Mehr Licht für Waldstorchschnabel und Teufelskralle

Es ist lichter geworden am Breungeshainer Hang. Dem ab und an vorbeikommenden Wanderer wird es kaum auffallen sein. Ortskundige und Liebhaber stellen jedoch fest, dass auf den Wiesen unterhalb des bekannten Hoherodskopfes plötzlich der ein oder andere Baum fehlt. Genauer gesagt: einige der größeren und kleineren Fichten. Aber Warum?

Bei der Entnahme der Fichten handelt es sich um eine Pflegemaßnahme der wertvollen Wiesen und Weiden vor Ort, die in Absprache mit der Stadt Schotten durch das Naturschutzgroßprojekt Vogelsberg durchgeführt wurde. Keine Angst – es sind nicht alle Bäume von der Fläche verschwunden. Nur eine Handvoll der vereinzelt stehenden Nadelbäume wurde entfernt. Alle Laubbäume sind verblieben.

Hintergrund der Maßnahme: der Schutz und die Pflege der besonders wertvollen Offenlandbiotope, sprich der Bergmähwiesen, Magerweiden und Zwergstrauchheiden. Diese „offenen“ also weitgehend gehölzfreien Landschaften sind wichtige Lebensräume für zahlreiche heimische Pflanzen und Tiere (sog. Biotope). Sie sind aus naturschutzfachlicher Sicht von besonderem Wert, da sie immer seltener werdende Pflanzen beherbergen, die hier im Vogelsberg noch eine Heimat finden. So zum Beispiel der violett blühende Waldstorchschnabel, die gelbe Trollbulume und die Schwarze Teufelskralle. Sie sind Vertreter der buntblühenden Bergmähwiesen. Aber auch unscheinbare Pflanzen wie das raue Borstgras der Weiden begleitet von zartblühendem Ehrenpreis, Kreuzblümchen und aromatischen Weidekräutern wie Thymian und Kleiner Pimpernelle.

Als Offenland werden dabei niederwüchsige und weitgehend gehölzfreie Landschaften bezeichnet, die häufig aus Wiesen, Weiden, Äckern und Heiden bestehen. Gelegentlich findet sich der ein oder andere Strauch, einzelne Bäume oder ein Heckenzug in der Landschaft. Weitgehend ist sie jedoch „offen“.

Als Biotope bezeichnet man einen Lebensraum mit bestimmten typischen Pflanzenzusammensetzungen. Diese treten bei Standorten mit wiederholt ähnlichen Eigenschaften, wie dem Nährstoffangebot im Boden, der Wasserverfügbarkeit, der Lage oder auch der Exposition, also der Hangneigung und Sonnenausrichtung, immer wieder in vergleichbaren Gruppen auf. Einige Biotope sind sehr häufig, andere eher selten und bestimmte sogar gesetzlich geschützt.

Die Bergmähwiesen und artenreichen Borstgrasrasen zum Beispiel, die sich als typische Heuwiesen und Weidelandschaft über Jahrhunderte hinweg hier im Vogelsberg etabliert haben, sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz gesetzlich geschützt. Da ihre Bestände im Zuge zunehmender landwirtschaftlicher Intensivierung, hoher Nährstoffeinträge oder durch die Nutzungsaufgabe unrentabler Flächen stark abnehmen, hat sich nicht nur Deutschland, sondern die gesamte EU bereits 1992 darauf geeinigt, diese nachhaltig zu schützen und weitere Verluste zu vermeiden.

Am Breungeshainer Hang findet sich ein ganzer Komplex verschiedenster seltener Offenlandbiotope auf über 50 Hektar. Im Übergang zwischen den gesetzlich geschützten Bergmähwiesen, Borstgrasrasen und Zwergstrauchheiden wachsen weitere wertvolle Magerwiesen. Ziel ist es, diese durch eine passende Nutzung mit Mahd und Schafweide langfristig zu erhalten und durch gezielte Maßnahmen aufzuwerten. 

Die Pflege der Biotope wurde bereits im Pflege- und Enticklungsplan (PEPL) während der Planungsphase des Naturschutzgroßprojektes mit aufgenommen. Seit 2015 werden nach und nach diverse Maßnahmen zur Pflege wie z.B. der Rückschnitt überalterter Heidelbeersträucher, das Striegeln, die Mahd und Einsaat verarmter Wiesen oder, wie jetzt am Breungeshainer Hang, die Entnahme einzelner Fichten umgesetzt.

Die Entnahme der Fichten auf den Borstgrasrasen am Breungeshainer Hang stellt dabei eine solche Pflegemaßnahme dar. Die ausladenden Fichten beschatten die niederwüchsigen Kräuter und nehmen ihnen das Licht zum Wachsen. Durch die bodentiefen Äste gelangt wenig Licht an den stammnahmen Bereich. Zusätzlich legt sich die saure Nadelstreu wie eine Decke auf den Boden.

Die Fichten am Breungeshainer Hang sind nie aktiv dort gepflanzt worden. Die Samen sind durch den Wind und durch Tiere verbreitet worden und zufällig auf der Fläche gelandet und aufgekeimt. Dabei handelt es sich um einen ganz natürlichen Prozess. Dieser wird auch als Sukzession bezeichnet, also das langsame Aufwachsen von Bäumen und Sträuchern über die Krautschicht hinaus bis hin zu einem geschlossenen Wald. Bis jedoch ein vollständiger Wald besteht, können viele Jahrzehnte ins Land gehen. Eine natürliche Sukzession findet auf fast allen offenen Flächen statt, die nicht aktiv durch den Menschen freigehalten werden, zum Beispiel durch Mahd, Beweidung oder aktiven Rückschnitt der Bäume und Sträucher.

Das „Offenhalten“ der Landschaft lohnt sich. Auf nährstoffarmen, traditionell bewirtschafteten Wiesen und Weiden finden sich die artenreichsten Biotope ganz Europas. Mit bis zu 30 gefundenen Arten auf nur 1 Quadratmeter, damit können kein Wald und kein Acker konkurrieren. Ein wahrer Schatz der Artenvielfalt/Biodiversität! Dennoch haben alle Biotope einen Platz und eine wichtige Funktion in der Landschaft. Das Ziel sollte daher immer sein, ein vielfältiges und strukturreiches Landschaftsmosaik zu erhalten, dass Lebensraum für eine Fülle verschiedenster Arten bietet.

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