Menschen mit niedrigem Bildungsgrad sind deutlich weniger mit Algorithmen und Künstlicher Intelligenz vertraut als ihre Mitbürger:innen mit höherem Bildungsabschluss. In einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Bertelsmann Stiftung gaben nur 54 Prozent der Befragten mit Volks- oder Hauptschulabschluss an, dass sie vom Begriff „Algorithmus“ schon einmal gehört haben. Bei den Personen mit Abitur oder Studium sind es deutlich mehr (97 Prozent). Ein Vergleich mit den Daten einer vorhergehenden Befragung aus dem Jahr 2018 unterstreicht die Diskrepanz: Während sich der Anteil der Personen mit Abitur oder Studium, die vom Begriff „Algorithmus“ kaum etwas wissen oder noch nie davon gehört haben, bis heute fast halbiert hat (von 31 auf 17 Prozent), sind es bei denen mit niedrigem Bildungsgrad nur 7 Prozentpunkte weniger. Diese Wissenskluft besteht auch bei der Bekanntheit des Begriffs „Künstliche Intelligenz“, wobei sie hier etwas geringer ausfällt.
Algorithmen sind eindeutige Handlungsvorschriften zum Lösen einer vorab definierten Aufgabe – ähnlich wie bei Kochrezepten. Sie können zum Beispiel eine Software zur Textverarbeitung oder auch zur Verteilung von Kitaplätzen anleiten. Künstliche Intelligenz hingegen basiert auf Algorithmen und meint Computersysteme, die aus der Verarbeitung von Daten lernen und Menschen dabei unterstützen, automatisiert Aufgaben zu lösen, Empfehlungen zu geben und Entscheidungen zu treffen. „Algorithmen und KI verändern unser Leben. Ob ihr Einsatz die Gesellschaft chancengerechter macht oder bestehende Ungleichheit und Diskriminierung verstärkt, entscheiden wir Menschen. Dafür sind Grundkenntnisse in der gesamten Bevölkerung zentral. Die wachsende Wissenskluft in Deutschland ist deshalb ein echtes Alarmsignal“, sagt Ralph Müller-Eiselt, Direktor des Programms „Digitalisierung und Gemeinwohl“ der Bertelsmann Stiftung.
Akzeptanz wächst – auch für ethisch umstrittene Anwendungen
Insgesamt hat die Bekanntheit des Begriffs „Algorithmus“ in den vergangenen vier Jahren zugenommen – von 72 Prozent auf 81 Prozent. Ebenso gewachsen ist nach Selbsteinschätzung der Befragten ihr ungefähres Wissen über Algorithmen. Auch die Anwendungsgebiete von Algorithmen und KI werden geläufiger. Am bekanntesten sind die individuelle Auswahl von Werbung und Nachrichten, die Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, die Rechtschreibkontrolle in der Textverarbeitung sowie Kontaktvorschläge auf Online-Partnerbörsen. Dabei zeigt sich: Je eher die Befragten Kenntnis von bestimmten Einsatzgebieten haben, desto häufiger akzeptieren sie automatisierte Software-Entscheidungen in diesen Bereichen. Das gilt sogar für Anwendungen, die aufgrund ihrer potenziell gravierenden sozialen Folgen umstritten sind. So gaben bei der Gesichtserkennung durch Videoüberwachung, bei der Vorauswahl von Job-Bewerber:innen und auch bei der Bewertung von Kreditwürdigkeit mehr Personen als noch in der Befragung 2018 an, dass hier voll- oder teilautomatisierte Entscheidungen durch Computer getroffen werden könnten.
Auswirkungen auf das eigene Leben bleiben für viele ungewiss
Diese Entwicklung stimmt vor allem deshalb nachdenklich, weil es den Menschen noch immer erkennbar schwerfällt, die Bedeutung von Algorithmen für sich persönlich zu erkennen. Lediglich von 27 auf 29 Prozent ist der Anteil von Befragten gestiegen, die einen starken oder sehr starken Einfluss von Algorithmen auf ihr Leben und ihren Alltag wahrnehmen; bei Künstlicher Intelligenz sind es sogar nur 14 Prozent. Genauso unsicher und unentschlossen zeigen sich die Befragten dabei, die gesellschaftlichen Auswirkungen der Technologien abzuschätzen und zu beurteilen, ob diese eher positiv oder negativ einzustufen sind. So treffen mehr als 40 Prozent keine Aussage dazu, ob der zunehmende Einsatz von Algorithmen und KI insgesamt mehr Chancen oder mehr Risiken für unser Zusammenleben bringt. Ob die Gesellschaft dadurch gerechter oder ungerechter wird, bleibt sogar für 46 Prozent der Befragten im Unklaren. „Oberflächlich betrachtet, nimmt das Wissen um Algorithmen zwar zu. Doch wie sich ihr Leben und die Gesellschaft dadurch verändern, ist für viele Menschen noch schwer einzuordnen“, erläutert Markus Overdiek, Co-Autor der Studie und Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung.
Vor diesem Hintergrund appellieren die Expert:innen der Bertelsmann Stiftung, den Wissens- und Kompetenzaufbau über Algorithmen und Künstliche Intelligenz in der gesellschaftlichen Breite zu verstärken. Allen Bürger:innen sollten die Funktionsweisen und sozialen Auswirkungen der Technologien verständlicher gemacht werden, unabhängig von Alter, Bildung oder Einkommen. Zudem müsse der Nutzen des Einsatzes von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz nachvollziehbar herausgestellt werden, um vorhandenen Unsicherheiten zu begegnen. Dafür braucht es konkrete Anwendungsbeispiele, die sich stärker als bislang am Gemeinwohl ausrichten. Solche Beispiele können die bislang oft noch als diffus wahrgenommenen gesellschaftlichen Chancen und Risiken durch automatisierte Entscheidungen erfahrbarer machen. In dem Zuge sollte insbesondere eine regelmäßige und differenzierte Berichterstattung unbekannte Einsatzgebiete und „unsichtbare“ Auswirkungen von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz sichtbarer machen.
Zusatzinformationen
Für die Studie „Was Deutschland über Algorithmen und Künstliche Intelligenz weiß und denkt“ hat das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) 1.090 Personen ab 16 Jahren in Deutschland repräsentativ befragt. Die Umfrage fand zwischen dem 6. und 20. Januar 2022 mittels persönlicher, mündlicher Interviews statt. Die Studie ist Teil einer Reihe von Publikationen zum Thema Algorithmen und Künstliche Intelligenz des Programms „Digitalisierung und Gemeinwohl” der Bertelsmann Stiftung.
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