Hilfsmittelversorgung gefährdet

Die qualitätsgesicherte und zeitnahe wohnortnahe Versorgung mit reha-technischen Hilfsmitteln wie Rollstühlen, Rollatoren, Bad- und Toilettenhilfen oder Pflegebetten ist für die Patientinnen und Patienten der IKK Classic derzeit nicht gesichert in akuter Gefahr: Monatelange Verhandlungen zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Leistungserbringerorganisationen (ARGE) über einen neuen Versorgungsvertrag wurden für gescheitert erklärt. Die ARGE, der neben dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) die Leistungserbringergemeinschaften CURA-SAN GmbH, rehaVital Gesundheitsservice GmbH, RSR Reha-Service-Ring GmbH, Sanitätshaus Aktuell AG und EGROH eG angehören, leitet jetzt ein Schiedsverfahren beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) ein, dem unter anderem die Rechtsaufsicht über die bundesunmittelbaren Träger der gesetzlichen Krankenversicherung obliegt.

„Die im Verhandlungsverlauf von der IKK Classic nur punktuell angebotenen Veränderungen am Vertrag haben keine grundlegende Verbesserung der Situation ergeben. Ein Vertragsabschluss nach aktuellem Verhandlungsstand war nicht vertretbar und hätte zu einer nicht qualitätsgesicherten Versorgung zu Lasten der Patientinnen und Patienten geführt. Wir waren intensiv um eine Einigung bemüht. Doch seitens der IKK Classic war kein spürbares Entgegenkommen zu verzeichnen“, lautet das Fazit von Albin Mayer, Vizepräsident und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des BIV-OT.

Selbstmontage der Hilfsmittel gefordert

Den Verhandlungen legte die IKK Classic einen Vertrag zugrunde, den sie mit einer Einzelfirma, der SaniMed GmbH, abgeschlossen hat. Darin festgeschrieben ist beispielsweise der Versand diverser Hilfsmittel – und dies gänzlich ohne eine persönliche Beratung der Patientinnen und Patienten sowie ohne Montage des Hilfsmittels vor Ort. „Patientinnen und Patienten, denen reha-technische Hilfsmittel – beispielsweise eine Toilettensitzerhöhung – verordnet werden, sind häufig immobil bzw. in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. Von ihnen kann eine Selbstmontage nicht verlangt werden“, unterstreicht Mayer. „Als Folge könnte es dazu kommen, dass das verordnete und benötigte Hilfsmittel nicht zum Einsatz kommen kann und die Betroffenen in ihrer Lebensqualität eingeschränkt werden.“ Ganz abgesehen von den mit der Selbstmontage einhergehenden Sturzrisiken. Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise die AOK: Eine verbindliche Leistung in ihren Verträgen sieht die Einweisung in das verordnete Hilfsmittel zwingend vor.

Verlierer sind Patientinnen und Patienten

Der zwischen IKK Classic und SaniMed GmbH geschlossene Vertrag hat bereits Auswirkungen, denn die Versicherten der IKK Classic dürfen nur von denjenigen Sanitätshäusern versorgt werden, die diesem Vertrag beitreten. Derzeit bestehen regionale Versorgungslücken. Patienten und Patienten erhalten nur zeitversetzt ihre Versorgungen. Dringend notwendige Reparaturen sind nicht in jeder Region zeitnah gewährleistet. „In Deutschland ist jeder vierte gesetzlich Versicherte auf die Versorgung mit Hilfsmitteln angewiesen. Einzelverträge aber gefährden die wohnortnahe, flächendeckende und qualitätsgesicherte Versorgung“, betont Mayer. „Einzelverträge sind kein Maßstab für die Gesamtversorgung von Versicherten.“ Daher habe der BIV-OT einen Beitritt strikt ausgeschlossen. Jede Krankenkasse, die Einzelverträge abschließe, nehme eine verzögerte Versorgung und Folgeschäden ihrer Versicherten in Kauf, so Mayer: „Einzelverträge sind zwar bisher gesetzlich zulässig, aber es ist deutlich zu sehen, wohin sie führen. Die Versicherten sind die großen Verlierer. Ich hoffe, dass das Schiedsverfahren die viel zu niedrigen Vergütungssätze und die kritischen Vertragsinhalte objektiv bewertet.“

Ende der Grauzone

„Natürlich wäre es grundfalsch, alle Krankenkassen über einen Kamm zu scheren. Die Mehrheit ist verhandlungsbereit und auf das Patientenwohl bedacht“, ist Mayer überzeugt. Dem nachteiligen Vorgehen Einzelner jedoch wollte der Gesetzgeber bereits mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) und dem Terminservice-Versorgungsgesetz (TSVG) Einhalt gebieten, um die Qualität in der Hilfsmittelversorgung zu sichern bzw. in den Markt zurückzubringen. „HHVG und TSVG decken jedoch nicht die Grauzone des Einzelvertrags ab“, so Mayer. „Was wir prinzipiell brauchen, ist ein Gesetz, das es den Krankenkassen verbietet, Verhandlungen über die Versorgung von Versicherten mit jedem beliebigen Einzelbetrieb zu führen, der Hilfsmittel liefern kann. Damit sollen Partikularinteressen begrenzt und sichergestellt werden, dass mit den ausgehandelten Preis-/Leistungsverhältnissen eine qualitätsgesicherte und wohnortnahe Versorgung aller Versicherten gewährleistet ist.“ Mayers Lösungsvorschlag: Vertragsverhandlungen auf Verbände und bundesweite Zusammenschlüsse von Sanitätshäusern beschränken.

Verlauf des Schiedsverfahrens

Der Verlauf eines Schiedsverfahrens ist in § 127 Abs. 1a Sozialgesetzbuch (SGB) V festgeschrieben. Zunächst müssen sich die Parteien auf eine Schiedsperson verständigen. Sollte kein Konsens gefunden werden, wird die Schiedsperson von der für die vertragsabschließende Krankenkasse zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt. Innerhalb von drei Monaten ab Bestimmung der Schiedsperson muss diese die strittigen Vertragsinhalte festlegen. Gegen die Bestimmung der Schiedsperson kann Widerspruch oder Klage eingereicht werden, dies wird gerichtlich geprüft.

Über Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik

Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) vertritt als Spitzenverband des orthopädietechnischen Handwerks bundesweit Sanitätshäuser und orthopädietechnische Werkstätten mit etwa 40.000 Beschäftigten. Jährlich versorgen die angeschlossenen Häuser mehr als 20 Millionen Patientinnen und Patienten mit Hilfsmitteln.

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