Die wirtschaftliche Stimmung in Europa habe sich im ersten Quartal schrittweise verbessert, und die Aktienmärkte der Region hätten kräftig zulegt: „Mit einem Anstieg des MSCI Europe Index (in Euro) um 8,9 Prozent übertraf Europa die anderen großen Märkte“, erklärt Beatrix Ewert, und dies trotz der regionalen Bankenkrise in den USA, die dann auch auf Europa übergegriffen habe.
„Die europäischen Märkte sind eher beflügelt worden durch das, was nicht passierte, als durch das, was passierte“, so Ewert. Die Ängste vor einer Gasversorgungskrise zu Beginn des Jahres hätten die Märkte geschwächt. Durch das Vermeiden dieser Krise gebe es nun jedoch die Chance für einen Aufschwung. „Das Risiko für europäische Aktien ist gesunken und die Wachstumserwartungen mussten nach oben korrigiert werden“, sagt Ewert. Europas erfolgreiche Abwendung einer wirtschaftlichen Katastrophe werfe ein gutes Licht auf die Region. „Das Ausbleiben der Krise wird als Beweis für die Fähigkeit europäischer Unternehmen, Regierungen und Institutionen gesehen, sich ernsthaften Bedrohungen zu stellen – sei es der Brexit, die Corona-Pandemie oder der Krieg gegen die Ukraine und die sich daraus ergebenden Folgen für die Energieversorgung“, so Ewert.
Markt mit zwei Gesichtern
Im vorangegangenen Quartal sei der Aufschwung an den europäischen Aktienmärkten allerdings übertrieben worden. Die Erwartungen seien der Realität vorausgeeilt. Aktuell würden die europäischen Aktien- und Anleihemärkte widersprüchliche Signale aussenden. Einerseits erwarte der europäische Anleihemarkt Zinssenkungen bis Ende 2023. Dies impliziere, dass der Markt eine ernsthafte und schnelle Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen erwarte. Andererseits antizipiere der Aktienmarkt keine signifikante Konjunkturabkühlung, sondern eher eine sanfte Landung. „Die Realität dürfte irgendwo dazwischen liegen“, sagt Ewert. „Abgesehen von einem schwerwiegenden Schock, wie einer Eskalation des Konflikts in der Ukraine, halten wir es für sehr unwahrscheinlich, dass die EZB zu einer Zinssenkung bis zum Jahresende übergeht, solange die jährliche Verbraucherpreisinflation in der Eurozone mit 6,9 Prozent immer noch deutlich über dem 2-Prozent-Ziel der Zentralbank liegt.“
Drei Gründe zum Jubeln
Drei wirtschaftliche Entwicklungen dürften aus Sicht der Aktienexpertin die europäischen Aktienmärkte in den nächsten Monaten unterstützen:
- Die Inputpreise seien in einer Reihe von Sektoren eindeutig rückläufig. Dies trage dazu bei, den Inflationsdruck weiter zu verringern. Auch die Lohninflation in Europa sei im Zuge der Entkopplung der Wirtschaftsvariablen zwischen Europa und den USA nach wie vor sehr viel gedämpfter. „Darin spiegelt sich ein weitaus entspannterer europäischer Arbeitsmarkt wider: Während die Arbeitslosenquote in den USA bei 3,6 Prozent liegt, beträgt sie in der Eurozone 6,6 Prozent“, erklärt Ewert.
- Außerdem habe sich die Stimmung der europäischen Verbraucher von ihrem sehr schlechten Niveau im letzten Herbst deutlich erholt. Und es gebe erheblichen Spielraum für weitere Verbesserungen im Laufe des Sommers. Denn: „Im Sommer dürften die Energiepreise des letzten Winters für die Verbraucher nicht mehr im Vordergrund stehen“, so Ewert, „und die Heizkosten für den nächsten Winter noch in weiter Ferne scheinen.“
- Drittens dürfte sich das Wirtschaftswachstum in China und in der gesamten asiatischen Region durch die Wiederöffnung des Marktes nach der Lockerung der Null-Covid-Politik beschleunigen. „Da europäische Unternehmen in hohem Maße von den Wachstumsaussichten im Rest der Welt (und zunehmend auch Asien) abhängig sind, dürfe dies den Aktienmärkten der Region erheblich zugutekommen“, betont Ewert.
Günstige Bewertungen kompensieren schwächeres Wachstum
Aus Sicht Ewerts würden viele Marktteilnehmer erwarten, dass die europäische Wirtschaft eine holprige Landung vor sich habe, da die aggressive geldpolitische Straffung des vergangenen Jahres zu greifen beginne. „Wir stellen jedoch fest, dass europäische Aktien nach wie vor gut bewertet sind. Der MSCI Europe Index handelt derzeit bei einem historisch niedrigen 12,7-fachen der zukünftig erwarteten Unternehmensgewinne. Damit sind europäische Aktien nach wie vor sehr attraktiv, insbesondere im Vergleich zu US-Aktien“, so die Expertin.
Sie resümiert: „Die Bewertungen europäischer Aktien haben zwar begonnen, sich zu normalisieren, und das teurere Ende des Marktes hat angefangen, sich abzuschwächen, aber die Bewertungslücke zwischen teuren und günstigen Aktien ist im historischen Vergleich immer noch groß. Daraus ergeben sich Gelegenheiten für Stockpicker.“
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