Die erwartete Rezession in Europa ist zu Jahresbeginn ausgefallen, ebenso wie eine verschärfte Energiekrise. Neue Energiequellen wurden erschlossen, dazu kam ein geringerer Verbrauch und der milde Winter. „Die Folge davon ist ein verhaltener Konjunkturoptimismus“, erklärt Gerlinger. Getragen wird diese Zuversicht von deutlich niedrigeren Energiepreisen, zuletzt besser als erwartet ausgefallenen Unternehmensgewinnen sowie einer spürbaren Entspannung bei den Lieferketten.
Auch die US-Wirtschaft konnte eine Rezession bislang umgehen, der Arbeitsmarkt präsentiert sich weiter stark. In der größten Ökonomie der Welt, China, wiederum führt die Wende in der Covid-Politik zu einer Rückkehr der Normalität, die vor allem die Binnenwirtschaft stärkt. Allerdings ist nicht alles rosig. „Die Geldmenge M1 schrumpft und gleichzeitig ist der Renditeabstand zwischen langfristigen und kurzfristigen Papieren in den USA so niedrig wie seit 40 Jahren nicht mehr“, so Gerlinger. Ob eine Rezession bevorsteht, wann sie kommt und wie tief sie wird, sei allerdings schwer vorauszusagen – zu groß sind noch die Verwerfungen im Gefolge der Corona-Pandemie.
Noch haben die gestiegenen Zinsen die Konjunktur nicht deutlich abgebremst. Bislang leiden nur sehr zinssensitive Sektoren wie die Immobilienwirtschaft unter den gestiegenen Finanzierungskosten. Die Notenbanken beiderseits des Atlantiks werden die Zügel aber weiter anziehen. Denn obwohl die Entspannung bei den Energiepreisen die Inflationsrate drückt, erweist sich die Kerninflationsrate (ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise) als hartnäckig hoch. So hatte im Euroraum der Anstieg der Verbraucherpreise bereits im Oktober mit 10,6 Prozent sein Hoch erreicht. Dagegen erreichte die Kerninflationsrate im vergangenen Februar mit 5,6 Prozent einen Rekordwert.
„Auch wenn die nächsten Monate einen Rückgang der Teuerung bringen werden, bleiben die Inflationsziele der Notenbanken unrealistisch“, sagt Gerlinger. Statt des Zielwerts von knapp unter zwei Prozent dürften die Raten eher bei vier bis fünf Prozent liegen. Damit stehen weitere Zinserhöhungen an, die zum einen die Konjunktur dämpfen und zum anderen die Aktienmärkte weiter belasten werden.
Hier ist es in den vergangenen Wochen zu einem Favoritenwechsel gekommen. Der lange sehr starke US-Markt war zuletzt Underperformer, das Zinsumfeld belastete vor allem Wachstumstitel aus dem Tech-Sektor. Insgesamt ist die Bewertung zurückgenommen, liegt aber noch über dem langfristigen Durchschnitt. „Angesichts einer Abschwächung der Wirtschaft dürften die Gewinnerwartungen in den USA für dieses Jahr schwächer ausfallen, womit die zum Teil extremen Bewertungen weiter abschmelzen könnten.“
Besser schlug sich zuletzt der europäische Markt. Insbesondere die sehr zyklische Industrie wurde durch den deutlichen Rückgang der Energiepreise sowie bessere Konjunkturdaten beflügelt. Der Finanzsektor profitierte von den steigenden Zinsen. „Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Outperformance Europas zunächst andauern wird“, so Gerlinger. Denn trotz der jüngsten Rallye ist der Bewertungsabschlag europäischer Aktien gegenüber dem US-Markt weiterhin hoch. Zudem sollte Chinas Wende in seiner Covid-Politik die exportlastigen europäischen Aktien unterstützen.
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