Forschungsförderung sichert Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis

Das ParaMove-Projektteam der BG Unfallklinik Murnau erhält nach einem umfangreichen Bewerbungsverfahren die diesjährige Forschungsförderung der Wings of Life-Stiftung. Die gemeinnützige Stiftung hat es sich zum Auftrag gemacht, Spenden für die Heilung von Rückenmarkverletzungen zu sammeln. Ziel der nun finanzierten Forschungsarbeit ist zu untersuchen, wie sich frühe pharmakologische Interventionen auf die neurologische Rehabilitation nach traumatischer Rückenmarkverletzung auswirken. Über die potentiellen Verbesserungen für die Behandlung der betroffenen Patientinnen und Patienten berichtet Dr. Iris Leister. Die wissenschaftliche Leiterin koordiniert das Team der neuro-wissenschaftlichen Kooperation ‚ParaMove‘ zwischen dem Forschungsbereich des Zentrums für Rückenmarkverletzte mit Neuro-Urologie der BG Unfallklinik Murnau und der PMU Salzburg.

Die Bedeutung der Forschung

Mit 100 Betten und einer über 50-jährigen Expertise ist das Zentrum für Rückenmarkverletzte mit Neuro-Urologie der BG Unfallklinik Murnau eine der größten Spezialbehandlungseinrichtungen für Menschen mit einer Querschnittlähmung in Europa. Es bietet seinen Patientinnen und Patienten eine auf internationalen Leitlinien basierende und stets den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Neuroregeneration angepasste, vollumfängliche Diagnostik und Therapie. Die BG Unfallklinik Murnau leistet einen bedeutenden wissenschaftlichen Beitrag zur Entwicklung neuer erfolgsversprechender Technologien. Die Forschung an der BG Unfallklinik Murnau folgt zwei wichtigen Maximen. Erstens: Im Fokus stehen immer die Patientinnen und Patienten. Entsprechend ihres Versorgungsauftrags der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung steht der Behandlungserfolg an erster Stelle. Zweitens: Der Behandlungserfolg wird durch die interprofessionelle Expertise vieler Spezialisten ermöglicht. Ärztinnen und Ärzte, Querschnitttherapeutinnen und -therapeuten aus Physio- und Ergotherapie, Fachpflegekräfte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten gemeinsam an der Patientenversorgung von morgen.

Das ParaMove-Projekt

Seit vielen Jahren besteht bereits eine wissenschaftliche Kooperation zwischen dem Murnauer Traumazentrum und der PMU Salzburg. Die Zusammenarbeit beider Kooperationspartner wurde im Dezember 2019 mit dem Projekt „ParaMove“ um die Therapieentwicklung bei Rückenmarkverletzungen ausgebaut. Beide Kooperationspartner zeichnen sich durch ihren Fokus auf die Forschung im Bereich der Verletzungen oder Erkrankungen des Rückenmarks und deren Folgen aus. Die Forschungsförderung der Wings for Life-Stiftung nimmt dabei einen bedeutenden Stellenwert ein. Dr. Iris Leister gibt im Interview Einblicke in die Projektarbeit.

Im Gespräch mit Dr. Iris Leister

Frau Dr. Leister, stellvertretend für die Forschungsgruppe des Zentrums für Rückenmarkverletzte mit Neuro-Urologie der BG Unfallklinik Murnau haben Sie die Förderung der Wings of Life-Stiftung für wissenschaftliche Leistungen im Bereich Rückenmarkverletzungen erhalten. Sie selbst sind Expertin für Datenanalysen in medizinischen Studien Worum geht es im aktuellen Forschungsprojekt?

Leister: Das Projekt ist ein gutes Beispiel für praxisrelevante, wissenschaftliche Arbeit auf höchstem Niveau, da wegweisende Basisforschung in die Klinik übertragen wurde. Die enge Zusammenarbeit der Klinik mit der Universität ist seit vielen Jahren etabliert, das Projekt ist als Pilot in dieser Form bisher aber einzigartig. Seit März 2021 analysiere ich zusammen mit dem bestehenden Forschungsteam Daten und unterstütze forschende Ärztinnen und Ärzte sowie die gemeinsame Netzwerkarbeit mit dem Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu transferieren.

Wie sieht die Arbeit konkret aus?

Leister: Ein Stück weit verstehen wir uns sicherlich als ‚Daten-Jongleure‘. Für unsere Arbeit beschäftigen wir uns mit umfangreichen medizinischen Datensätzen und deren Analyse. Die Daten stammen aus medizinischen Registern sowie aus Patienten und Patientinnen-Akten und werden anonymisiert verarbeitet. Sie dokumentieren beispielsweise Schmerzen, Untersuchungsergebnisse und Behandlungsverläufe von Menschen mit Rückenmarkverletzungen. Für das Projekt werden wir die Daten von rund 800 Patientinnen und Patienten aus den vergangenen zehn Jahren untersuchen. Wir erwarten einen Datensatz im Umfang von etwa 64 Millionen Datenpunkten.

Was ist die Besonderheit und wie kam es zu diesem Projekt?

Leister: Von jährlich bis zu 4.000 Publikationen in der Grundlagenforschung zur Regeneration im neurologischen Bereich gibt es kaum Forschungsergebnisse, die bei den Betroffenen ankommen. Das sollte sich grundlegend ändern. Ein besonderes Highlight ist daher sicherlich die enge, sehr intensive Verzahnung von Wissenschaft und Praxis. Erstmals sollten also wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis gelangen. Primäres Ziel des aktuellen Projektes ist es nun zu untersuchen, wie sich etwa die kontinuierliche Überwachung des arteriellen Blutdrucks und dessen medikamentöse Einstellung auf die neurologische Rehabilitation auswirken. Zudem soll analysiert werden, wie sich die Gabe von Medikamenten, insbesondere Schmerzmitteln, auf die neurologische Regeneration auswirkt. Das passiert bereits in der sehr sensiblen Phase während des Intensivaufenthaltes der Betroffenen, unmittelbar nach dem Trauma.

Welche Bedeutung hat das Zentrum für Rückenmarkverletzte mit Neuro-Urologie für die Betroffenen?

Leister: Der Kompetenzbereich ist europaweit eine der größten und bedeutendsten Spezialbehandlungseinrichtungen für Menschen mit Rückenmarkverletzungen und genießt international hohes Ansehen. Hier werden Patientinnen und Patienten aller Verletzungsmuster von der Unfallstelle bis zur Wiedereingliederung in das eigene Leben durch ein multiprofessionelles Team begleitet. Die Murnauer Expertinnen und Experten widmen sich seit Jahrzehnten auch der wissenschaftlichen Forschung, um die Behandlungsmöglichkeiten und dadurch das Leben der Betroffenen, beispielsweise über deren Arm- und Beinfunktionen, stetig weiter zu verbessern.

Wie werden die finanziellen Mittel von Wings for Life investiert?

Leister: Die Förderung ist zweckgebunden und basiert auf dem von uns beantragten Budget, das über einen Zeitraum von drei Jahren, beispielsweise für weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Forschungsreisen und Kongresse, Arbeitsmaterialien (wie z.B. Computer, Speicherplätze, sowie Logistik) verwendet werden darf.

Wie geht es weiter, was erlaubt der Blick in die Zukunft?

Leister: Als Forschende sind wir stets bemüht, unsere Expertise in die Breite zu transportieren. Als BG Unfallklinik Murnau profitieren wir von hervorragender, gewachsener Expertise und einem der größten Zentren für Rückenmarkversetzte mit extrem engmaschiger Versorgung in Europa. Das in so einem Setting generierte Datenvolumen ist nahezu perfekt, weswegen wir international mit einem großen Vorsprung arbeiten werden. Ende des Jahres sollten wir einen Datensatz kreiert haben, mit dem wir arbeiten, programmieren und rechnen können. Wir hoffen und glauben, dass wir in zirka zwei Jahren über einen ersten Überblick unserer Analysen verfügen.

Worauf sind Sie stolz?

Leister: Mit diesem weltweit wohl größten Datenschatz und in diesem besonderen Umfeld arbeiten zu dürfen, ist phantastisch und für die Zukunft des Arbeitsfeldes großartig. Mit dem Start des Projektes wurde ein wichtiger Grundstein gelegt, dem übergeordneten Ziel, neue und passgenaue Therapiekonzepte zu entwickeln, einen enormen Schritt näher zu kommen.

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