkeit gibt, beispielsweise das Bundesamt für Justiz (BfJ). Das BfJ ist bislang für die Durchsetzung des viel kritisierten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) zuständig, das durch den DSA nun abgelöst wird. Unklar bleibt, ob und welche Rolle der Behörde bei der Plattformregulierung zukommt und was mit den Stellen passiert, die dort angesiedelt sind. Vorstellungen hierzu werden zumindest bislang nicht öffentlich diskutiert, sondern – so unser Eindruck – hinter verschlossenen Türen verhandelt. Zudem scheint die Liste der interessierten Behörden nicht abgeschlossen zu sein. 

Es ist unstrittig, dass Behörden mit entsprechender Expertise bei den Aufgaben des DSC durch passende Beteiligungsformen konsultiert und einbezogen werden sollten. Allerdings muss der nationale DSC eine einheitliche Entscheidungspraxis aufweisen. Diese Entscheidungskompetenz darf nicht auf zahlreiche Behörden gesplittet werden. Dies würde dazu führen, dass Beschwerden in etlichen behördlichen Abstimmungsschleifen versinken und die gewünschte starke Rolle des DSC zu einem reinen Postkasten verkommt. Daher darf die Zuständigkeit nicht ausfasern – im Interesse der Nutzerinnen- und Nutzerrechte. Die Zeit drängt: Bis Februar 2024 muss nicht nur der zuständige DSC benannt sein, sondern die wichtigen Vorbereitungen für den tatsächlichen Beginn seiner Aufgaben abgeschlossen haben. 

Sorge macht auch die derzeit angespannte Haushaltslage: Die Bundesregierung muss ihren Fokus darauf legen, einen schlagkräftigen DSC aufzubauen, der seine immens wichtigen Aufgaben kompetent erfüllen kann und den hohen Erwartungen der verschiedener Stakeholder, darunter unter anderem Nutzerinnen und Nutzer, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen gerecht werden kann. Um dies sicherzustellen, braucht der DSC zumindest ein angemessenes Budget und ausreichend kompetentes Personal.

Mit dem im letzten Jahr verabschiedeten DSA liegt zum ersten Mal ein EU-weites einheitliches Regelwerk vor, das den Internetplattformen erweiterte Pflichten und Verantwortungen auferlegt. Die Durchsetzung und Aufsicht über diese Pflichten liegt bei den Koordinatoren für Digitale Dienste (Digital Service Coordinators, DSCs) und der Europäischen Kommission. Die DSCs übernehmen unter anderem die Rolle einer zentralen Beschwerdestelle für alle Nutzeinnen und Nutzer der verschiedenen Plattformen. Wenn etwa Beiträge zensiert, Accounts gesperrt werden oder Nutzerinnen und Nutzer digitalen Angriffen ausgesetzt sind, soll der nationale DSC zügig und kompetent von der ersten Anfrage bis zum Ergebnis unterstützen. Auch für Forschende werden DSCs zu relevanten Instanzen, denn sie prüfen eingereichte Anfragen nach Datenzugang und leiten sie zur Entscheidung weiter – etwa nach Irland, wo sehr große Plattformen wie Twitter, Meta und Google ihren Sitz haben. Zusätzlich wird der DSC, gerade aus einem so großen Mitgliedsland wie Deutschland, durch das Weiterleiten von Beschwerden und geeigneten Fällen entscheidend dazu beitragen, die Aufsicht über die sehr großen Online-Plattformen durch die EU-Kommission effektiv zu gestalten. Anhand dieser Fälle sollen etwa systemische Risiken der Plattformen identifiziert und adressiert werden. 

Wie wirkungsvoll die DSCs ihre Aufgaben wahrnehmen, entscheidet letztlich darüber, ob der DSA tatsächlich zum Vorzeige-Regelwerk für die Plattformregulierung wird – oder am eigenen Anspruch bereits in der Vorbereitung scheitert.

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