Der Gepard (Acinonyx jubatus) ist die seltenste große Katzenart in Afrika. Sein Bestand ist in den letzten Jahrzehnten erheblich zurückgegangen und liegt heute bei weniger als 7.000 erwachsenen Tieren. In Zentralnamibia, einer seiner letzten Hochburgen, leben die Geparde auf kommerziellem Farmland, also nicht in geschützten Gebieten wie Nationalparken oder Reservaten. Dies führt zu Konflikten mit Viehzüchtern, auf deren Kälber die Geparde gelegentlich Jagd machen. Getötete Kälber bedeuten für die Farmer erhebliche Verluste, weshalb die Geparde immer wieder in das Visier der Farmer geraten. „Dieser Konflikt ist eine wichtige Ursache für den Rückgang des Gepardenbestands in Namibia, daher mussten Lösungen für diesen Konflikt entwickelt werden, die sowohl für die Farmer als auch für die Geparden tragfähig sind“, sagt Dr. Jörg Melzheimer, Ökologe im Gepardenforschungsprojekt des Leibniz-IZW in Namibia, das maßgeblich von der Schweizer Messerli-Stiftung gefördert wird. Um solche Lösungen zu finden, startete das Leibniz-IZW im Jahr 2002 ein Langzeit-Forschungsprogramm zu Raumnutzung und Nahrungsökologie der Geparde und baute eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit vielen Farmern in Namibia auf. „Mit Unterstützung der Farmer fingen wir mehr als 250 Geparde und statteten viele von ihnen mit hochauflösenden GPS-Halsbändern aus, um ihre Bewegungsmuster und damit ihr räumliches Verhalten zu analysieren“, fügt Dr. Bettina Wachter, Leiterin des Gepardenforschungsprojekts, hinzu. Die Halsbänder zeichneten pro Tag durchschnittlich 96 GPS-Koordinaten pro Gepard auf, das sind mehrere Millionen Ortungen für alle besenderten Individuen.
Mit Hilfe dieses enormen Datensatzes identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-IZW zwei unterschiedliche räumliche Taktiken männlicher Geparde. Ungefähr ein Drittel aller Männchen besetzt kleine Territorien, deren Kerngebiete sie an 20 bis 40 markanten Punkten wie Bäumen, Felsen oder Termitenhügeln mit Duftstoffen markieren. Andere Männchen, so genannte Floater, bewegen sich innerhalb riesiger Streifgebiete, die mit mehreren Territorien überlappen. „Die Territorien grenzen nicht direkt aneinander, sondern sind in relativ großem Abstand gleichmäßig über die Landschaft verteilt“, erklärt Melzheimer. „Die Floater besuchen die Kernbereiche der Territorien häufig, um Informationen über die aktuellen Inhaber zu sammeln und ihre Chancen abzuschätzen, diese irgendwann abzulösen oder gar durch einen Kampf ein Territorium zu übernehmen. Zusätzlich besuchen auch die Weibchen regelmäßig diese Gebiete auf der Suche nach Paarungspartnern.“ Infolgedessen fungieren die Kerngebiete der Territorien als Kommunikations-Hotspots für die regionale Gepardenpopulation und sind daher Orte mit der höchsten Gepardenaktivität. Die Kommunikations-Hotspots sind in der Regel 25 Quadratkilometer groß und liegen 20 bis 25 Kilometer voneinander entfernt – sie machen somit nur etwa 10 Prozent der Gesamtfläche aus. In den Gebieten der Kommunikations-Hotspots ist das Risiko für Kälber sehr hoch, von Geparden gerissen zu werden. Die verbleibenden Flächen zwischen den Hotspots machen ungefähr 90 Prozent der Gesamtfläche aus und bergen ein erheblich geringeres Risiko für die Kälber. Obwohl die Hotspots nur einen kleinen Teil des Untersuchungsgebietes abdecken, ergab die Kartierung aller Hotspots in Zentralnamibia, dass etwa ein Drittel der Rinderfarmer von der Gepardenaktivität, in unterschiedlichem Ausmaß, betroffen sind.
Mit diesen Erkenntnissen entwarfen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-IZW gemeinsam mit den Farmern ein Experiment. Den Viehzüchtern, die unwissentlich Herden mit jungen Kälbern innerhalb der Kommunikations-Hotspots hielten, schlugen die Wissenschaftler vor, diese Herden in benachbarte Farmabschnitte mit geringerer Gepardenaktivität zu verlegen. „Diese Langzeitexperimente über mehrere Jahre waren sehr erfolgreich – sie reduzierten die Verluste der Farmer um mehr als 80 Prozent“, resümieren Melzheimer und Wachter. „Wir haben gezeigt, dass die Geparde den Mutterkuhherden nicht folgten, sondern ihr räumliches System von Kommunikations-Hotspots aufrechterhielten. Statt der nun fehlenden Rinderkälber jagten sie natürlich vorkommende Wildtiere in den Hotspotgebieten. Das bedeutet, dass es keine Problemgeparde gibt, sehr wohl aber Problemgebiete mit hohem Risiko für Kälber.“
Der Schlüssel zu diesen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Anwendung auf den Farmer-Geparden-Konflikt war die langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Landwirtschaft in Namibia. Diese Zusammenarbeit basierte auf dem Konzept des „Real-Labors“, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen mit betroffenen gesellschaftlichen Akteuren – hier die Rinderfarmer – gemeinsam Forschungsfragen und -ziele formulieren, daraus den Ablauf des Forschungsprojektes entwickeln, beim Fangen und Besendern von Geparden und der Erhebung von Daten über Viehverluste zusammenarbeiten und auf diese Weise gemeinsam Wissen und Lösungen für den Konflikt erarbeiten. „Dieser Ansatz ermöglichte es uns, als Partner auf Augenhöhe an einem realen Problem zu arbeiten und gemeinsam Lösungen zu finden. Wir haben diese Lösungen in den jeweiligen Farmervereinigungen gemeinsam kommuniziert und so zur Verbreitung der erfolgreichen Anwendung der Lösung beigetragen“, erklärt Melzheimer. „Die Zukunft der Geparde liegt nicht in der Hand von Wissenschaftler*innen oder Naturschützer*innen – sie hängt davon ab, dass alle Beteiligten gemeinsam an tragfähigen Lösungen arbeiten".
Weitere Informationen zum Gepardenforschungsprojekt: www.cheetah-research.org
Publikation
Melzheimer J, Heinrich SK, Wasiolka B, Mueller R, Thalwitzer S, Palmegiani I, Weigold A, Portas R, Roeder R, Krofel M, Hofer H, Wachter B (2020): Communication hubs of an asocial cat are the source of a human-carnivore conflict and key to its solution. Proc. Natl. Acad. Sci. USA.
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