Die Studie gibt erstmals einen umfassenden Überblick darüber, in welchem Ausmaß und bei welchen gesellschaftlichen Gruppen die Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen Anklang und Anhänger:innen fanden. Sie liefert damit empirisch verlässliche Aussagen über die tatsächliche Stärke der Proteste. Die Studie basiert auf repräsentativen Umfragen von mehr als 5.000 Personen zwischen Juni und November 2020. Gefragt wurde nach der Bereitschaft zur Teilnahme an einer Anti-Corona-Demonstration sowie nach dem Verständnis für die Anliegen dieser Demonstrationen. Die Umfrageergebnisse zeigen ein erhebliches und über die Zeit stabiles Mobilisierungspotenzial. Jeder zehnte Befragte war bereit, sich an Aktionen gegen die Corona-Politik zu beteiligen (oder hatte es bereits getan); jeder fünfte Befragte äußerte großes oder sogar sehr großes Verständnis für die Proteste.
Nicht nur die radikalen Ränder
Die Mehrheit der „Protestversteher“ – über 60 Prozent – verortet sich selbst in der politischen Mitte. Damit unterscheiden sich diese Befragten kaum von jenen, die kein Verständnis für den Corona-Protest haben. Auffällig ist allerdings, dass die extremen Ränder in der Gruppe der „Protestversteher“ deutlich stärker sind: 12,5 Prozent der Befragten verorten sich selbst am extremen Rand des ideologischen Spektrums, der größere Teil davon (7,5 Prozent) am rechtsextremen Rand. Im Durchschnitt würde ein Viertel der „Protestversteher“ die AfD wählen. Aber mehr als ein Drittel (knapp 35 Prozent) würde sich für keine der im Bundestag vertretenen Parteien entscheiden. Der Anteil dieser „Nicht-Repräsentierten“ lag über den ganzen Befragungszeitraum hinweg über 30 Prozent. Zusammengenommen bestanden im November 2020 zwei Drittel des Anti-Corona-Mobilisierungspotenzials aus Teilen dieser „vernachlässigten Mitte“ und aus Anhängern der AfD (siehe Abbildung).
So heterogen und ideologisch diffus der Corona-Protest auch ist: Die „Protestversteher“ eint ein starkes Misstrauen gegenüber der Bundesregierung und die Sorge um Freiheitseinschränkungen. „Beides bildet die politische Basis der Corona-Proteste“, folgert Swen Hutter.
Rechtsruck im Mobilisierungspotenzial ab Sommer
Mit der zunehmenden Bedeutung der „Querdenker“ im Corona-Protest fand ab Sommer ein Rechtsruck im Mobilisierungspotenzial statt. Auffällig ist, dass das Verständnis für den Protest in der radikalen Linken nach der ersten Protestwelle deutlich zurückging: von 21,5 Prozent im Juni/Juli auf 8,2 Prozent im August 2020. Gleichzeitig stieg die Zustimmung bei radikal rechts positionierten Befragten von knapp über 30 auf 40 Prozent. Aufgrund der großen Bedeutung von Verschwörungstheorien besitzt der Corona-Protest auch ein erhebliches Radikalisierungspotenzial. Rund 15 Prozent der „Protestversteher“ glauben der zentralen Verschwörungserzählung der Neuen Rechten vom angeblich geplanten „großen Austausch“ der Bevölkerungsmehrheit uneingeschränkt; 40 Prozent billigen ihr eine gewisse Glaubwürdigkeit zu. Zum Vergleich: Unter den Befragten mit wenig oder keinem Verständnis für die Proteste schenken fast 70 Prozent Verschwörungstheorien keinen Glauben (siehe Abbildung).
Die Studie „Alles Covidioten? Politische Potenziale des Corona-Protests in Deutschland“ ist als WZB Discussion Paper erschienen.
Prof. Dr. Edgar Grande ist Gründungsdirektor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am WZB.
Prof. Dr. Swen Hutter ist Lichtenberg-Professor in politischer Soziologie an der Freien Universität Berlin und Stellvertretender Direktor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung.
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