Im Wesentlichen existent

­Stephan Balkenhol, der deutsche Bildhauer par excellence, der Mann der Männer in schwarzer Hose und weißem Hemd, der Schöpfer zeitgeistiger Geschöpfe in philosophischer Stille von poetischem Charme, hält triumphierend Einzug in den Augsburger Glaspalast. Große Männer, Weltenrichter, kleine serielle Figurinen, der französischen wie deutschen Historie entnommen, Götter und irdische Paare, der Mensch am Abgrund oder als Spielball des Computerspiels Tetris machen sich elegant, ja, sinnlich-sphärisch breit in der Sonderausstellung des KUNSTMUSEUM WALTER, beheimatet im lichtdurchfluteten Saal der GALERIE NOAH. Aus Wawa- und Zedernholz gehauen, skulptural wie reliefartig, oder in Bronze gegossen sind seine in Augsburg neuen Arbeiten der letzten Jahre, die überwiegend während des Covid-19-Lockdowns entstanden sind und das Bild eines Sinn-wie Identitätssuchenden spiegeln: Abstrakter gemacht als gedacht, sind die zunächst so feingliedrigen Wesen eigentlich grob gehauen, im Wesentlichen existent.  

Schon bei seinem Lehrer Ulrich Rückriem lernt der in Fritzlar bei Kassel gebürtige Balkenhol an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg das radikale, direkte Entfernen unnützen Materials, zunächst konkret, als einen aus Stein gehauenen Quader; später in klar definierter Figuration. Sein Mann in schwarzer Hose und weißem Hemd wird zur Corporate Identity, steht weltweit für den etablierten deutschen Künstler, seit den 1980er Jahren bis heute. Die Frau ist im Laufe der Zeit hinzugekommen; später das Tier. Doch der Habitus, die Gestik, die Erscheinung ist stets die gleiche. Distanziert und selbstbewusst stellt sich der Protagonist zur Schau, en vogue wie aufgeklärt: brauchen diese Figuren keine Statussymbole, um zu sein. Allerhöchstens zum spielerischen Attribut lanciert die scheinbar symbolträchtige Krone, der epochale Zylinder, die Lederhose oder der Zweispitz, gleichsam eine Art Sinnbild für die Suche nach Identität. 

Angenommen, der Urheber zeichnete mit seinen männlichen Skulpturen und Plastiken ein Bild von sich selbst – ist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jungen Stephan Balkenhol nicht ganz von der Hand zu weisen -, angenommen, es gehe hier um ihn per se, dann geht es lange noch nicht unbedingt in gleicher Weise auch um den Betrachter. "Wer nicht denken will, fliegt raus", wird Joseph Beuys nicht nur im Beuys-Jahr 2021 zitiert. Ebenso handhabt es der bekannte Hesse, beheimatet in Kassel, Karlsruhe und Lothringen, der seine Rezipienten wohlweislich zum Grübeln verleiten möchte, nach Antworten auf Fragen suchen lassen will wie: Was soll das? Wer bin ich? Warum bin ich nicht Du? Nicht verwunderlich auch, dass sich der 64-jährige Professor Balkenhol an der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe seinen Schülern regelmäßig im kritischen Gespräch zu seinem Oeuvre stellt – selbstreflektiert, wahrheitsliebend, diszipliniert bis streng neutral.  

Mit dem musealen Ausstellungsprojekt "Stephan Balkenhol in der Sammlung Walter" im historischen Kuppelsaal der ehemaligen Spinnerei- und Weberei Augsburg aus dem Jahr 1907 kontrastieren kleine Bronzen der großen Vorreiter im öffentlichen Raum, darunter das Richard-Wagner-Denkmal in Leipzig und der Balanceakt vor dem Axel-Springer-Hochhaus in Berlin, mit vor allem neuen Holzskulpturen der letzten zwei Jahre wie König und Marine der französischen Serie, Frau in Lederhose und Marlene der deutschen. Wunderbar lässt sich nachvollziehen, wie unterschiedlich der routinierte Bildhauer mit der warm-weichen Materie Holz und der kühl-stählernen Bronze umgeht, und wie sich deren Ergebnisse in Stil und Attitüde doch wieder vereinen. Wir freuen uns riesig, diesen so zeitgemäßen, treffsicheren und pointierten Künstler zeigen, und damit ein Stück Zeitgeist mit gestalten zu können, und danken an dieser Stelle für sein großes Engagement: hat Stephan Balkenhol nicht gezögert, sich an Konzept, Kuration und Umsetzung persönlich zu beteiligen.

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