Überraschende EuGH-Entscheidung zur Jahresurlaubsregelung

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat heute überraschend entschieden, dass Urlaubsstunden bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen gegebenenfalls berücksichtigt werden müssen. Nach Ansicht des EuGH steht das Unionsrecht einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegen, nach der für die Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, die Stunden, die dem vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen Mindestjahresurlaub entsprechen, nicht als geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden (EuGH, Urteil vom 13.01.2022 – C-514/20). 

„Das Vorlageverfahren betrifft keine zeitarbeitsspezifische Frage. Auch Tarifverträge anderer Branchen dürften von der Entscheidung des EuGH betroffen sein. Viele Tarifverträge stellen ebenfalls auf ,geleistete´ Stunden zur Berechnung etwaiger Mehrarbeitszuschläge ab“, erläutert RA Eric Odenkirchen, Leiter des iGZ-Fachbereich Arbeits- und Tarifrecht. Aus diesem Grund habe das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers auch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen (Beschluss vom 05.06.2019 – 10 AZN 269/19). Hintergrund für die Entscheidung ist eine Vorlage des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an den EuGH. Das BAG gelangte im Revisionsverfahren zu der Auslegung, dass die Tarifvertragsparteien mit „geleisteten Stunden“ in § 4.1.2. Manteltarifvertrag iGZ nur produktive Stunden gemeint haben (BAG, Beschluss vom 17.06.2020 – 10 AZR 210/19 (A)). Nach dem Wortlaut der tarifvertraglichen Regelung werden Mehrarbeitszuschläge für Zeiten gezahlt, die über eine bestimmte Zahl „geleisteter Stunden“ hinausgehen. Darunter seien nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Stunden zu verstehen, in denen eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht wird. Urlaubszeiten, in denen nicht gearbeitet wird, sind dagegen vom Wortsinn nicht erfasst. Das BAG hat damit die Auffassung des iGZ zur Auslegung der tariflichen Regelung zu den Mehrarbeitszuschlägen bestätigt.  

Allerdings hat das BAG Zweifel an der Vereinbarkeit einer solchen Regelung in Tarifverträgen mit europäischem Recht. Das BAG hat sich gefragt, ob aufgrund der Nichtberücksichtigung von Urlaubsstunden bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge ein Arbeitnehmer davon abgehalten wird, seinen Mindestjahresurlaub tatsächlich zu nehmen. Je weniger Urlaubstage der Arbeitnehmer im Kalendermonat nimmt, desto größer könnte seine Aussicht auf die Vergütung von Mehrarbeitszuschlägen in diesem Kalendermonat sein. Das BAG hat deshalb das deutsche Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH ausgesetzt und diesem folgende Frage gestellt: „Stehen Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegen, die für die Berechnung, ob und für wie viele Stunden einem Arbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge zustehen, nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt und nicht auch die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Mindestjahresurlaub in Anspruch nimmt?“

Der EuGH bestätigt die Zweifel des BAG. Da nach § 4.1.2. Manteltarifvertrag iGZ der Kalendermonat als Bezugseinheit dient um die Schwelle der Mehrarbeitszuschläge zu berechnen, hat der Kläger im Ausgangsverfahren keine Mehrarbeitszuschläge erhalten. Das Entgelt des Arbeitnehmers war aufgrund seines Urlaubs niedriger als das Entgelt, das er bekommen hätte, wenn er in dem Kalendermonat keinen Urlaub genommen hätte. Ein „Mechanismus“, bei dem die Inanspruchnahme von Urlaub für den Arbeitnehmer ein geringeres Entgelt nach sich ziehen kann, da dieses um den für tatsächlich geleistete Überstunden vorgesehenen Zuschlag beschnitten wird, sei nach Ansicht des EuGH dazu geeignet, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, in dem Monat, in dem er Überstunden erbracht hat, von seinem Recht auf bezahlten Mindestjahresurlaub Gebrauch zu machen. Außerdem verstoße jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, seinen Mindestjahresurlaub zu nehmen, gegen das mit dem Recht auf bezahlten Mindestjahresurlaub verfolgte Ziel.

Der EuGH betont, dass es nunmehr Sache des Bundesarbeitsgerichts sei im deutschen Ausgangsverfahren zu prüfen, ob die Regelung in § 4.1.2. Manteltarifvertrag iGZ dazu geeignet sei den Arbeitnehmer davon abzuhalten von seinem Recht auf bezahlten Mindestjahresurlaub Gebrauch zu machen. Eine Entscheidung des BAG dürfte in einem halben Jahr zu erwarten sein. Der iGZ wird diese Entscheidungsgründe des BAG analysieren um die Auswirkungen auf das Verständnis der Regelung in § 4.1.2. Manteltarifvertrag iGZ und die Praxis abschätzen zu können.

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