Die Erwerbung des Rainer Maria Rilke-Archivs Gernsbach wurde ermöglicht durch die gemeinsame Kraftanstrengung von öffentlicher Hand und privaten Stiftungen. Großzügige Unterstützung ist dem Land Baden-Württemberg durch die Baden-Württemberg Stiftung, der Kulturstiftung der Länder, der Wüstenrot Stiftung, der Berthold Leibinger Stiftung, der Staatsministerin für Kultur und Medien und der Carl Friedrich von Siemens Stiftung zu verdanken.
Der Nachlass von Rainer Maria Rilke umfasst insgesamt mehr als 10.000 handschriftliche Seiten mit Werkentwürfen und Notizen, etwa 8.800 Briefe und über 470 Bücher und Zeitschriften aus seiner Bibliothek, u.a. in deutscher, französischer und russischer Sprache, die zwischen etwa 1897 und 1918 zusammenkamen und mit zahlreichen Annotationen, Marginalien und Widmunsggedichten versehen sind. Dazu kommen 131 bisher unbekannte Zeichnungen von Rilke, etwa 360 Fotografien aus allen Lebensphasen und weitere biografische Materialien. Die Dokumente stammen aus allen Epochen seines Lebens: von ersten Fotos und Kinderzeichnungen des Vierjährigen über Kinder. und Schulbücher bis hin zum Gedicht Komm du, du letzter den ich anerkenne, das er kurz vor seinem Tod in ein Taschenbuch schrieb.
Zu nahezu jedem Werk Rilkes sind Handschriften erhalten. Vorarbeiten, Entwürfe und Reinschriften erlauben die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte seiner berühmten Gedichtzyklen – Stunden-Buch, Buch der Bilder, Neue Gedichte, Duineser Elegien und Sonette an Orpheus – und Prosabücher wie Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke, Worpswede, Auguste Rodin und Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. 86 bisher weitgehend unbekannte Skizzen- und Taschenbücher enthalten neben tagebuchartigen Aufzeichnungen Notizen, Exzerpte, Gedicht- und Briefentwürfe und geben damit neue Einblicke in biografische und werkgeschichtliche Kontexte.
Rilkes außerordentlich umfangreiche Korrespondenzen, die von der Forschung als ein wichtiger Teil seines literarischen Werks angesehen werden, umfassen 2.500 Briefe von ihm mit mehr als 7.500 Seiten und rund 6.300 Briefe an ihn. Erhalten sind unter anderem Briefe von bzw. an Lou Andreas-Salomé, Max Brod, Hans Carossa, Eugène Carrière, Eleonora Duse, Stefan George, André Gide, Oskar Maria Graf, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Harry Graf Kessler, Ellen Key, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Annette Kolb, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Gustav Meyrink, Robert Musil, Boris Pasternak, Alfred Polgar, Walter Rathenau, Auguste Rodin, Romain Rolland, Arthur Schnitzler, Georg Simmel, Paul Valéry, Heinrich Vogeler, Clara Westhoff-Rilke und Stefan Zweig. Sie zeigen, wie intensiv Rilke in die europäischen Literatur- und Kunstszenen seiner Zeit eingebunden war. Überliefert sind auch zahlreiche Zuschriften von Lesern, Verehrerinnen und Verehrern, Zusendungen von jungen Schreibenden und von politischen Gruppierungen, die den Autor um Mitwirkung baten. Abrechnungen von Verlagen und Anträge auf Unterstützungen geben Auskunft über seine zeitweise prekäre finanzielle Situation.
Der in Prag geborene Autor verstand sich als Europäer und Weltbürger. Er lebte längere Zeit in Frankreich und Italien, in Deutschland und in der Schweiz, wo sich sein Grab befindet. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Russland und Spanien, nach Skandinavien und Ägypten. Er schrieb Gedichte nicht nur in deutscher, sondern auch in französischer und russischer Sprache und übersetzte Werke unter anderem von Gabriele d’Annunzio, Augustinus, Elizabeth Barrett Browning, Charles Baudelaire, André Gide, Jens Peter Jacobsen, Sören Kierkegaard, Michail J. Lermontow, Stéphane Mallarmé, Michelangelo, Francesco Petrarca, William Shakespeare und Paul Valéry.
Der Nachlass wird nach seiner archivarischen und bibliothekarischen Erschließung der internationalen Rilke-Forschung auch digital uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Um die Vielfalt der Materialien erstmals auch einem breiteren Publikum zu präsentieren, wird ab Ende 2025 im Marbacher Literaturmuseum der Moderne eine große Ausstellung Rilke auf neue Weise ins Gespräch bringen: als Zeitgenossen kultureller und politischer Bewegungen, die bis in unsere Gegenwart hineinwirken.
»Es ist eine kleine Sensation, dass dieser Rilke-Nachlass jetzt der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich gemacht werden kann. Rainer Maria Rilke ist einer der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts, der die Menschen bis heute beschäftigt. Ich bin gespannt, was wir durch die Erschließung dieser teils unveröffentlichten Werke Neues über ihn erfahren werden. Was für ein Glück, dass die Rilke-Bestände und jetzt auch dieser unvergleichbare Bestand im Literaturarchiv Marbach, dem literarischen Gedächtnis Deutschlands, bewahrt werden.«
Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien
»Rainer Maria Rilkes Schaffen steht nicht nur prägend für die literarische Moderne im Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die Facetten seines Werks zwischen Sprachskepsis und Sprachgewalt bilden das künstlerische virtuose Kaleidoskop einer aus den Fugen geratenen Zeit, die in ihrer Zerrissenheit und Fragmentierung literarisch kaum abzubilden war. Und gerade darin liegt der unschätzbare Wert, der im Erwerb des Rilke-Archivs durch das Deutsche Literaturarchiv liegt: Wir können dieses über sich selbst hinausweisende Werk in einer Welt, die wieder von historischen Zäsuren, von tiefer Verunsicherung durchdrungen ist, als Spiegel unserer Zeit rezipieren – und neu entdecken. Der Erwerb belegt die herausragende Stellung des Deutschen Literaturarchivs als zentrale Forschungs- und Dokumentationsstätte der deutschen Literatur. Ich danke der Familie Sieber-Rilke, dass sie sich entschlossen hat, ihren Archivbestand dem Deutschen Literaturarchiv Marbach zu überlassen.«
Arne Braun, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
»Rainer Maria Rilke gehört unbestritten zu den größten Dichtern der europäischen Moderne – ein literarischer Grenzgänger im sprachlichen, räumlichen und künstlerischen Sinne. Für uns als Baden-Württemberg Stiftung ist es wichtig, dass Rilkes wertvoller Nachlass, der in Gernsbach über viele Jahrzehnte bewahrt wurde, auch künftig in Baden-Württemberg bleibt. Wir freuen uns daher sehr, dass der Nachlass nun in Marbach eine neue Heimat findet, die der künstlerischen und wissenschaftlichen Bedeutung von Rilkes Werk angemessen ist. Das Rilke-Archiv wird dort zweifellos eine Strahlkraft entfalten, die weit über die Landesgrenzen hinausreicht.«
Christoph Dahl, Geschäftsführer Baden-Württemberg Stiftung
»Diese Erwerbung kann aus gutem Grund als sensationell bezeichnet werden. Mit dem Nachlass von Rainer Maria Rilke, dem sogenannten Rilke-Archiv Gernsbach erwirbt das Deutsche Literatur Archiv Marbach eines der bedeutendsten Autorenarchive des 20. Jahrhunderts. Viele der erworbenen Schriftstücke sind bislang kaum oder gänzlich unbekannt. Ihre umfangreiche Aufarbeitung wird die Rilke-Forschung sicherlich bedeutend bereichern und in Teilen verändern. Wir freuen uns, dass mit dem Ankauf dieses Archivs nach knapp 100 Jahren in Privatbesitz nun der internationalen Forschung und Öffentlichkeit zugänglich wird.«
Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder
»Die Öffentlichkeit und die Wissenschaft haben mit dem Rilke-Nachlass einen gewaltigen Schatz gewonnen! Dank an das Deutsche Literaturarchiv für das zähe Bemühen und das Gelingen, den Rilke-Nachlass mit der bestehenden Rilke-Sammlung in Marbach zusammenzuführen. Die Wüstenrot Stiftung hat ihren Beitrag dazu mit großer Freude geleistet.«
Joachim E. Schielke, Vorsitzender der Wüstenrot Stiftung
»Das Deutsche Literaturarchiv Marbach ist eine der wichtigsten Literaturinstitutionen weltweit. Die Berthold Leibinger Stiftung konnte die Einrichtung in den vergangenen Jahren bereits bei Ankäufen von Dokumenten aus dem Besitz von Erich Kästner, Franz Kafka und Siegfried Lenz unterstützen. Diesen bedeutenden Nachlass von Rainer Maria Rilke für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit zu sichern, war uns ein Herzensanliegen.«
Markus Wener, Geschäftsführer der Berthold Leibinger Stiftung
»Die Öffnung von Rilkes Nachlass für die Forschung ist ein internationales Ereignis – nicht nur für die Philologien, sondern auch für die Zeit- und Kunstgeschichte. Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung, die das Deutsche Literaturarchiv Marbach seit vielen Jahren bei der Erwerbung unverzichtbarer Forschungsliteratur fördert, beglückwünscht das Archiv zu diesem Coup und sieht den wissenschaftlichen Erträgen mit Freude entgegen.«
Marcel Lepper, Geschäftsführer der Carl Friedrich von Siemens Stiftung
»Seit seiner Gründung hat sich das Deutsche Literaturarchiv um das Rilke-Archiv Gernsbach bemüht und gleichzeitig die weltweit größte Rilke-Sammlung zusammengetragen. Jetzt gelingt eine der wichtigsten Nachlass-Erwerbungen in der Geschichte der Deutschen Schillergesellschaft: Das Rilke-Archiv Gernsbach ist ein Jahrhunderterwerb. Mein großer Dank gilt dem Kreis der Förderer, die diese epochale Erwerbung in wunderbarem Zusammenwirken ermöglicht haben.«
Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Marbach
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