The F* word – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign

„Do women have to be naked to get into the Met.Museum?“ Mit diesem legendären Poster machte die Aktivist*innengruppe Guerrilla Girls 1989 in New York darauf aufmerksam, dass Frauen zwar ein beliebtes Bildmotiv sind, aber nur wenige weibliche Positionen in Museen, Galerien und Kunstinstitutionen ausgestellt werden. Seit fast 40 Jahren engagiert sich das international bekannte Kollektiv aus den USA mit humorvollen, aufklärenden und anklagenden Arbeiten gegen Sexismus, Rassismus, Diskriminierungen sowie Machtmissbrauch und Korruption im Kunstbetrieb. Für das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) entwickeln die Guerrilla Girls eine eigene Arbeit, die die Sammlung des Museums kritisch evaluiert. In der Ausstellung „The F* word – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign“ im MK&G bilden die Plakate der Künstlerinnengruppe den Ausgangspunkt der Gruppenschau, die rund 500 Arbeiten von 1870 bis heute umfasst.

Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Auch fast vier Jahrzehnte nach der Gründung der Guerrilla Girls kämpfen Frauen und nicht weiße Künstler*innen immer noch für Gleichberechtigung nicht nur in der Kunstwelt, sondern auch in anderen Lebensbereichen. Diese Ausstellung zeigt nicht nur die bisher größte Zusammenschau in Deutschland des großartigen Gesamtwerks der Guerrilla Girls, sondern hinterfragt auch selbstkritisch die eigene Sammlung. Das MK&G unterstreicht so einmal mehr seinen Anspruch, gesellschaftlich relevante Themen zu behandeln.“

„Nur wenn Künstlerinnen, Designerinnen und Architektinnen ausgestellt werden, wenn über sie geforscht und geschrieben wird, nur wenn all ihr Tun sichtbar und öffentlich gemacht wird, nur dann verankert sich das Wissen über ihren Einfluss, ihre Kraft und Qualität nachhaltig in der Gesellschaft. In Zeiten, in denen an vielen Orten der Welt für die existentiellen Rechte von Frauen gekämpft wird, wollen wir nicht anklagen, sondern einen positiven Beitrag leisten und deutlich zeigen, mit welchem ungebrochenen Willen, mit welchem Witz und welcher Zuversicht Gestalterinnen schon immer auf höchstem Niveau arbeiten und für einander einstehen“, so Tulga Beyerle, Direktorin des MK&G.

GUERRILLA GIRLS
Seit 2022 befindet sich das Gesamtwerk der Guerrilla Girls im MK&G, nun wird es mit 100 Arbeiten in der bisher größten Zusammenschau in Deutschland  präsentiert. Die Gruppe gründet sich 1985 in New York als Reaktion auf eine Ausstellung des Museum of Modern Art, die den Anspruch hatte, einen internationalen Überblick zeitgenössischer Malerei und Skulptur zu geben. Unter den 165 vertretenen Künstler*innen waren nur 13 Frauen und noch weniger BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour). Seither machen die Guerrilla Girls auf Ungleichheiten, Diskriminierung und Machtverhältnisse im Kunstbetrieb aufmerksam. Dazu nutzen sie Statistiken und pointierte Formulierungen, die auf Plakaten, Flyern, Broschüren und in Videos eindringlich auf Veränderung pochen. Bei den Performances, die ebenfalls zentraler Bestandteil ihrer Arbeit sind, tragen sie Gorillamasken, um ihre Anonymität zu wahren und sicher zu stellen, dass die Botschaften, nicht die Personen im Vordergrund stehen. Die Gruppe besteht aus aktiven Künstler*innen und agiert inzwischen international. Zwar liegt der Fokus weiterhin auf der Kunstwelt, doch werden zunehmend auch Film und Theater, Popkultur und Politik kritisiert. Die Ausstellung im MK&G ist die erste in einem Museum für Gestaltung. Kritik und Veränderung sind dringend notwendig: Weniger als 1,5% der Arbeiten in der Sammlung Grafik und Plakat werden Gestalterinnen zugeordnet, BIPoC und LGBTQI* sind so gut wie nicht vertreten. Für dieses Ungleichgewicht finden die Guerrilla Girls in ihrer direkten und humorvollen Art ein eigenes Bild: das Franzbrötchen. Der Anteil der Frauen in der Sammlung wird in der eigens für das MK&G konzipierten Arbeit durch einen kleinen Krümel der typischen Hamburger Spezialität repräsentiert. Das MK&G nutzt daher den Impuls der Aktivist*innen, um die eigene Sammlung zu evaluieren und neue Sammel- und Ausstellungspraktiken zu entwickeln.

SELBSTKRITIK UND SAMMUNGSANALYSE
Um die Notwendigkeit der Kritik der Guerrilla Girls zu unterstreichen, macht die Ausstellung die enorme Schaffenskraft von Gestalterinnen der letzten 150 Jahre sichtbar. Zu sehen sind herausragende Arbeiten aus der Sammlung: Film-, Theater- und politische Plakate, Zeitschriften- und Buchcover, Flyer, Anzeigen, Ex Libris, Schriftentwürfe und historische Ornamentstiche. Die unbestreitbare Qualität dieser Arbeiten wirft die Frage auf, warum so wenige von ihnen bekannt sind. Wie entstehen (Un-)Sichtbarkeiten? Welche strukturellen Bedingungen gilt es in den Blick zu nehmen und zu hinterfragen? Und um welche Positionen und Themen sollte die Sammlung in Zukunft ergänzt werden?

FEMINISTISCHES GRAFIKDESIGN
Ein weiterer Teil der Ausstellung eröffnet die historische und fortwährende Relevanz aktivistischer und feministischer Gestaltung. Gezeigt werden zeitgenössischen Positionen wie die Grafikerin Anja Kaiser, das niederländische Designstudio The Rodina, das Missy Magazin, die Illustratorin Anke Feuchtenberger und Sheila Levrant de Bretteville, die den feministischen Diskurs ab den 1970er Jahren vorangetrieben hat. Historische Plakate, die Teil des Kampfes um Wahlrecht und Selbstbestimmung von Frauen sind, dokumentieren die Konstanz, Breite und Vielfalt feministischer Positionen und Forderungen. Ein umfangreiches Konvolut von Protestplakaten vor allem der Frauenbewegungen in den 1970er und 1980er Jahren macht zudem greifbar, mit welchen visuellen Strategien sich Feminist*innen für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Anerkennung, Solidarität und Diversität eingesetzt haben. Die ungebrochene Relevanz und Notwendigkeit feministischer Kämpfe wird unter anderem in einer Sammlung von queerfeministischen Zines – selbst gestaltete, produzierte und vertriebene, magazinähnliche Publikationen – deutlich. Die rund 200 Zines wurden durch einen Open Call zusammengetragen. Die so entstandene, neue Zines-Sammlung ist nur einer von vielen Impulsen, die von der Ausstellung ausgehen und die Sammlung Grafik und Plakat nachhaltig verändern werden. Die Ausstellung bildet den Auftakt einer Neuausrichtung der Sammlung und zeitgemäßer Ausstellungs- und Vermittlungsformate, geprägt von Neugierde auf bisher nicht erzählte Geschichten, spannende zeitgenössische Positionen und dem Wunsch nach Forschung und Vernetzung.

Die Ausstellungsgestaltung erfolgt in Zusammenarbeit mit O.F.I.S.; Rimini Berlin entwickelt die Ausstellungsgrafik und eine „Ausstellung in der Ausstellung“ zu Schriftgestalterinnen; Distaff Studio konzipiert die Vermittlungsstationen.

COLLECTI*F – ZUSAMMEN SAMMELN
Mit „collecti*f“ möchte das MK&G eine Sammlung feministischen Grafikdesigns aufbauen. Besucher*innen können aktiv daran mitwirken, indem sie Ankäufe unterstützen – entweder direkt in der Ausstellung vor Ort oder über ein digitales Spendenformular. Die Neuerwerbungen werden einmal im Jahr präsentiert. Auch Ankaufsvorschläge sind willkommen. Mehr Informationen unter mkg-hamburg.de/collectif.

BETEILIGTE GESTALTER*INNEN
Sheila Levrant de Bretteville, Cyan, Anke Feuchtenberger, April Greiman, Grete Gross, Guerrilla Girls, Henriette Hahn-Brinckmann, Anja Kaiser, Valentina Kulagina, Lora Lamm, Elena Luksch-Makowsky, Gabriel .A. Maher, Ethel Reed, Nelly Rudin, Paula Scher, Spring Kollektiv, Warwara Stepanowa, Rebecca Stephany, The Rodina, Andrea Tinnes, Rosmarie Tissi, Annik und Paula Troxler u.a.

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