Ja, im Vogelsberg wurde 1992 das allererste „Kinder- und Jugendparlament“ in Deutschland ins Leben gerufen. „Was damals als Experiment begann, ist heute zu einer Institution geworden und nicht mehr wegzudenken aus unserer kommunalen Familie“, konstatiert Dr. Mischak in Rahmen der Geburtstagfeier im alten Güterbahnhof in Alsfeld. Zu verdanken ist das den rund 350 jungen Abgeordneten, die in inzwischen 14 Jugendparlamenten aktiv waren. Für das zweite Parlament hatte Mischak, wie er erzählt, selbst kandidiert. Die Konkurrenz in Lauterbacher aber war damals zu groß. „Ich bin ganz froh, dass es bei anderem Wahlen später geklappt hat“, und so beobachtet er die Arbeit des später in Kreisjugendparlament umbenannten Gremiums seit 2006 als Kreispolitiker und seit 2016 als Jugenddezernent.
Dabei konnte er feststellen: Die Arbeitsweise des Jugendparlaments war und ist immer von einem hohen Maß an Sachlichkeit und gegenseitigem Respekt geprägt, egal ob untereinander oder gegenüber den „erwachsenen“ Mandatsträgern. Das ist häufig beispielgebend für die „erwachsene“ Politik.
Auch wenn die Wahl der Themen ganz unterschiedlich war, in jeder Legislaturperiode ging es um Toleranz, um Vielfalt, um die Zukunft der Region, um öffentlichen Personennahverkehr, Klimakrise und Umweltschutz, Geschlechtergerechtigkeit und die bauliche Situation der Schulen. „Ihr wart ein Stück weit Vorreiter und Ideengeber.“ Dabei brachten sich die Jugendlichen in unterschiedlichen Gremien und Arbeitsgruppen im Vogelsbergkreis ein: Jugendhilfeausschuss, Fahrgastbeirat, Fachbeirat LEADER, Begleitausschuss „Demokratie leben!“, Netzwerk für nachhaltige Entwicklung, Steuerungsgruppe MORO-Regionalentwicklung und viele andere mehr.
„Jugendbeteiligung ist damit in unserer Region nicht nur zur Selbstverständlichkeit, sondern auch zu einer enormen Bereicherung der Diskussion über die Weiterentwicklung unserer Region und die Gestaltung der Lebensbedingungen aller hier lebenden Menschen geworden“, betont Dr. Mischak. „Darauf bin ich zum einen stolz. Ich bin aber auch den jugendlichen Abgeordneten dankbar, denn ohne ihr Engagement, ihre Kreativität und Phantasie hätte das nicht gelingen können.“
„Euer Engagement ist 2022 genauso wichtig wie 1992“, so Mischak weiter, denn das Vertrauen in den Staat schwindet mehr und mehr. „Wir sind seit fast drei Jahren in der Krise – erst kam Corona, dann der Krieg.“ Diese schwierige Situation nutzen Populisten und Verschwörungserzähler, um mit scheinbar leichten Antworten die Prinzipien der Demokratie in Frage zu stellen. „Sie werden gebraucht – mehr noch als in Zeiten, in denen wir nicht in solchen Krisen leben“, ruft der Erste Kreisbeigeordnete den jungen Abgeordneten zu.
Mischak dankt nicht nur den Jugendlichen für ihr Engagement, sondern vor allem auch Silvia Lucas, die das Jugendparlament von Anfang begleitet. Wie es dazu kam? Das erzählt die engagierte Leiterin des Bereichs Jugendarbeit/Jugendbildung in der anschließenden Talk-Runde – gleichzeitig eine Zeitreise durch 30 Jahren KJP im Vogelsbergkreis, denn es sind drei Stationen aufgebaut. Pro Dekade gibt es einen Gesprächspartner.
„Das war eine Idee in einer völlig verrückten Zeit“, erinnert sich Silvia Lucas zurück an die Gründung, die im Grunde auf eine gesetzliche Bestimmung zurückging. „Die Beteiligung von Jugendlichen wurde damals gesetzlich festgeschrieben. Unser damaliger Erster Kreisbeigeordneter Ralf Neumann sagte damals, macht mal was…“ Tja, Silvia Lucas und ihr Team haben etwas gemacht – und zwar, ohne irgendwo ein Vorbild zu haben. „Wir mussten das ganz alleine machen.“ Wir sehr das gelungen ist, zeigen die kurzen Diskussionen aus den Dekaden II und III. Anna Kassautzki war von 2010 bis 2012 Vorsitzende des KJP – an den Sprung in die große Politik hat die heutige Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern damals indes noch nicht gedacht. „Damals haben wir viel über Rechtsextremismus diskutiert und uns gefragt, was man dagegen machen kann.“ Auch das Politiker-Café, bei dem Jugendliche und die Kommunalpolitik ganz ungezwungen ins Gespräch kommen, wurde damals eingeführt. Das gibt es heute noch.
Für Kassautzki ist das KJP eine Erfolgsgeschichte. Der stetige Austausch mit jungen Menschen muss ihrer Ansicht nach weiter vorangetrieben werden. „Junge Menschen müssen viel, viel direkter an der Politik beteiligt werden.“
„Ich denke immer noch, auf der kommunalen Ebene kann man die großen Entscheidungen für sein Leben treffen“, sagt der dritte Talkgast, der aktuelle Vorsitzende Hazeem Bhatti. Als 13-Jähriger wurde er ins KJP gewählt und setzte sich damals für schnelles Internet in Mücke und den ÖPNV ein. Sein Tipp für künftige Abgeordnete: „Jeder, der sich für Politik interessiert, sollte sich darauf einlassen. Unsere Gruppen im KJP gehen stets ganz euphorisch zur Sache“, berichtet der Vorsitzende. Sein Schlusswort: „An dieser Euphorie müssen wir unbedingt festhalten. Wir brauchen Menschen, die sich für die Gesellschaft engagieren. Bleibt offen für das, was auf euch zukommt….“
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