Der 1996 ins Leben gerufene und seit 2016 in Partnerschaft mit der Photographers’ Gallery in London verliehene einflussreiche Prize zeichnet jährlich Künstler*innen und ihre Projekte aus, die in den vergangenen 12 Monaten den bedeutendsten Beitrag zur Fotografie geleistet haben.
In seiner mittlerweile 26-jährigen Geschichte hat sich der Prize zu einer der international renommiertesten Auszeichnungen für Fotograf*innen entwickelt. Zugleich dient er als wichtiges Barometer für die Entwicklung des fotografischen Mediums sowie für herausragende, innovative und zum Nachdenken anregende Positionen. Die Finalist*innen reizen die Grenzen des fotografischen Mediums aus und bezeugen eindrucksvoll dessen Widerhall und Relevanz als kulturelle Kraft von heute. Die Bandbreite ihrer Projekte reicht vom Verwischen der Beziehung zwischen Fotograf*in und Motiv und dem Entschlüsseln einer Ethik des Fotografierens bis hin zur Erforschung von Geschlecht und Sexualität, Gewalt, Ungerechtigkeit und Schwarzer Erfahrung.
Die jährliche Ausstellung der ausgewählten Projekte wird vom 3. März bis 11. Juni 2023 in The Photographers’ Gallery, London, zu sehen sein.
Der*die Gewinner*in der Auszeichnung wird im Rahmen einer Preisverleihung am 11. Mai 2023 in der Photographers’ Gallery bekannt gegeben und erhält 30.000 £ als Preisgeld. Die anderen drei Finalist*innen erhalten jeweils 5.000 £. Einzelheiten zur Ausstellung und Preisverleihung werden Anfang 2023 veröffentlicht.
Die ausgewählten Finalist*innen 2023 und ihre Projekte sind:
Bieke Depoorter – für ihre Ausstellung „A Chance Encounter“ im C/O Berlin (30. April – 7. September 2022).
In der Präsentation, die Installationen, Projektionen, Filme und Fotografien umfasst, lässt Bieke Depoorter (* 1986, Kortrijk, Belgien) das traditionelle Verhältnis zwischen Fotograf*in und Motiv unscharf werden. Die Ausstellung präsentiert mit „Agata“ und „Michael“ zwei fortlaufende Arbeiten, die sich über mehrere Jahre hinweg aufbauen. Eine zufällige Begegnung entwickelt sich zu einer anhaltenden persönlichen Beziehung und daraus folgend einer Befragung des Mediums der Fotografie.
In „Michael“ beschäftigt sich Bieke Depoorter mit dem Leben und dem Verschwinden eines Mannes, den sie 2015 auf den Straßen von Portland, Oregon, kennengelernt hat. Nachdem er ihr drei Koffer mit persönlichen Gegenständen, Skizzenbüchern und Essays überlässt, wird Depoorter zur akribischen Detektivin. Die Ausstellung dokumentiert ihre intensive – und möglicherweise obsessive – Spurensuche in dem Bemühen, Michael aufzufinden und sein Leben zu verstehen.
In „Agata“ – sowohl in der Ausstellung als auch im von der Künstlerin produzierten Fotobuch – entfaltet sich eine erste Begegnung in einem Pariser Striptease-Lokal 2017 zu einem ebenso spannungsgeladenen wie komplexen Versuch der Kollaboration. Hier treten Porträts und Worte von Agata Kay in einen intensiven Dialog mit Depoorters Bildern und brieflichen Äußerungen. Sie bieten keine abschließenden Erkenntnisse, sondern eine lebendige, abwechslungsreiche visuelle Erzählung, die Konzepte authentischer bzw. performativer Identität erforscht. In „Agata“ geht es um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Wahrheit in der Darstellung, um den Spielraum künstlerischer Autor*innenschaft und ethischer Verantwortung der Fotografierenden, persönliche Abgrenzungen, aber auch die Grenzen einer künstlerischen Freundschaft.
Samuel Fosso – für seine Retrospektive „Samuel Fosso“ in der Maison Européenne de la Photographie, Paris (10. November 2021 – 13. März 2022).
Seit Mitte der 1970er Jahre widmet sich Samuel Fosso (* 1962, Kumba, Kamerun) dem Selbstporträt und der performativen Fotografie. Die Retrospektive zeichnet eine fast 50-jährige Karriere künstlerischer Praxis nach und umfasst mehr als 300 Abzüge. In der Ausstellung finden sich berühme Fotoserien, aber auch weniger bekannte Arbeiten, Archivmaterial und bislang unveröffentlichte Bilder, die vor allem in großformatigen Ensembles gezeigt werden.
Der in Kumba, Kamerun, geborene und in Nigeria aufgewachsene Künstler floh als kleiner Junge vor dem Biafra-Krieg und kam 1972 bei einem Onkel in Bangui in der Zentralafrikanischen Republik unter. 1975, im Alter von 13 Jahren, eröffnete Samuel Fosso sein Studio Photo Nationale. Neben kommerziellen Aufträgen begann er sofort mit einer Serie von Selbstporträts – eine Darstellungsform, die Fosso nie wieder aufgegeben hat. Indem er vor der Kamera in die Rolle von bedeutenden historischen Figuren oder gesellschaftlichen Archetypen schlüpft, verkörpert der Künstler eine kraftvolle Art, in der Welt zu existieren und demonstriert zugleich anschaulich die Rolle der Fotografie in der Konstruktion von Mythen.
Arthur Jafa – für seine Ausstellung „Live Evil“ im LUMA, Arles (14. April – 13. November 2022).
Der Künstler und Filmemacher Arthur Jafa (* 1960, Tupelo, USA) wurde für die bislang größte und umfangreichste Ausstellung seines Werks als Finalist ausgewählt. Jafa schöpft aus einem gewaltigen Archiv von Film- und Standbildern und schafft emotional durchdringende, hochdynamische Filme und raumfüllende Installationen.
Seine Überzeugungskraft bezieht Jafa im Ausstellungsraum wie auf der Leinwand aus der geschickten Gegenüberstellung und einer lyrischen, synkopischen Montage. Hier kommen die Bedeutung seines persönlichen Archivs und sein Instinkt als Bildersammler zum Tragen: Seit den 1980er Jahren sammelt Jafa Bilder aus Büchern und Zeitschriften, montiert sie in Alben und arrangiert dieses Bildmaterial zunächst in seinen Notizbüchern und später in dynamischen Kunstprojekten immer wieder neu. Neben Aufnahmen für Nachrichtenmedien und privaten Videos greift er bevorzugt auf YouTube zurück.
Indem er kulturelle Artefakte mit ihren Resonanzen nebeneinanderordnet, verweist der Künstler auf universelle und spezifische Ausdrucksformen Schwarzer Erfahrung und stellt sie zugleich infrage. Er verzichtet auf eine lineare Erzählung und organisiert sein Material anhand formaler und affektiver Assoziationen, indem er seine Bilder durch visuelle Ähnlichkeit oder thematische Widerklänge miteinander verknüpft. Auf diese Weise zielt Arthur Jafa auf eine Kunst, die sich „die Kraft, die Schönheit und die Entfremdung Schwarzer Musik“ zunutze macht.
Frida Orupabo – für ihre Ausstellung “I have seen a million pictures of my face and still I have no idea” im Fotomuseum Winterthur (26. Februar bis 29. Mai 2022).
Bei den skulpturalen Collagen und digitalen Arbeiten von Frida Orupabo (* 1986, Sarpsborg, Norwegen) handelt es sich um vielschichtige Formationen, die sich mit Fragen nach Race, Sexualität und Identität auseinandersetzen. Die norwegisch-nigerianische Künstlerin und Soziologin stützt ihre Untersuchung dabei auf eigene Erfahrungen von kultureller Zugehörigkeit.
Unter Verwendung von kursierendem Material aus dem Internet, das von Fotografien aus der Kolonialzeit und ethnografischen Reliquien bis hin zu zeitgenössischem Bildmaterial reicht, ordnen Orupabos handgefertigte Arbeiten das Archiv neu an und gestalten es um. Die daraus resultierenden Bilder haben die Form fragmentierter Schwarzer – meist weiblicher – Körper. Diese zunächst zerschnittenen Gestalten werden nun in einem ausgefeilten poetischen Verfahren Schicht für Schicht so zusammengefügt, dass eindimensionalen Darstellungen Schwarzen Lebens eine Absage erteilt wird. Orupabo gesteht ihm vielmehr Komplexität, Ambivalenz und Widersprüchlichkeit zu. Ihre collagierten Ausschnitte fangen unseren Blick ein und ermöglichen ganz unterschiedliche Lesarten der Geschichten und des Lebens der abgebildeten Personen, von denen etliche in den geläufigen Archiven gar nicht vorkommen. Auf diese Weise lädt die Künstlerin zu einer Betrachtung darüber ein, wie stark die Fotografie zur Bildung und Fortschreibung kolonialer Machtverhältnisse und Gewalt beiträgt.
Die Jury 2023 und ihre Begründungen:
Die diesjährige Jury setzt sich zusammen aus: Thyago Nogueira, Leiter des Bereichs Contemporary Photography am Instituto Moreira Salles, São Paulo; Natalie Herschdorfer, Direktorin des Photo Elysée, Lausanne; Mahtab Hussain, Künstler; Anne-Marie Beckmann, Direktorin der Deutsche Börse Photography Foundation, Frankfurt/Main, sowie Brett Rogers, OBE, Direktorin der Photographers’ Gallery, London, als stimmberechtigte Vorsitzende.
Brett Rogers, Direktorin, The Photographers’ Gallery:
„Unsere Shortlist für den Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2023 ist ein Beispiel für die durchschlagende Kraft und Resonanz der gegenwärtigen Fotografie. Alle vier Künstler*innen befassen sich mit Themen, die die Auseinandersetzung mit dem Medium als solchem und seiner Rolle in Geschichte und Gesellschaft vorantreiben. Bieke Depoorter untersucht die ethischen Implikationen des Verhältnisses zwischen Fotograf*in und Motiv; Samuel Fosso nutzt die Vielseitigkeit des Mediums, um unterschiedliche persönliche Identitäten zu konstruieren; Frida Orupabo wirft durch ihre außergewöhnlichen, vielschichtigen Collagen ein neues Licht auf den Schwarzen weiblichen Körper und Arthur Jafa bringt auf eine kompromisslose Weise Schwarze Erfahrung zum Ausdruck, indem er sich aus seinem reichen Archiv an historischen Bildern, Filmen und Musik bedient.“
Anne-Marie Beckmann, Direktorin der Deutsche Börse Photography Foundation:
„Der Jury auch für den diesjährigen Preis anzugehören, war wie immer ein Privileg. Zusammen mit allen anderen Mitgliedern war ich tief beeindruckt von der außergewöhnlichen Qualität und Bandbreite der eingereichten Projekte in diesem Jahr. Einmal mehr haben die Beiträge eine lebhafte Debatte angestoßen und gleichzeitig die wesentliche Rolle und anhaltende Bedeutung der zeitgenössischen Fotografie unterstrichen. Mit ihren ebenso persönlichen wie universellen Perspektiven zeigt uns diese Gruppe außergewöhnlicher Künstler*innen neue, anspruchsvolle Wege auf, die Welt um uns herum zu betrachten. Die jährlich vergebene Auszeichnung stellt einen zentralen Baustein im Bestreben der Deutsche Börse Photography Foundation dar, eine vielfältige Kulturlandschaft zu schaffen, in der sich Künstler*innen aus der ganzen Welt entfalten können. Diesem Ziel möchten wir, neben anderen Projekten, mit unserer langjährigen Partnerschaft mit der Photographers’ Gallery gerecht werden.“
Deutsche Börse Photography Foundation
Die Deutsche Börse Photography Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main, die sich dem Sammeln, Ausstellen und Fördern von zeitgenössischer Fotografie widmet. Sie verantwortet die Weiterentwicklung und Präsentation der Art Collection Deutsche Börse, die mittlerweile über 2.200 fotografische Arbeiten von rund 150 Künstler*innen aus 32 Nationen umfasst. Auf ihren Ausstellungsflächen in Eschborn bei Frankfurt am Main zeigt sie mehrere Ausstellungen pro Jahr, die öffentlich zugänglich sind. Die Unterstützung junger Künstler*innen ist der Stiftung ein besonderes Anliegen, sie fördert diese auf vielfältige Weise: mit Auszeichnungen, Stipendien oder durch die Beteiligung am Talent-Programm des Fotografiemuseum Amsterdam Foam. Gemeinsam mit der Photographers’ Gallery in London vergibt sie jährlich den renommierten Deutsche Börse Photography Foundation Prize. Des Weiteren unterstützt die Stiftung Ausstellungsprojekte internationaler Museen und Institutionen sowie den Ausbau von Plattformen für den wissenschaftlichen Dialog über das Medium Fotografie.
www.deutscheboersephotographyfoundation.org
Die Geschichte des Deutsche Börse Photography Foundation Prize
Der 1996 von der Photographers’ Gallery ins Leben gerufene Preis hat sich im Laufe von 26 Jahren zu einem der renommiertesten internationalen Kunstpreise entwickelt und in dieser Zeit die Karrieren zahlreicher Fotograf*innen begründet und gefördert. Der Preis, der früher unter dem Namen Citigroup Photography Prize bekannt war, wird seit 2005 zusammen mit der Gruppe Deutsche Börse verliehen. Im Jahr 2016 wurde er in Deutsche Börse Photography Foundation Prize umbenannt, nachdem die Stiftung, die sich der Sammlung, Ausstellung und Förderung zeitgenössischer Fotografie widmet, als gemeinnützige Organisation gegründet wurde. Die Gewinnerin des Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2022 war Deana Lawson für ihre Ausstellung “Centropy”. Zu den bisherigen Preisträger*innen gehören: Mohamed Bourouissa, Susan Meiselas, Luke Willis Thompson, Dana Lixenberg, Trevor Paglen, Juergen Teller, Rineke Dijkstra, Richard Billingham, John Stezaker und Adam Broomberg & Oliver Chanarin.
The Photographers’ Gallery
Die Photographers’ Gallery (TPG) setzt sich für eine Fotografie für alle ein. Im Herzen Londons gelegen beheimatet sie eine internationale Gemeinschaft von Fotograf*innen, erforscht die Fotografie in all ihren Ausdrucksformen und bietet ein vielfältiges und von der Kritik hoch gelobtes Vermittlungsprogramm in Form von Ausstellungen, Veranstaltungen und Seminaren an. Als erste unabhängige Galerie für Fotografie im Vereinigten Königreich überhaupt hat die TPG viele namhafte Künstler*innen der internationalen Fotografie erstmals ausgestellt, darunter Juergen Teller, Helen Levitt, Rinko Kawauchi, Gordon Parks, Sebastião Salgado und Andreas Gursky. Sie war auch maßgeblich daran beteiligt, zeitgenössische britische Fotograf*innen wie Martin Parr und Corinne Day bekannt zu machen. In den vergangenen 50 Jahren hat TPG dazu beigetragen, die Fotografie als eine anerkannte Kunstform zu etablieren, neue Zielgruppen für sie zu begeistern und ihr einen festen Platz im Herzen der visuellen Kultur zu sichern. Mit dem unmittelbar neben TPG gelegenen Soho Photography Quarter (SPQ) verfügt die Galerie nun dauerhaft über einen spannenden Kulturraum im Freien, in dem kostenfrei das Beste dargeboten wird, was die zeitgenössische Fotografie zu bieten hat.
tpg.org.uk
Deutsche Börse AG
Neue Börsenstr. 1
60487 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (69) 211-0
Telefax: +49 (69) 211-12005
http://www.deutsche-boerse.com
Deutsche Börse Photography Foundation
Telefon: +49 (160) 97591329
E-Mail: oliver.frischemeier@deutsche-boerse.com
The Photographers’ Gallery
E-Mail: jodie@margaretlondon.com