Seit 1987 gibt es in München die Erhaltungssatzung. Dieses Instrument wird eingesetzt, um preiswerten Wohnraum zu erhalten, gewachsene Bevölkerungsstrukturen zu bewahren und Verdrängung zu verhindern. Konkret bedeutet das jedoch einen massiven Eingriff in Eigentumsrechte von Mehrfamilienhausbesitzern – denn bestimmte bauliche Vorhaben sowie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sollen verhindert werden und sind deshalb genehmigungspflichtig.
Die Stadt hat in allen Erhaltungssatzungsgebieten ein Vorkaufsrecht. Kaufinteressenten können dies aushebeln, wenn sie eine sogenannte Abwendungserklärung unterzeichnen und sich damit zu strengen Auflagen verpflichten. Doch wie wirken sich diese Regelungen eigentlich auf die Eigentümer aus, die ein Haus in einem Erhaltungssatzungsgebiet besitzen? Und ist die Idee der Erhaltungssatzung überhaupt sinnvoll? Diese Fragen bestimmten den münchner immobilien fokus, der am 11. Juli 2022 nach einer Corona-Pause wieder im Literaturhaus stattfand. Eingeladen hatte Thomas Aigner (Gesellschafter-Geschäftsführer der Aigner Immobilien GmbH) gemeinsam mit Agnes Fischl-Obermayer (Geschäftsführerin der ACCONSIS).
Moderator Alexander Heintze, freier Journalist für Immobilienthemen, begrüßte auf dem Podium hochkarätige Gesprächspartner aus Politik und Immobilienwirtschaft: Dr. Inken Wuttke, Leiterin der Rechtsabteilung des Kommunalreferats der Landeshauptstadt München, Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins München und Umgebung e. V., den Bau- und wohnungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Föst, sowie den Rechtsanwalt Dr. Mark Butt.
Zu Beginn führte Daniel Föst mit einem Impulsvortrag in das Thema Vorkaufsrecht ein, betrachtete die Historie des wohnungspolitischen Instruments, das aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts derzeit neu reguliert wird, und gab einen Überblick über den Status quo. Dabei machte er deutlich, dass er grundsätzlich nichts gegen das Vorkaufsrecht einzuwenden habe – man müsse jedoch sehr gründlich evaluieren, ob diese Regelung überhaupt das gewünschte Ziel erreiche. Immerhin sei das Vorkaufsrecht ein sehr teures Instrument, das auch Probleme mit sich bringe. Föst appellierte, die Debatte darüber grundsätzlich zu versachlichen, und schlug vor, Neubau u.a. durch eine Verschlankung der Bauvorschriften zu erleichtern. Bauen sei nötig, um die große Angebotslücke zu schließen.
In der anschließenden lebhaften Diskussion verteidigte Dr. Inken Wuttke das Vorkaufsrecht bzw. die Erhaltungssatzung als eines von vielen sinnvollen Instrumenten. München sei nun mal die Stadt der Mieterinnen und Mieter und man wolle damit das System des Mietens in Großstädten schützen.
Thomas Aigner widersprach dieser Ansicht. Es sei reiner Milieuschutz, kein Schutz des einzelnen Mieters. Um politische Propaganda zu machen, würden bestehende Mietverhältnisse konserviert. Das Vorkaufsrecht sei nicht nur ein zutiefst ungerechtes Instrument, sondern ein völlig wahlloser Schutz. „Wie eine Käseglocke stülpt man es über die Gebäude und darunter schimmelt es dann. Denn die Stadt kann die Gebäude eben nicht erhalten, geschweige denn Potenziale heben und z.B. mit dem Ausbau von Dachgeschossen neuen Wohnraum zur Verfügung stellen“, kritisierte Thomas Aigner.
Anstatt mit dem teuren Steuergeld gezielt die vielen bedürftigen Mieter zu unterstützen, würden mit dieser Vorgehensweise Objekte mit zum Teil sehr gut verdienenden Mietern geschützt, die sich das Wohnen problemlos leisten könnten.
Rudolf Stürzer bekräftigte diesen Vorwurf. Durch seine Mitglieder wisse er, dass über die Hälfte der Mieter in den betroffenen Immobilien keineswegs schutzbedürftig seien. Er verwies darauf, dass der im Übrigen hohe Mieterschutz, der ja im BGB geregelt sei, in Deutschland auch den Gutverdiener schütze – „ganz nach dem Motto: Vermieter sind immer reich. Mieter sind immer arm.“ Mit einer abgemilderten Abwendungserklärung könne er im Übrigen gut leben, wenn sie sich auf wirklich schutzbedürftige Personen beschränke und nicht länger einem „Knebelungsvertrag“ gleiche. Doch durch die nochmalige Verschärfung im Jahr 2018 habe sich auch das Problem verschärft: Die Stadt hätte dadurch immer mehr Objekte selbst kaufen und dafür immer mehr Gelder aufwenden müssen.
Inken Wuttke warf ein, es seien im Vergleich gar nicht so viele Objekte, die die Stadt in der Vergangenheit im Vorkaufsrecht erstanden hätte – Mark Butt jedoch erinnerte daran, dass es sich dafür jedoch um verhältnismäßig große Summen handelte. Er halte es darüber hinaus für durchaus möglich, dass es durch die festgestellte Rechtswidrigkeit der bisherigen Praxis zu Rückabwicklungen von bereits unterzeichneten Abwendungserklärungen kommen könne.
Erhaltung von vorne denken
Agnes Fischl-Obermayer schlug vor, Erhaltung von vorne zu denken, indem man bei den Eigentümern anfängt und nicht bei den Mietern. Dazu sei es wesentlich, das Thema Erbschaftssteuer endlich anzugehen. Viele Erben seien gezwungen, das geerbte Mehrfamilienhaus aufgrund der hohen Steuerbelastung zu verkaufen. Die Käufer seien meist Investoren, denen die Rendite wichtig sei – und das bedeute dann das Ende der günstigen Mieten. Umwandlung und Aufteilung von Mehrfamilienhäusern in Eigentumswohnungen, um dann zur Begleichung der Erbschaftssteuerbelastung einzelne Wohnungen zu veräußern, wären hier naheliegend. Doch genau das werde bei Immobilien in Erhaltungssatzungsgebieten verhindert.
Die Themen Erhaltungssatzung und Vorkaufsrecht hätten laut Agnes Fischl-Obermayer grundsätzlich ihre Berechtigung, nur seien diese zu reinem Mietrecht geworden. „Wer soll denn die Wohnungen in der Mieterstadt München bei diesen ganzen vermieterfeindlichen Auflagen überhaupt vermieten?“, fragte sie die Vertreterin der Stadt München. „Sie brauchen doch die privaten Vermieter, um der Wohnungsnot entgegenzuwirken!“
Daniel Föst mahnte an, den Immobilienerwerb weiterhin erstrebenswert zu halten, denn Eigentum schaffe soziale Gerechtigkeit. „Doch wir laufen Gefahr in Deutschland, durch überbordende Regularien kleine Vermieter zu verdrängen.“ Dass einige Vermieter schon aufgegeben und ihr Eigentum entnervt verkauft hätten, konnte Rudolf Stürzer bestätigen.
Fachkräftemangel beheben – Bauen beschleunigen
Doch selbst wenn es die Erhaltungssatzung nicht gäbe, wäre das eigentliche Problem von zu wenig Wohnraum für alle Gesellschaftsschichten nicht gelöst, glaubt Thomas Aigner. Daran seien nicht nur die teuren Grundstückspreise und fehlende Flächen schuld: „Es hängt auch zu einem guten Stück daran, dass aufgrund des Fachkräftemangels in der Verwaltung Baugenehmigungen viel zu lange dauern. Das Steuergeld, das für den teuren Kauf von wenigen Häusern ausgegeben wird, sollte man lieber zu einem großen Teil in gutes Personal investieren, damit Genehmigungen schneller gehen.“
Neben dem Personal fehle zudem die Motivation, um das Problem wirklich zu lösen. Stadt, Land und Bund seien nun mal schlechte Bauherren. „Überlasst daher das Bauen denen, die es können, die es wollen und die es tun!“, appellierte er an die Politik.
Ohnehin habe man laut Thomas Aigner bei dem ganzen Thema bezahlbarer Wohnraum viel zu viel Zeit verloren. „Man hätte schon vor vielen Jahren das kommunale Planungsrecht reformieren müssen, um Baupläne für ganze Metropolregionen realisieren zu können. Denn jede Gemeinde wehrt sich gegen Nachverdichtung und Bevölkerungszuzug, weil das die Bewohner nicht wollen. Dadurch werden die jeweiligen Bürgermeister, die ja wiedergewählt werden wollen, blockiert.“
Inken Wuttke betonte, dass man als Stadt München schon lange mit den Umlandgemeinden im Gespräch sei, weil man gerne mehr zusammenarbeiten würde. „Glauben Sie mir, es scheitert hier nicht an München.“
Nach der Podiumsdiskussion sorgte das Thema zwischen Zuhörern und Teilnehmern noch lange für Gesprächsstoff.
Im kommenden Jahr geht die Veranstaltungsreihe münchner immobilien fokus in eine neue Runde. Der genaue Termin sowie das Thema werden rechtzeitig bekannt gegeben.
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