Wenn uns die Lockdowns während der COVID-19-Pandemie eines gelehrt haben, dann wie sehr Menschen als soziale Wesen unter Einsamkeit leiden. Eine soziale, solidarische und liberale Gesellschaft hat diesem Umstand Rechnung zu tragen und muss daher auch Suizidhandlungen entsprechend bewerten. Denn jeder Suizid zeigt an, dass ein Mensch das Netz seiner sozialen Beziehungen verlassen wollte. Aufgabe einer „sorgenden Gesellschaft“, wie sie offenbar auch von den Autoren des Diskussionspapiers erstrebt wird, wäre es, Sorge dafür zu tragen, dass dieser Wunsch gar nicht erst entsteht oder ihm – wo dies misslungen ist – adäquat begegnet wird. Auch das vom Bundesverfassungsgericht dekretierte „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ verpflichtet keine „sorgende Gesellschaft“ Suizide als erstrebenswerte Handlungen zu betrachten.
So gesehen sind die Empfehlungen der Autoren etwa hinsichtlich einer umfassenden Beratung von Suizidwilligen, einer personellen und organisatorischen Trennung der Prüfung der „Freiverantwortlichkeit“ des Suizidwunsches von der Durchführung der Suizidassistenz, sowie der Festschreibung einer zwischen Beratung und Durchführung liegenden Bedenkzeit zwar ebenso anzuerkennen wie die nach einem flächendeckenden Ausbau palliativmedizinischer und hospizlicher Angebote und umfangreichen Dokumentationspflichten.
Andererseits erinnern sie jedoch bis hinein in Details („ergebnisoffene Beratung“) an ähnlich lautende Bestimmungen zur Abtreibung. Auch bei deren Regelungen ging der Gesetzgeber einerseits vom Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau aus, suchte aber andererseits auch das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben zu berücksichtigen und legte daher Beratungspflicht, Bedenkzeit, Vier-Augen-Prinzip, Hilfsangebote und Dokumentationspflichten fest.
Heute wissen wir, dass diese Regelungen nicht nur ungeeignet sind, das Leben ungeborener Kinder wirksam zu schützen, sondern inzwischen auch Gefahr laufen, ganz abgeschafft zu werden, da mehrere der im Bundestag vertretenen Parteien, nahezu gleichlautende Forderungen in ihren Wahlprogrammen erheben. Dass die von der Leopoldina vorgeschlagenen Rahmenbedingungen für den assistierten Suizid lange Bestand haben werden, darf daher bezweifelt werden. Auch deswegen, weil sie ein widersprüchliches Autonomieverständnis offenbaren.
Wenn einerseits das Selbstbestimmungsrecht dem Einzelnen einen Anspruch auf assistierten Suizid sichert, er andererseits jedoch an die oben formulierten Voraussetzungen gebunden wird, wird seine Autonomie gleich wieder aufgehoben. Auf entsprechende Klagen der Suizidlobby in Deutschland, die von einem absoluten, uneingeschränkten Autonomieverständnis ausgeht, darf man sich daher einstellen.
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