Die Auswertung im Vorfeld des internationalen Frauentags zeigt: Bei schulischer und beruflicher Qualifikation sowie bei der Beteiligung an Weiterbildung haben Frauen im Durchschnitt ein höheres Niveau als Männer erreicht. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt aktuell (Ende 2020) aber noch um rund 7 Prozentpunkte niedriger – Anfang der 1990er Jahre war die Differenz indes noch fast dreimal so groß. Ein wesentlicher Grund für fortbestehende Unterschiede ist die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit, etwa bei familiärer Kinderbetreuung oder Pflege. Hier könnte es durch die Corona-Krise sogar zu Rückschritten gekommen sein: So übernahmen vor Beginn der Pandemie 62 Prozent der Mütter und 5 Prozent der Väter in Paarbeziehungen mit Kindern den überwiegenden Anteil der Betreuungszeit, ein Drittel der Paare teilte die Kinderbetreuung annähernd ausgeglichen auf. Im Frühjahr 2020, bei insbesondere unter männlichen Beschäftigten weit verbreiteter Kurzarbeit, stieg der Anteil der überwiegend betreuenden Männer zwischenzeitlich auf 13 Prozent an, sank aber schnell wieder. Nach den jüngsten verfügbaren Daten vom Juni 2021 ist die Arbeitsteilung noch ungleicher geworden als vor der Krise: Bei 71 Prozent der Familien übernahmen die Mütter überwiegend die Kinderbetreuung, bei 7 Prozent die Väter. Nur noch 22 Prozent der Paare teilten sich die Sorgearbeit annähernd gleich auf.
„Auch das ist erst einmal eine Momentaufnahme. Aber es besteht die Gefahr, dass die Pandemie Fortschritte in Frage stellt, die langsam über Jahre hinweg gemacht wurden“, sagt Dr. Yvonne Lott, Gleichstellungsforscherin am WSI und Mitautorin des Reports. „Umso wichtiger ist, dass Staat und Gesellschaft die Anreize für eine gleichberechtigte Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit verstärken. Dazu gehören unter anderem ein weiterer Ausbau der Kinderbetreuung, mehr Partnermonate bei der Elternzeit und eine Abkehr von der nach wie vor in vielen Unternehmen gepflegten Kultur überlanger Arbeitszeiten. Aber auch ein Ende für Regelungen, die vor allem Frauen am Rande des Arbeitsmarktes halten, insbesondere Minijobs und das überkommene Ehegattensplitting.“ Schnelle Fortschritte bei der Gleichstellung, betont die Wissenschaftlerin, seien auch ein wichtiger Beitrag, um den demografischen Wandel zu bewältigen.
– Gender Pay und Gender Pension Gap: Wie wird sich Corona auswirken? –
Aktuell arbeiten Frauen viermal so häufig Teilzeit wie Männer (46 Prozent gegenüber 11 Prozent 2019), sehr oft, um Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen. Von den Beschäftigten, die als einziges Arbeitsverhältnis nur einen Minijob haben, sind rund 60 Prozent weiblich. Dieses Ungleichgewicht trägt, unter anderem wegen geringerer Karrieremöglichkeiten, wesentlich dazu bei, dass der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen knapp 18,3 Prozent unter dem von Männern liegt. 2020, so der vorläufige Wert, verdienten Männer im Durchschnitt 22,78 Euro brutto pro Stunde, Frauen 18,62 Euro. Im gleichen Jahr verdienten 17,5 Prozent der weiblichen Beschäftigten mit Vollzeitstelle weniger als 2000 Euro brutto im Monat, bei den Männern waren es 9,1 Prozent.
Immerhin ist der Gender Pay Gap in den vergangenen Jahren langsam, aber kontinuierlich kleiner geworden. Eine der Ursachen dafür ist nach der WSI-Analyse der 2015 eingeführte Mindestlohn. Da Frauen deutlich häufiger als Männer von Niedriglöhnen betroffen sind, hat die Lohnuntergrenze ihre Bezahlung etwas stärker positiv beeinflusst, die von der Ampelkoalition geplante Erhöhung auf 12 Euro könnte einen weiteren spürbaren Impuls geben.
Relativ wenig getan hat sich dagegen bei der Verteilung von Führungsposten: Über die vergangenen Jahre weitgehend konstant sind 13 Prozent der männlichen Vollzeitbeschäftigten in leitender Stellung tätig, aber lediglich 10 Prozent der Frauen mit Vollzeittätigkeit. Unter Teilzeitbeschäftigten ist der Abstand noch größer (knapp 12 gegenüber knapp 6 Prozent) – wobei allerdings unter den Männern in Teilzeit auch die Quote der Un- und Angelernten höher ist. Eine weitere Rolle beim Verdienstrückstand von Frauen spielen sehr stabile geschlechtsspezifische Präferenzen bei der Berufswahl, verbunden damit, dass Berufe mit vielen weiblichen Beschäftigten, etwa im Pflege- und Gesundheitsbereich, in der Erziehung oder im Handel, oft schlechter bezahlt werden als handwerkliche und technische Berufe, in denen Männer dominieren. Neben einer finanziellen Aufwertung von systemrelevanten „typisch weiblichen“ Berufen plädieren Lott und ihre Co-Autorinnen und Autoren Svenja Pfahl, Dietmar Hobler und Eugen Unrau dafür, Kindern und Jugendlichen systematisch mehr Möglichkeiten zu schaffen, geschlechteruntypische Berufsfelder kennenzulernen, um Stereotype bei der Ausbildungs- und Berufswahl abzubauen.
Die geschlechtsspezifischen Schwerpunkte bei der Berufswahl drücken sich auch in den Arbeitsbelastungen aus, über die Frauen und Männer berichten. Beispielsweise arbeiteten 2021 jeder dritte männliche und gut jede vierte weibliche Vollzeitbeschäftigte körperlich schwer. Auch von Lärm am Arbeitsplatz waren Männer häufiger betroffen. Weibliche Beschäftigte müssen dagegen deutlich häufiger als männliche unter Zeitdruck arbeiten, oder sie haben Tätigkeiten, bei denen sie häufig unterbrochen werden.
Noch deutlich gravierender als der Gender Pay Gap ist die Lücke bei der Absicherung im Alter: Nimmt man gesetzliche Rente, betriebliche und private Alterssicherung zusammen, beziehen Frauen durchschnittlich ein um 49 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer. Anfang der 1990er Jahre lag der Gender Pension Gap, auch wegen der viel niedrigeren Erwerbsquote, sogar bei 69 Prozent. „Diese Entwicklung zeigt beispielhaft: Der Rückstand der Frauen wird in wichtigen Bereichen kleiner. Aber Fortschritte bei der Gleichstellung vollziehen sich bislang meist sehr langsam“, sagt WSI-Forscherin Lott. Unklar ist zudem, ob die Corona-Pandemie den langfristig positiven Trend negativ beeinflussen wird. Verschiedene Studien, unter anderem aus dem WSI zeigen, dass Frauen in Zeiten von Lockdowns, Kitaschließungen, weit verbreiteter Quarantäne und Homeschooling deutlich häufiger ihre Erwerbsarbeit reduziert haben als Männer.
– Zuwachs bei Ganztagsbetreuung zuletzt verlangsamt –
Dabei ist der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung eigentlich eine Erfolgsgeschichte und ein wichtiger Faktor für gleiche Erwerbschancen, so die Studie. Hatten 2007 erst 24,3 Prozent der 3- bis 6-Jährigen und 7,3 Prozent der Kinder unter 3 Jahren einen Platz in einer Ganztagsbetreuung, stiegen die Quoten bis 2020 auf 47,9 und 19,6 Prozent. Allerdings haben sich die Zuwächse zuletzt verlangsamt – und der Betreuungsbedarf von Eltern ist besonders für die Altersgruppe unter 3 Jahren noch weitaus höher.
Eher langsam hat zuletzt auch der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 160 größten börsennotierten Unternehmen zugenommen. 2020 lag er bei 32 Prozent (das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet mit rund 33 Prozent für 2021). Dabei fällt der Part der Frauen nach der WSI-Auswertung deutlich größer aus, wenn auch Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten im Kontrollgremium sitzen: Mit 35 Prozent war er 2020 in mitbestimmten Unternehmen 1,6 mal höher als in nicht mitbestimmten Firmen mit 22 Prozent. Ein Grund: 37 Prozent der Plätze auf der Beschäftigtenbank im Aufsichtsrat hatten Frauen inne, während es auf der Kapitalseite 29 Prozent waren. Zudem gilt in Unternehmen ohne Mitbestimmung auch keine Geschlechterquote für Aufsichtsräte und Vorstände – eine Beschränkung, die die Forschenden stark kritisieren und die dazu beiträgt, dass weibliche Vorstandsmitglieder in Unternehmen ohne Mitbestimmung eine besonders kleine Minderheit darstellen. Besser sieht es nach der WSI-Analyse auf der zweiten Führungsebene aus, wo der Frauenanteil mit 40 Prozent nur wenig niedriger war als der Anteil an allen Beschäftigten (44 Prozent). Ganz ähnlich fällt die Relation von weiblichen Betriebsratsmitgliedern und Belegschaftsanteil aus.
Eine Ausweitung von Geschlechterquoten auf einen weit größeren Kreis von Unternehmen ist nach Analyse der Forschenden dringend notwendig. Um die Gleichstellung von Frauen und Männern auf breiter Linie wirksam zu fördern, empfehlen sie über die bereits genannten Ansätze hinaus:
– Loslösen des Kurzarbeiter- und Arbeitslosengelds von der Steuerklasse III/V. Denn da beide Lohnersatzleistungen auf Basis der Nettolöhne berechnet werden, erhalten Personen (meist sind es verheiratete Frauen) in Steuerklasse V bei gleichem Bruttoentgelt aktuell deutlich geringere Leistungen als Personen in Klasse III.
– Reform des Ehegattensplittings (Abschaffung der Steuerklasse V).
– Weiterer Ausbau von verlässlichen, krisenfesten und qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen, auch weil sich institutionelle Kinderbetreuung aktuell mehr als je zuvor als wichtiger sozialer „Lernort“ für Kinder erwiesen hat.
– Verstärkung der Anreize für Männer, Sorgearbeit zu übernehmen, etwa durch eine (schrittweise) Erweiterung der Partnermonate im Elterngeld auf bis zu sechs Monate oder eine stärkere Bezuschussung/Förderung von partnerschaftlichen Nutzungsmustern beim Elterngeld bzw. bei vorübergehender, familienbedingter Teilzeitarbeit.
– Schaffung von Arbeitsplätzen in kurzer Vollzeit und Abkehr von der Überstundenkultur. Dafür sind unter anderem eine ausreichende Personalbemessung, verbindliche Vertretungsregelungen und Beförderungskriterien notwendig, die sich nicht an der Arbeitsplatz-Präsenz oder an Überstunden orientieren.
– Aufwertung von systemrelevanten Berufen im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsbereich.
*Yvonne Lott, Dietmar Hobler, Svenja Pfahl, Eugen Unrau: Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland. WSI-Report Nr. 72, Februar 2022. Download: https://www.boeckler.de/…
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