Aktienselektion 2023: Auf die passende Kennzahl kommt es an

Vieles spricht bei der Aktienanlage 2023 für ein stark selektives Portfolio in global erfolgreiche Unternehmen – mit besonderem Augenmerk auf Europa und die passende Aktienbewertungskennzahl. Der generelle Vorteil Europas liegt in seinem grundsätzlichen Nachholpotenzial in den Bereichen Infrastruktur und Technologie. Dieses Potenzial ist Segen und Fluch zugleich, weil Interventionen durch die Politik zu erwarten sind. Insofern ist ein Übergewicht zwar gerechtfertigt – Aktien sind jedoch mit Sorgfalt selektiv zu wählen.

Ein weiterer wichtiger Faktor: Weltweit verstärken sich die Tendenzen einer konjunkturellen Abkühlung. Gerade in Phasen einer Wachstumsschwäche werden von Investoren wachstumsstarke Unternehmen gesucht und bevorzugt – also jene Unternehmen, die 2022 angesichts des veränderten Zinsregimes erheblich unter Druck gerieten. Trotz massiver Korrektur sind diese Werte auch heute noch nicht günstig, wir erachten es jedoch für wahrscheinlich, dass sich im Jahresverlauf 2023 neben strukturellen Sondersituationen auch wieder wachstumsstarke, qualitativ hochwertige Marktführer durchsetzen können.

Europa versus USA

Was zunächst nach einer Weihnachtsrallye aussah, endete mit einem Verlust in Höhe von 7,6 % für den Weltaktienindex MSCI Welt (in Euro) im Dezember. Damit wurde allein in einem Monat eine über einen langjährigen Anlagehorizont gerechnete durchschnittliche Jahresperformance kassiert. Und die unsichere makroökonomische und geopolitische Situation hält an. Das letzte Jahr hat gezeigt, dass vor allem Aktienmärkte immer mehr von Narrativen geprägt werden – ein offensichtlicher Gedanke stellt dabei auf die relative Attraktivität einzelner Aktienmärkte ab.

So konnte der seit der Finanzkrise 2008 gegenüber dem US-Aktienmarkt durch ständige Underperformance charakterisierte europäische Aktienmarkt binnen gut 2 Monaten 15 % (in US-Dollar) an relativer Performance wettmachen – ein außergewöhnlich hoher Wert, zumal die Unsicherheiten in der Welt für US-amerikanische wie europäische Unternehmen gleichermaßen gelten. Vielmehr dürften europäische Unternehmen im Vergleich sogar zu den Verlierern zählen, wenn man an die Energiekosten und mangelnde Energieversorgungssicherheit sowie die relative Abhängigkeit von China, aber auch an die lähmende Bürokratie denkt. Genannte Punkte haben über Jahre zurecht zu einem Malus gegenüber dem vor Kraft strotzenden US-Aktienmarkt geführt. Aber diese Aussage ist etwas zu pauschal. So wie der US-amerikanische Aktienmarkt seit der Finanzkrise vor allem von seiner Technologiebranche profitiert, so kann man europäische Unternehmen nicht generell als benachteiligt einstufen. Daher war es an der Zeit, die sich in den Finanzkennzahlen offenbarende Anomalie bei den relativen Wertentwicklungen etwas zu korrigieren.

KGV als Maßstab?

Selbst nach der jüngsten relativ starken Erholung europäischer Aktien spricht das KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) eine eindeutige Sprache. Für das laufende Kalenderjahr weist der europäische Aktienindex EuroStoxx50 ein KGV von 12,1 aus bei einer Dividendenrendite von 3,3 %, der US-amerikanische Index S&P500 ein KGV von 17,3 bei einer Dividendenrendite von 1,7 %. Die Zahlen lassen europäische Aktien relativ sehr attraktiv erscheinen, gemessen an der eigenen Historie sogar absolut. 

Aber ist das KGV in diesem Marktumfeld die richtige Vergleichsgröße für die Bemessung einer Bewertung? Eine gewisse Skepsis ist angebracht – zumal das G in der Formel nicht für effektive Unternehmensgewinne steht, sondern lediglich für die erwarteten zukünftigen Gewinne. Und diese Erwartungen sind mit signifikanten Unsicherheiten behaftet und daher gerade im aktuellen geopolitischen wie weltwirtschaftlichen Umfeld alles andere als belastbar, zumindest auf aggregierter Indexebene. So verzerrt die Inflation das reale Umsatz- und Gewinnwachstum je nach Reaktion des Unternehmens auf das aktuelle Geschehen. Tektonische Verschiebungen der strukturellen Rahmenbedingungen wie De-Globalisierung, De-Karbonisierung aber auch Demographie werden zu notwenigen Anpassungen der Geschäftsmodelle führen müssen.

Weitere Kennzahlen ein Muss

Eine solch komplexe Gemengelage verlangt nach Kennzahlen, die einen umfassenderen Blick auf die Bewertungen bieten, wie z. B. Preis-Buch-Verhältnis oder das Verhältnis Eigenkapitalrendite zu Kapitalkosten, aber auch auf die Beurteilung der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens angesichts seiner Schuldenquote oder seiner Ausgaben für Forschung & Entwicklung sind sinnvolle Messgrößen.

Die jüngste relative Outperformance europäischer Aktien ist angesichts simpler Messgrößen nachvollziehbar und war sicherlich auch aus statistischer Sicht überfällig. Pauschal fortschreiben lässt sich diese Entwicklung trotz weiterhin scheinbarer relativer Attraktivität jedoch nicht.

2023 wird vielmehr ein Stockpicker-Jahr sein. Angesichts struktureller Veränderungen in der Welt kommt es immer mehr auf die individuellen Geschäftsmodelle und deren Anpassungsprozesse an, weniger auf den Gesamtmarkt. Strukturelle Veränderungen begünstigen Disruptoren, Innovatoren, Adaptoren und Enablers (Ermöglicher) – diese sind in allen Regionen und allen Branchen zu finden.

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