ESG-Fonds und nachhaltige Geldanlagen: Greenwashing verhindern durch „neue Sachlichkeit“ in der Werbung

Laut einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC glauben 87 Prozent der professionellen Investoren, Vermögensverwalter und Analysten, dass Unternehmen Greenwashing betreiben.[1] Die in jüngster Zeit gehäuft erfolgte Herabstufung von „dunkelgrünen“ Artikel-9-Fonds in „hellgrüne“ Artikel-8-Fonds brachte die Branche zusätzlich in Verruf. In der Folge ringen Produktanbieter um ihre Glaubwürdigkeit und somit gleichzeitig um ihren wirtschaftlichen Erfolg. „Wenn die an sich erstrebenswerte Idee eines nachhaltigen Finanzsystems flächendeckend in der Gesellschaft Fuß fassen soll, müssen die Anbieter von ESG-Fonds und nachhaltigen Geldanlagen ihre Gewohnheiten in Sachen Werbung und Marketing grundlegend ändern, denn sonst laufen sie Gefahr, den Vertrauenskredit aufzubrauchen und bald auch ihre Kunden nicht mehr zu erreichen“, meint Dr. Baris Calisan, Geschäftsführer von Green Face Value und Marketingberater für Finanzdienstleister, Fondsgesellschaften und Banken.

Nachhaltiges Investieren auf der Grundlage von ökologischen, sozialen und ethischen Standards (ESG; Environmental, Social, Governance) wird für immer mehr private und professionelle Anleger zu einer Selbstverständlichkeit. Mithin steigt die Nachfrage nach ESG-Fonds und nachhaltigen Geldanlagen. Auch die Regulatorik zwingt Fondsgesellschaften und Banken, ihr Produktangebot nachhaltiger zu machen und immer stärker an ESG-Kriterien auszurichten. Dadurch kommt den Finanzmärkten eine Schlüsselrolle bei der sozial-ökologischen Transformation zu, indem Nachhaltigkeit als fester Bestandteil in den Geschäftsmodellen der investierten Unternehmen verankert und Greenwashing verhindert werden soll.

Als eine Folge hiervon sprießen nachhaltig orientierte Finanzprodukte und Fonds wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden und eine schier unüberschaubare Vielzahl an Angeboten buhlt um die Gunst der Anleger. Überdies ähneln sich die Anlageziele dieser Produkte prinzipiell oder sind nur mit entsprechendem Fachwissen voneinander unterscheidbar. Im Bemühen sich von den Wettbewerbern abzuheben, setzen Anbieter daher in ihrer Werbung auf farbenfrohe Bilder, plakative Selbstdarstellung und idealisierte Produktversprechen.

Weil unklar ist, was nachhaltig ist, ist es die Werbung auch

„Heute finden sich auf Websites und in Anzeigen von vielen Finanz- und Fondsunternehmen fast schon gewohnheitsmäßig die immergleichen, abgedroschenen Wald- und Wiesenmotive garniert mit schwammigen Aussagen. Das liegt vor allem daran, dass Nachhaltigkeit bislang kein klar definierter, gesetzlich geschützter Begriff ist und für Finanzprodukte eindeutige Zertifizierungssysteme und gesetzlich festgelegte Parameter (noch) fehlen, um zu bestimmen, was nachhaltig ist und was nicht. Daher ist es für Produktanbieter umso wichtiger, in ihrer Kommunikation realistisch, kundennah und mit klaren Aussagen jederzeit überprüfbar zu sein“, kommentiert Calisan.

Zwar gilt seit März 2021 eine Offenlegungsverordnung der EU, doch diese ist nicht mehr als ein gut gemeintes, aber allzu vage gehaltenes Regelwerk. Hierfür spricht die in letzter Zeit vielfach erfolgte Herabstufung von ESG-Fonds, die von Artikel-9-Produkten gemäß Offenlegungsverordnung zu Artikel-8-Produkten degradiert wurden. „Hellgrüne“ Artikel-8-Fonds zeichnen sich dadurch aus, dass sie ESG-Merkmale „bewerben“. „Dunkelgrüne“ Artikel-9-Fonds hingegen klassifizieren sich dadurch, dass sie ein messbares ESG-Ziel „anstreben“ und werden deshalb im Fachjargon oft auch als „Impact-Fonds“ bezeichnet.

Falsches Marketing befeuert Greenwashing-Vorwürfe

Die plötzlichen Herabstufungen von Impact-Fonds auf weniger ambitionierte Artikel-8-Fonds schürte bei vielen nachhaltigen Anlegern – und auch bei der Öffentlichkeit und den Medien – Misstrauen an den Botschaften und Produktversprechen der Anbieter. Bei diesen ohnehin gegenüber Nachhaltigkeitsversprechen generell sensiblen und häufig kritisch eingestellten Adressaten ließ es sich kaum vermeiden, dass schnell der Verdacht von Greenwashing-Fällen aufkeimte.

„Man muss es so drastisch formulieren: Viele Anbieter von nachhaltigen Geldanlagen und Fonds stehen bei bestimmten Kundengruppen unter dem pauschalen Generalverdacht des Greenwashing. Diese Investoren sind informierter und kritischer als je zuvor und reagieren entsprechend sensibel auf blumige, aber inhaltsleere oder sogar irreführende Nachhaltigkeitsfloskeln. Profi-Investoren wie Stiftungen, kirchliche Organisationen und Versicherungen wollen sich in ihrer Außendarstellung mit Nachhaltigkeit schmücken. Das gelingt aber nur, wenn bei ihren Geldanlagen definierte Standards glaubwürdig erfüllt werden. Produktanbieter erschweren sich durch falsches Marketing nicht nur den Weg zu ihren Kunden, sondern verursachen ungewollt viel Argwohn und Zweifel“, ist Calisan überzeugt.

„Eine an der Realität der Anleger und ihren veränderten Vorlieben ausgerichtete Positionierung in Kombination mit einer klugen und klaren Kommunikation könnte Abhilfe leisten und Nachhaltigkeitsfonds viel Auftrieb verschaffen. Doch viele Anbieter erkennen nicht die Möglichkeiten und die Kraft einer individuellen, überzeugenden ESG-Story“, so Calisan weiter.

Klarheit für Kunden und Kundenberater

Auch die Politik hat die Gefahren des Greenwashing durch vage, irreführende oder unbegründete Werbung erkannt. Zurzeit bereitet die EU-Kommission ein Gesetz gegen Greenwashing vor, das voraussichtlich im März vorgestellt werden soll.[2] Dieser Vorstoß scheint dringend geboten, denn so wie es für „Nachhaltigkeit“ keine einheitlichen Standards gibt, fehlen auch für „Greenwashing“ verbindliche Richtlinien.

Von transparenten und glaubhaft informierenden Marketingmaterialien und -botschaften würden nicht nur Anleger, sondern auch Finanzberater profitieren. Voraussichtlich ab April dieses Jahres werden Finanzanlagenvermittler verpflichtet, bei der Beratung ihrer Kunden deren Nachhaltigkeitspräferenzen abzufragen und diese dann bei der Auswahl geeigneter Produkte entsprechend zu berücksichtigen.

Klar ist: Je nachhaltiger der Kunde eingestellt ist, umso geringer ist die Zahl der Finanzprodukte, die der Berater am Ende empfehlen kann und darf. In der Praxis gestalten sich solche Beratungsgespräche jedoch meist langatmig und zäh, da die persönlichen Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden in einer langwierigen, schematischen Vorgehensweise erfasst und mit genau vorgegebenen, komplizierten Daten und Fakten abgeglichen werden müssen. Hierzu zählen etwa die Messgrößen des European ESG Template (EET) oder die sogenannten PAIs (Principal Adverse Impacts), wobei mit letzteren diejenigen Kriterien gemeint sind, die eine nachteilige ESG-Wirkung haben.

„Die effektive Kundenberatung anhand von persönlichen Kundenpräferenzen wird bis auf Weiteres eine ständige Herausforderung im Vertrieb bleiben. Produktanbieter können diese Informationspflichten als Chance begreifen, sich im direkten Wettbewerb durch eine investorengerechte, sachlich fundierte Kommunikation hervorzutun, indem sie ihre ESG-Positionierung und -Story entlang harter Indikatoren wie etwa den EET-Daten und den PAIs entwickeln“, resümiert Calisan.

[1] Siehe hierzu PwC vom 06.12.2022: https://www.pwc.com/gx/en/issues/esg/global-investor-survey-2022.html (Abruf am 25.01.2023) und FONDS professionell online vom 22.12.2022: https://www.fondsprofessionell.at/news/vertrieb/headline/pwc-studie-neun-von-zehn-investoren-hegen-greenwashing-verdacht-221035/ (Abruf am 25.01.2023).

[2] Siehe hierzu Süddeutsche Zeitung vom 20.01.2023: https://www.sueddeutsche.de/wissen/klima-werbung-eu-kommission-plant-gesetz-gegen-greenwashing-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230120-99-291660 (Abruf am 25.01.2023).

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