Der Vorsitzende des Gremiums, Dr. Norbert Reinkober (Geschäftsführer der go.Rheinland GmbH in Köln), weist darauf hin, dass das politische und gesellschaftliche Umfeld sehr günstig ist, Akzente für mehr Schienenverkehr zu setzen. „Erfolgsentscheidend ist dabei jedoch aus Sicht des Netzbeirates, zu deutlich schnelleren und wirksamen Lösungen zu kommen“, so Reinkober. Beispielsweise benötigen die schon heute kritische Netzauslastung und die drängende Notwendigkeit einer erst noch zu realisierenden Verkehrswende auch sehr kurzfristig wirkende, dispositive Entscheidungen der Verantwortlichen, z.B. zu Netznutzung und betrieblichen Konzepten.
Ob die dargestellte Marktentwicklung tatsächlich so uneingeschränkt „positiv“ ist, illustriert ein Blick auf die Daten und Fakten. Im Personenverkehr werden die offiziell prognostizierten Verkehrsleistungen für 2030 jenseits der Corona- und anderer exogenen Störereignisse bislang übertroffen, für den Güterverkehr gilt dies jedoch nur bedingt. Insbesondere dort machen sich bereits seit geraumer Zeit die bekannten Kapazitäts- und Qualitätsprobleme des Sektors bemerkbar. Sie betreffen insbesondere auch den Kombinierten Verkehr. Der vierte Geschäftsplan lässt erneut erkennen, dass die Anforderungen insbesondere an die Infrastruktur evident sind. Politik und Gesellschaft insgesamt erwarten hier eine Erfüllung der Wachstumsziele des Schienenverkehrs. Damit „mehr Verkehr auf der Schiene“ und eine Verkehrswende konkret werden können, sind nach Ansicht des Netzbeirats nach wie vor erhebliche und vor allem zeitnahe Vorleistungen dringend notwendig:
Fokusthemen weiterentwickeln ohne weitere Verzögerungen!
Mit Nachdruck sollten Themen wie der Ausbau und die Elektrifizierung weiterer Strecken, die Reaktivierung von Strecken für den Personen- und für den Güterverkehr sowie die Beseitigung von Engpässen im Netz vorangetrieben werden. Auf kapazitätsreduzierende Maßnahmen wie den Abbau von Strecken, Weichen und Kreuzungen sowie von Abstell- und Serviceeinrichtungen sollte verzichtet werden. Die genannten Themen tragen dazu bei, die Umweltfreundlichkeit der „Schiene“ zu verbessern, ihren Betrieb effizienter zu gestalten und bei Kunden als attraktiveres Produkt wahrgenommen zu werden.
Die Engpassbeseitigung bei Strecken und in Knoten sowie weitere Kapazitäten bei Personenbahnhöfen und Netzzugangsstellen wie zum Beispiel Gleisanschlüsse, Ladegleise oder Terminals für den Güterverkehr zählen nach Ansicht des Netzbeirats zu den dringendsten Aufgaben. Nur wenn dies innerhalb kurzer Zeit gelingt, entstehen zeitnah dringend benötigte weitere Kapazitäten für „mehr Schiene“, erst danach kann eine Verkehrswende tatsächlich konkret Gestalt annehmen. Gegebenenfalls ist es sinnvoll, temporär an bestimmten Engpassstellen die Zuggeschwindigkeiten zu harmonisieren, um damit auf dispositivem Wege zeitnah Kapazität zu gewinnen.
Substanzverzehr stoppen und Netzzustand verbessern!
Die regelmäßig vom Eisenbahn-Bundesamt veröffentlichten und von DB Netz erstellten Infrastrukturzustandsberichte zeigen auf, dass die Alterung der Schienenwege bisher nicht gestoppt werden konnte. Diese Entwicklung führt teilweise zu einer Verschlechterung in den Netzzustandskategorien in kritischen Gewerken bei gleichzeitig steigenden Störgeschehen. Der Netzbeirat regt in der Diskussion einer zielgerichteten Steuerung entlang relevanter Indikatoren an sowie die Einführung einer umfassenden Zustandsbewertung (Alter, Störgeschehen, Schadensbild) nach Schweizer Vorbild für alle Gewerke als Grundlage zur Umsetzung zustandsverbessender Maßnahmen.
740m-Netz für den Güterverkehr ohne weitere Verzögerungen forcieren!
Die bereits im letzten Geschäftsplan avisierten Verspätungen bei der Fertigstellung dieses Programms werden leider bestätigt. Nunmehr soll das Programm im Jahre 2031 mit weiteren fünf Jahren Verspätung abgeschlossen werden. Als Erklärung werden die „Dauer der Baurechtsverfahren“ und die Möglichkeiten zur „betrieblichen Eintaktung der Baumaßnahmen“ angeführt. Eine Reaktion auf das Votum des Netzbeirats, die Produktivitätsverluste insbesondere im Güterverkehr im Zusammenwirken von Bund und Bahn zu beseitigen, ist leider nicht erkennbar. Damit bestehen die daraus folgenden Nachteile fort und belasten Unternehmens- und Umweltbilanzen gleichermaßen.
Mehr Zugangsstellen für die Verkehrswende herstellen!
Für eine erfolgreiche Verkehrswende ist es unabdingbar, dass vor dem eigentlichen Verkehrsträgerwechsel die benötigte Infrastruktur fertiggestellt ist, damit wechselwillige Fahrgäste und Güter tatsächlich auf die Schiene umsteigen können. Hierfür sieht der Beirat ein Zeitfenster von maximal zehn Jahren, um Zugangsstellen wie Personenbahnhöfe, Containerterminals, Railports, Gleisanschlüsse und Haltepunkte zu erweitern, zu modernisieren oder neu zu errichten.
Stillgelegte Strecken reaktivieren für Personen- und Güterverkehr!
Deutschland braucht für die Verkehrswende den Aufbau eines möglichst engmaschigen, flächendeckenden Netzes von Strecken, Personenbahnhöfen und Zugangsstellen für den Personen- und Güterverkehr. Der Netzbeirat spricht sich dafür aus, dass eine Mitnutzung reaktivierter Strecken durch den Güterverkehr von Bund und Infrastrukturbetreiber ermöglicht wird; entsprechende Randbedingungen dafür sind zeitnah herzustellen. In Kombination mit gegebenenfalls geförderten Gleisanschlüssen muss auch auf der Schiene möglichst flächendeckend die „letzte Meile“ möglich werden.
Netzkonzeption 2040 stärker auf die Konsequenzen aus der Verkehrswende ausrichten!
Mit der Netzkonzeption 2030 gelang ein erster Aufschlag, um für wachsende Verkehrsmärkte neue Angebote zu schaffen. Nicht zuletzt mit Blick auf die Kapazitäts- und Qualitätsprobleme stellt der Netzbeirat fest, dass auch 2030 hochwertige Trassen nicht ausreichend vorhanden sein werden. Eine Netzkonzeption 2040 sollte hierauf reagieren und u.a. die dort genannten Wachstumsziele nach oben korrigieren bzw. neue Ziele wie „mehr Zugangsstellen“ aufnehmen. Ohne ein bereits zum Bedarfszeitpunkt aufnahmefähiges Netz wird es keine Verkehrswende geben, entsprechende kurzfristige dispositive und eher langfristige investive Vorbereitungen müssen bis dahin abgeschlossen sein.
Implementierung von ETCS beschleunigen!
Die Implementierungsstrategie für das European Trail Control System (ETCS) kann noch immer nicht überzeugen. Über Jahrzehnte hinweg wird ein paralleler Betrieb von ETCS und anderen Systemen stattfinden. Für Infrastruktur- und Verkehrsunternehmen sind damit erhebliche finanzielle Risiken verbunden (zweifache Leit- und Sicherungstechnik bedingt überhöhte Kosten und verhindert eigenwirtschaftliche Verkehre). Weiterhin ist trotz wiederholter Nachfrage unklar, wie es sich tatsächlich mit den reklamierten Kapazitätsgewinnen verhält. Der Netzbeirat drängt darauf, dass die Finanzierung der fahrzeugseitigen ETCS-Investitionen geklärt wird.
Kapazitätsnutzungskonzept für die Jahre ab 2025 sicherstellen!
Die Kapazitätsengpässe im Netz, bedingt durch vermehrte Trassennachfrage und intensivierte Instandhaltung, ist Anlass zu großer Besorgnis. Der Aussage von DB Netz ist zuzustimmen, dass man mit „gewachsenen Prozessen und Strukturen im Fahrplan und Kapazitätsmanagement“ nicht weiterkommt. Im Netzbeirat werden bereits Fragen des digitalen Netzmanagements diskutiert. Die Verkehrsunternehmen sind in gewisser Unruhe, dass noch nicht rechtsverbindlich anzuwendende Verfahren wie das im Sommer 2021 erstmals vorgestellte Konzept „KaZu Novum“ (Kapazitätsplanung und -Zuweisung der Zukunft) bereits Gegenstand des aktuellen Geschäftsplans sind. Unabhängig von bestimmten Managementkonzepten müssen Zugangsberichtigte transparent erkennen können, wie unter diesen ungünstigen Randbedingungen leistungsfähige Schnittstellen weiterhin genutzt werden können. Dessen ungeachtet ist aus Sicht des Beirats darauf zu achten, dass die Koordination von Bauen und Betrieb unter Einbeziehung der Netzzugangsberechtigten bestmöglich funktioniert.
Zum Hintergrund: Das ist der Netzbeirat:
Der Netzbeirat berät die DB Netz AG bei allen Fragen der Entwicklung, des Ausbaus und des Erhalts des Schienennetzes. Das Gremium setzt sich aus Vertretern oder Beauftragten von Eisenbahnverkehrsunternehmen und der für den Nahverkehr zuständigen Organisationen der Bundesländer zusammen. Damit möglichst viele Unternehmen und Organisationen aus allen Regionen Deutschlands die Möglichkeit erhalten, sich im Netzbeirat zu engagieren, wählt das Eisenbahn-Bundesamt die Mitglieder für jeweils drei Jahre aus.
Der Beirat ist Repräsentant der Netznutzer und vertritt deren Belange. Aufgrund seiner Unabhängigkeit äußert er sich auch öffentlich und findet im Eisenbahnsektor Gehör. So führt das Gremium Gespräche mit dem Parlament, der Bundesregierung und der Europäischen Kommission und dient einem institutionalisierten Trilog zwischen dem Betreiber der Schienenwege, den Nutzern und der Eisenbahnaufsichtsbehörde.
Die DB Netz AG informiert den Beirat über alle von ihm aufgegriffenen Infrastrukturentwicklungsthemen und bezieht ihn in ihre strategischen Planungen ein. Im Netzbeirat werden daher nicht nur Fragen in Bezug auf die Größe, die Kapazität und die Standards des Netzes, Planungen von Neu- und Ausbaumaßnahmen sowie Ersatzinvestitionen diskutiert. Der Beirat befasst sich auch mit aktuellen Fragen wie der Förderung eines lärmärmeren Güterverkehrs, der Finanzierung des Erhalts des Bestandsnetzes und der Ermittlung von infrastrukturellen Engpässen. Er erarbeitet Empfehlungen, die der Vorstand des Betreibers der Schienenwege zum Gegenstand seiner Beratungen macht. Außerdem gibt er Stellungnahmen zu den Geschäftsplänen der Betreiberin der Schienenwege ab, welche ihre Investitions- und Finanzierungsplanungen enthalten.
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