- Ost-Ausschuss-Vorsitzender Oliver Hermes präsentiert sechs Kernforderungen an die künftige Bundesregierung
- Konnektivität und Klimazusammenarbeit mit Osteuropa und Zentralasien stärken
- Beziehungen mit der EAWU, Russland und dem Westlichen Balkan intensivieren
- Deutscher Osthandel steigt im ersten Halbjahr um fast ein Viertel
Im deutschen Handel mit Mittel- und Osteuropa geht es nach dem tiefen Einbruch zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 im hohen Tempo aufwärts. Der deutsche Außenhandel mit den 29 Staaten Mittel- und Osteuropas nahm im ersten Halbjahr 2021 gegenüber dem Vorjahr um fast ein Viertel zu und damit stärker als der gesamte deutsche Außenhandel. „Osteuropa meldet sich als Wirtschaftspartner Deutschlands eindrucksvoll zurück“, sagte der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Oliver Hermes heute auf der virtuellen Jahres-Pressekonferenz des Verbands: „Der deutsche Produktionsverbund mit Mittel- und Osteuropa leistet dabei einen maßgeblichen Beitrag zur globalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.“ Nach jüngsten Angaben der Deutschen Bundesbank hatten deutsche Unternehmen bis Ende 2019 fast 145 Milliarden Euro in Mittel- und Osteuropa investiert und damit gut 1,9 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.
1. Förderung multilateraler Ansätze und verantwortungsvolle Koexistenz
Vor dem Hintergrund zunehmender globaler Abschottungstendenzen präsentierte der Ost‑Ausschuss-Vorsitzende sechs Kernforderungen an die künftige Bundesregierung. „Unsere Leitforderung ist, dass die neue Bundesregierung im Sinne der verantwortungsvollen Koexistenz unterschiedlicher politischer Systeme dem Schreckgespenst des globalen Decoupling entgegenwirkt und multilaterale Ansätze fördert“, sagte Hermes: „Wir brauchen endlich einen geostrategischen Ansatz Deutschlands in der Außenwirtschaftspolitik.“ Dazu gehöre der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen mit den Ländern Mittel- und Osteuropas innerhalb und außerhalb der EU.
2. EU-Konnektivität mit Asien über Osteuropa und Zentralasien ausbauen
Der Ost-Ausschuss-Vorsitzende verwies auf die neue europäische Konnektivitätsstrategie, die insbesondere die wirtschaftliche Verbindung Europas mit Asien stärken soll. Zentralasien sei dabei das Bindeglied zwischen der EU, den östlichen EU-Anrainern und Asien. „Die künftige Bundesregierung sollte sich in Brüssel schnell für die konkrete Umsetzung und die Bereitstellung günstiger und fairer Finanzierungsangebote zum Ausbau der Infrastruktur in Zentralasien, aber auch im östlichen Europa insgesamt einsetzen“, sagte Hermes. „Ein solches Alternativangebot zur Belt & Road-Initiative ist schon lange überfällig.“
Auch in die Industriestrategie der EU solle die Region eng eingebunden werden. „Wir erleben ja gerade, dass die Lieferkettenprobleme mit der Pandemie nicht verschwinden“, sagte Hermes. „Wir würden Initiativen der neuen Bundesregierung zur gemeinsamen Technologie-Entwicklung mit den östlichen EU-Mitgliedsländern, aber auch mit anderen Ländern der Region begrüßen und aktiv begleiten.“ Mittel- und Osteuropa könne aufgrund seiner Offenheit für neue Technologien ein wichtiger Partner bei Zukunftsthemen wie der Elektromobilität oder der Digitalisierung sein.
3. Klimapartnerschaft mit Osteuropa und Zentralasien
Hermes forderte zudem eine Klimapartnerschaft mit Osteuropa und Zentralasien über die EU-Grenzen hinaus. „Klimaschutz hört nicht an der Ostgrenze der EU auf“, sagte er. „Wir können und müssen auch unsere östlichen Nachbarn bei der Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften und dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft unterstützen.“ Keinesfalls dürften dabei neue Mauern errichtet werden, etwa durch die Einführung eines Carbon Border Mechanismus (CBAM) der EU. Die neue Bundesregierung solle in enger Kooperation mit der deutschen Wirtschaft Transformationspartnerschaften mit Osteuropa initiieren. „Hilfreich wären auch gezielte Anreize für die Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen in Osteuropa und Zentralasien“, sagte Hermes. „Man könnte zum Beispiel einen Teil des CBAM-Steueraufkommens gezielt an die betroffenen Länder zurückgeben, um dort Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren.“
Russland und die Ukraine haben in unserer unmittelbaren Nachbarschaft das größte Potenzial Partner für grüne Energie zu werden. Aus diesem Grund begrüßte der Ost‑Ausschuss-Vorsitzende auch die jüngst erzielte deutsch-amerikanische Verständigung über Nord Stream 2 und die jüngsten Besuche von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau und Kiew. „Erdgas und seine Infrastruktur bauen eine Brücke in die Welt CO2-freier oder -neutraler Gase wie Wasserstoff“, sagte Hermes. „Nord Stream 2 darf auch von einer neuen Bundesregierung politisch nicht nachträglich in Frage gestellt werden.“ Er kündigte zudem an, dass sich die deutsche Wirtschaft aktiv in die zwischen Berlin und Washington vereinbarte Unterstützung der Ukraine beim Umbau ihrer Energieversorgung einbringen werde. „Der angekündigte Grüne Fonds für die Ukraine muss jetzt schnell aufgesetzt und ausgestaltet werden, um eine rasche und reibungslose Finanzierung und Umsetzung von konkreten Unternehmensprojekten zu realisieren“, sagte er.
4. Konkrete Schritte zu einem Gemeinsamen Wirtschaftsraum
Die neue Koalition solle auch die Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok in Brüssel vorantreiben und um den Aspekt eines gemeinsamen Umweltraums erweitern. „Ein erster konkreter Schritt könnte ein Dialog mit der Eurasischen Wirtschaftsunion über gemeinsame Normen und Standards sein,“ sagte Hermes. „Wenn wir es nicht tun, werden andere weltweit die Standards setzen – gerade China wird hier zunehmend aktiv.“
5. Zusammenarbeit mit Russland ausbauen
Hermes forderte insbesondere eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland. „Die neue Bundesregierung sollte sich in Brüssel weiter für einen EU-Russland-Gipfel einsetzen“, sagte er. „Dies wäre ein wichtiges Signal, um auf höchster Ebene ins Gespräch zu kommen.“ Ohne Russland sei eine Lösung vieler europäischer und internationaler Probleme unrealistisch, egal ob es um Umwelt, Sicherheits- oder Wirtschaftsfragen geht. „Die Bundeskanzlerin hat mit ihrem Abschiedsbesuch in Moskau ein Zeichen für den Dialog gesetzt – auch an die künftige Bundesregierung“, sagte Hermes.
Hermes hob hervor, dass alle Parteien in ihren Wahlprogrammen eine enge Zusammenarbeit mit Russland beim Klimaschutz für dringend notwendig befinden und diese sogar fordern. „Auf solche Felder gemeinsamer Interessen sollten wir uns wieder stärker konzentrieren“, sagte er.
6. Besondere Aufmerksamkeit für die Länder des Westlichen Balkans
Besondere Aufmerksamkeit solle die zukünftige Bundesregierung den Ländern des Westlichen Balkans widmen, der eine zunehmend wichtige Region für die deutsche Wirtschaft sei. „Die neue Bundesregierung muss sich in Brüssel weiter entschlossen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien und perspektivisch weiteren Ländern einsetzen“, sagte der Ost-Ausschuss-Vorsitzende. „Regionale Kooperation und Integration sowie die EU-Beitrittsperspektive sind aus unserer Sicht ein Schlüssel für die wirtschaftliche Prosperität und Stabilität der Region – und damit für Europa insgesamt.“
Hermes äußert sich auch zu Polen, Ungarn und Afghanistan
Der Ost-Ausschuss-Vorsitzende bezog auch Stellung zu den anhaltenden Meinungsverschiedenheiten der EU über rechtsstaatliche Fragen mit Polen und Ungarn. „Gerade für ausländische Investoren sind Rechtssicherheit und Transparenz bei der Verwendung der EU-Mittel in den Mitgliedstaaten von großer Bedeutung“, sagte Hermes. „Angesichts der herausragenden Bedeutung dieser Länder für die deutsche Wirtschaft erwarten wir von der neuen Bundesregierung, dass sie in Brüssel, Warschau und Budapest aktiv vermittelt, um hier eine nachhaltige Lösung zu erreichen.“ Dabei forderte er von allen Beteiligten Kompromissbereitschaft. Allein in Polen und Ungarn beschäftigen deutsche Unternehmen über 600.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
Im Hinblick auf die Situation in Afghanistan dankte Hermes der usbekischen Regierung ausdrücklich für die Unterstützung der deutschen Evakuierungsmission. „Die guten deutschen Beziehungen zu Zentralasien und die Stabilität dort sind uns in den letzten Tagen bei den Evakuierungen aus Kabul zugutegekommen“, sagte Hermes. „Die engen deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit Zentralasien sind dabei ein wichtiger Faktor, weil sie einen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung und damit auch zur Resilienz der Region gegen Extremismus leisten.“
Die aktuellen Handelszahlen für das erste Halbjahr 2021 und weiteres Material zur PK finden Sie hier.
Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. (gegründet 1952) fördert die deutsche Wirtschaft in den 29 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens. Der deutsche Osthandel steht insgesamt für rund ein Fünftel des gesamten deutschen Außenhandels und ist damit bedeutender als der Handel mit den USA und China zusammen. Der Ost-Ausschuss hat über 300 Mitgliedsunternehmen und -verbände und wird von sechs Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft – BDI, BGA, Bankenverband, DIHK, GDV und ZDH – getragen.
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