- Prof. Dr. Marion Peyinghaus, Geschäftsführerin Competence Center Process Management Real Estate GmbH (CCPMRE) und Professorin für Immobilien Management und Projektentwicklung an der hochschule 21, Buxtehude
- Prof. Dr.-Ing. Regina Zeitner, ebenfalls Geschäftsführerin des CCPMRE und Professorin an der HTW Berlin
Jedes Jahr analysieren Peyinghaus und Zeitner in ihrem PMRE-Monitor ein neues Thema. Ihre Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Immobilienwirtschaft stellten sie im November 2021 im Mastertalk #17 vor. Im Juli 2022 stand die nachhaltige Führung im digitalen Zeitalter im Mittelpunkt. Heute nun präsentierten sie die Ergebnisse ihrer Studie „Social Real Estate – The Attraction of Social Action“, die sich den S-Kriterien in Bezug auf Immobilienobjekte und Immobilienunternehmen widmete – und zu der 239 Führungskräfte und Mitarbeiter der Immobilienwirtschaft sowie 174 deutsche und 35 internationale Vertreter der Generation Z befragt wurden. Die Moderation übernahmen dieses Mal Sven Wingerter vom Workplace-Spezialisten Eurocres und Pia Glatte-Bast, Kommunikationspsychologin und Trainerin.
Das Gemeinwohl im Blick
Zunächst erläuterte Peyinghaus die Ziele der ESG-Regularien: „Die von der EU verfasste soziale Taxonomie möchte eine menschenwürdige Arbeit, einen angemessenen Lebensstandard, das Wohlergehen der Endverbraucher und integrative und nachhaltige Kommunen und Gesellschaften sicherstellen.“ Hierbei gehe es um Arbeitnehmer und Arbeitsstätten, Bewohner und deren Wohnräume sowie um nachhaltige Quartiere und Städte. „Alles Themen, die die Immobilienwirtschaft betreffen. Und dass die Immobilienwirtschaft zu allen drei Zielbereichen einen wesentlichen Beitrag leisten kann, davon sind unsere Teilnehmer überzeugt.“ Mehr noch: Sie sind sogar bereit, hierfür einen Renditeverzicht von 1,1 Prozent hinzunehmen.
Um das Thema besser zu fassen, haben die beiden Forscherinnen aktuelle Richtlinien und Studien zu den ESG-Kriterien analysiert und klassifiziert. Aus diesem Prozess haben sie zwölf Kategorien entwickelt, die unter anderem Aspekte wie Diversität, Gesundheit, Partizipation, Mobilität oder Sicherheit enthalten. Hinzukommen insgesamt 58 Einzelkriterien. Im Ergebnis ist daraus eine Checkliste entstanden, die zum Rating von Immobilien oder Quartieren genutzt werden kann. Doch die Kernfragen seien: Sind die S-Kriterien den Mietern so entscheidend, dass sie dafür eine höhere Miete zahlen würden? Bei Büroobjekten war die Frage wiederum: „Welche S-Kriterien sind Ihnen im Büroumfeld so wichtig, dass Sie danach Ihren Arbeitgeber auswählen oder sogar dafür wechseln würden?“
Wohnen und im Büro: Gesundheit ist wichtigster Faktor
Wohnungsmieter sind bereit, für ‚soziale‘ Immobilien einen Mietpreisaufschlag von 4,3 Prozent zu zahlen. Besonders hoch ist die Zahlungsbereitschaft bei den Kategorien „Gesundheit für Nutzer sowie Bürger“ (5,4% bzw. 5,2%), nachhaltige Gebäudequalität (5,3%) und Mobilität (5,3%). Auch bei Bürogebäuden dominieren die Faktoren Gesundheit, Mobilität, zudem die Gebäudequalität. So habe die Luftqualität beispielsweise direkten Einfluss auf die Produktivität. Im Negativfall würden die Mitarbeiter Konsequenzen ergreifen – aus dieser Motivlage heraus entsteht Druck auf die Arbeitgeber und somit die Vermieter. Eine von Peyinghaus angeführte Parallelstudie bestätigte, dass knapp 20 Prozent der Mitarbeiter das Unternehmen verlassen würden, wenn ihr Arbeitgeber keine Maßnahmen zur Erhaltung eines gesunden Innenraumklimas ergreift.
Schließlich kam Peyinghaus zur Umfeldbetrachtung: Die sogenannte 15-Minuten-Stadt hat beim Wohnen eine hohe Relevanz, fürs Büro ist sie nicht zwingend. Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze, Bildung, Kultur oder Grünanlagen sollten in der Nähe des Wohnorts liegen. Dafür würde ein Mietpreisaufschlag von bis zu 4,5 Prozent gezahlt. Beim Büro besteht für solche Aspekte unter den Teilnehmern nur eine Relevanz von 42 Prozent. Die Wissenschaftlerinnen führen dies auf den Aufstieg des mobilen Arbeitens zurück: „Das Büro wird seltener aufgesucht, stattdessen werden Cafés im Umfeld des Homeoffice umso mehr geschätzt.“ Themen wie Diversität, Partizipation und Vernetzung finden sich gar auf den drei letzten Plätzen wieder: „Keiner ist bereit, hierfür einen Mietaufschlag zu zahlen“, so Peyinghaus.
Keine Chance für sozialverträgliche Mieten
Große Auswirkung haben die S-Kriterien laut Studienteilnehmern auf die Neubewertung der Lageklassen, nämlich zu 60 Prozent, und auf die Neuausrichtung von Investitionsentscheidungen (59 Prozent). Die Sicherstellung von bezahlbarem Wohnraum – ein wesentliches Ziel der EU-Taxonomie – wird allerdings nicht erreicht. Der Zustimmungswert liegt bei nur 32 Prozent.
Wie sieht es mit den Wertsteigerungspotenzialen aus? Diese Einschätzung ist innerhalb von zwei Jahren gestiegen. „Die Branche hat in ihren Märkten festgestellt, dass nachhaltige Immobilien zu Spitzenmieten und erhöhten Immobilienpreisen führen.“ Über alle Kategorien besteht ein Wertsteigerungspotenzial von 9,6 Prozent (bei den E-Kriterien waren es nur 8,6 Prozent). „Werden die S-Kriterien hingegen unzureichend umgesetzt, kann sich daraus auch ein Schaden ergeben“, warnt Peyinghaus. So führe Diversifikation im besten Fall zu einer guten Durchmischung der Mieter, im schlechtesten Fall zu Ghettobildung. In Bezug auf die Gesundheit könne das Gebäude den Nutzern einen visuellen Komfort bieten. Das größte Risiko seien Defizite in der Gebäudequalität, die Angst vor „Stranded Assets“ ist groß.
Und die Erlöse?
Besonders Projektentwickler und Vermieter stellen sich nun die Frage, ob sich denn Investitionen in die S-Kriterien finanziell lohnen? Schließlich stehen dem auch Kosten gegenüber: 10,8 Prozent beim Bau. Die erwartete Steigerung der Erlöse für S-konforme Immobilien und Fondsprodukte beträgt vielmehr gerade einmal 8 Prozent. Allerdings steigen auch die Finanzierungskosten um 8 Prozent, wenn sie nicht „S-konform“ sind.
Klar ist indes: Die Marktakteure müssen die Gebäude an die Anforderungen der S-Kriterien anpassen. Dabei rechnen die Teilnehmer bei Büro- und Wohngebäuden mit dem höchsten Transformationsaufwand (72% und 69%). Shoppingcenter landen in der Rangfolge erst auf Platz 6 (58%).
Alles entscheidend: Die Unternehmenskultur
Soviel zu den Immobilien. Doch die Forscherinnen fragten auch nach den notwendigen Veränderungen in den Unternehmen. Denn engagieren sich Arbeitgeber sozial, belohnen sie sich selbst. Unternehmen mit starkem Fokus auf die S-Kriterien wiesen deutlich bessere Ergebnisse auf. Was also soll der Arbeitgeber bezüglich der ESG-Kriterien erfüllen? Hier erachten die Teilnehmer besonders Gesundheitsleistungen als wichtig mit einer Relevanz von 62 Prozent. Flexible Arbeitsorte, wie Ministandorte und Satellitenbüros stellen noch das Schlusslicht dar, seien aber der Trend von morgen.
Nach Aussage Peyinghaus‘ sei es immer ein Highlight, in jeder Marktanalyse zu erfahren, welches das bedeutendste Thema in der ganzen Umfrage ist. Antwort: „Es ist eine positive Unternehmenskultur. Mit 88 Prozent wird ihr die höchste Relevanz bescheinigt.“ Das heißt im Umkehrschluss allerdings auch, dass Mitarbeiter das Unternehmen schnell verlassen, wenn es an einer wertschätzenden Kultur mangelt. Ihr Urteil in puncto Mitarbeitergewinnung: „S-Kriterien erzeugen – wenn sie erfüllt werden – eine Sogwirkung für neue Bewerber und sorgen für Mitarbeiterbindung“. Doch dafür müsse noch viel getan werden. Der aktuelle Implementierungsgrad liege gerade einmal bei 41 Prozent. Peyinghaus‘ Fazit: „Investitionen in die S-Kriterien zahlen sich aus. Social Real Estate führt zu mehr Mieten und lässt die Immobilienwerte steigen. Zudem schaffen die Kriterien Abhilfe im Fachkräftemangel. Alles Gründe, um aktiv zu werden.“
Riesiges Potenzial beim Bestand
Moderator Wingerter war voll des Lobes ob der geballten Erkenntnisse: „Mir geht das Herz auf! Eine Bandbreite an Möglichkeiten, die bei uns noch brachliegen.“ Sogleich bohrte er nach, wer nun für Änderungen sorgen müsse? Aus Sicht Peyinghaus‘ seien dies die Projektentwickler: „Sie müssen zukunftsorientiert bauen, was in vier, fünf Jahren der Markt verlangt.“ Kollegin Zeitner verwies hier auf die Projektentwicklung im Bestand: „Deutschland ist gebaut. Die Frage ist daher: Wie gehen wir mit dem Bestand um?“ Dem pflichtete Wingerter bei. Auch er sehe angesichts des „großen Flächenüberhang gerade dort ein riesiges Potenzial.“
„Woher aber kommt die Dominanz des Themas Gesundheit? Das diskutieren wir doch schon seit Dekaden“, fragte Wingerter. Für Peyinghaus sind es eindeutig die Jungen, die das Thema Gesundheit treiben. Co-Moderatorin Glatte-Bast interessierte sich dafür, welche Aspekte bei der Veränderung der Unternehmenskultur besonders wichtig seien. Für die beiden Wissenschaftlerinnen steht hier die „physische und psychische Gesundheit immer ganz oben.“ Es gehe um eine positive, wertschätzende Kultur. „Die schlägt jede Führungskraft.“
Auch die berühmte Schlussfrage kam diesmal von Wingerter: „Läuft S dem E den Rang ab?“ Für Peyinghaus wird vor allem E zum verpflichtenden Standard werden. Das gehört bald fest zum Assetmanagement dazu.“ Das S sei noch eine größere Herausforderung werde aber „ordentlich in Fahrt kommen.“ Zum Ende schaltete sich nochmal Initiator Thomas Glatte ein: „Auch diese Studien war wieder ein Highlight. Nun sind wir neugierig, wann das G von ESG bearbeitet wird.“
Der nächste Mastertalk findet im Juni statt. Weitere Informationen unter www.mastertalk.net.
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