Hierzu Prof. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrates: „Die ausgezeichnete Zusammenarbeit von Deutschem Musikrat, der Konferenz der Landesmusikräte und der Bertelsmann Stiftung zum Thema #MehrMusikInDerSchule ist ein Musterbeispiel für kooperativen Föderalismus. Gerade in Krisenzeiten gewinnt die Frage nach den Prioritätensetzungen gesellschaftlicher Zukunftsgestaltung an Bedeutung. Die Zuständigkeit für einen qualifizierten und kontinuierlichen Musikunterricht liegt bei den Ländern, die Verantwortung dafür bei uns allen. Deshalb brauchen wir jetzt eine bundesweite Umsetzung unseres Forderungspapiers zur Musikalischen Bildung in allen Ländern.“
Hierzu Prof. Dr. Ulrike Liedtke, Vorsitzende der Konferenz der Landesmusikräte: „Gemeinsam sind wir stärker – in der länderspezifischen Vielfalt und dennoch in Einigkeit, was die lange überfälligen Forderungen und Vorschläge betrifft, um den gravierenden Musiklehrkräftemangel an Grundschulen zu beheben. Jetzt kommt es darauf an, dass jeder Landesmusikrat für sein Bundesland die aus der Studie ableitbaren Forderungen mit Nachdruck stellt und wir dadurch bundesweit einen großen Schritt weiter kommen in unserem Engagement für #MehrMusikInDerSchule.“
Bei der Fachtagung #MehrMusikInDerSchule wurden im Rahmen von Länderarbeitsgruppen unter Federführung von 11 Landesmusikräten spezifische Forderungspapiere für das jeweilige Bundesland diskutiert und verabschiedet. Das Bundesforderungspapier finden Sie hier, die Landesforderungspapiere folgen in Kürze.
Forderungspapier │#MehrMusikInDerSchule
Musik ist ein qualifizierender Teil der Allgemeinbildung und damit unverzichtbar. Im Idealfall bilden das gemeinsame Singen und Musizieren innerhalb der Familie die Grundlage für eine lebenslange Beschäftigung mit Musik. Jedoch nur die Musikerziehung in der Grundschule ermöglicht allen Kindern, unabhängig vom sozialen Umfeld, in ihrer prägendsten Lernphase eine Welterkundung mit Musik. Musikalität als Ausdruck von Lebensfreude und Gemeinschaftsgefühl fördert dabei nicht nur das Sozialverhalten und die Sprachentwicklung der Kinder, sondern auch ihre Konzentrationsfähigkeit, Emotionalität und Lernfähigkeit.
Die vom Deutschen Musikrat, der Konferenz der Landesmusikräte und der Bertelsmann Stiftung beauftragte Studie zur Situation des Musikunterrichtes in der Grundschule legt zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland valides Zahlenmaterial vor und zeigt die bundesweite Unterversorgung im Bereich der musikalischen Bildung in der Grundschule. Insgesamt kommen 2.802.189 Grundschulkinder in Deutschland (2018/ 19) mit der Vielfalt musikalischer Angebote gar nicht oder nicht ausreichend in Berührung. Dies hat unterschiedliche Gründe, wie die Zahlen der Studie belegen:
23.000 Musiklehrkräfte fehlen derzeit an deutschen Grundschulen
Zur Abdeckung des in den Stundentafeln der Länder vorgegebenen Umfangs an Musikunterricht in der Grundschule werden bundesweit rund 40.000 Musiklehrkräfte benötigt. Deutschlandweit arbeiten allerdings nur rund 17.000 grundständig ausgebildete Musiklehrkräfte. Damit fehlen aktuell bereits rund 23.000 Lehrkräfte, um den Pflichtunterricht im Fach Musik sichern zu können – Tendenz steigend.
Bis zu 73 % des Musikunterrichts werden fachfremd erteilt
Die Ergebnisse der Studie „Musikunterricht in der Grundschule“ belegen, dass derzeit je nach Bundesland zwischen 11 % und 73 % – im Durchschnitt 50 % – des Musikunterrichts fachfremd erteilt werden. Der prozentuale Anteil daran ist in den westlichen Bundesländern tendenziell höher als in den östlichen. Nur in wenigen Ländern existieren spezielle und koordinierte Fortbildungsangebote für Lehrkräfte, die Musik fachfremd unterrichten.
An bis zu 9,6 % der Grundschulen wird überhaupt kein Musikunterricht angeboten
Fünf Bundesländer lieferten für die Studie Daten zum Unterrichtsausfall: In Brandenburg erhalten 2,6 %, in Hessen 0,8 % und in Nordrhein-Westfalen 5,0 % der Grundschulkinder keinen Musikunterricht. Neben der Reduzierung in der Stundentafel einzelner Klassen gibt es auch Schulen ganz ohne Musikunterricht: In Schleswig-Holstein besuchen 2,7 % und in Thüringen 9,6 % der Grundschülerinnen und Grundschüler Schulen, an denen kein Musikunterricht angeboten wird.
Bis zu 36 % der Musiklehrkräfte sind älter als 55 Jahre
Den Ergebnissen der Studie zufolge variiert der Anteil in den einzelnen Ländern zwischen 19 % und 36,2 %. Bis 2028 werden nach den Berechnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis zu 36,2 % der Musiklehrkräfte altersbedingt aus dem Schuldienst ausscheiden. In Corona-Zeiten zählen viele von ihnen zur Risikogruppe und sind potenziell von einem verpflichtenden Schulbesuch befreit, was den Lehrkräftemangel noch zusätzlich vergrößert.
Mit dieser Studie wird zum ersten Mal mit Zahlen unterlegt, was die Erfahrungen schon länger zeigen: Deutschland verstummt in Einfalt, statt im Interesse nachwachsender Generationen die noch vorhandene Kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu befördern, wie es die völkerrechtlich verbindliche UNESCO-Konvention zum „Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ vorsieht. Die Musik, die übrigen künstlerischen Schulfächer und der Sport, die für die Persönlichkeitsbildung Heranwachsender von zentraler Bedeutung sind, finden immer weniger Eingang in ein Erleben von Schule. Die länderübergreifenden Versäumnisse und Defizite der Bildungsplanung vergangener Jahrzehnte der Länder haben einerseits zu einem gravierenden Mangel an Musiklehrerinnen und -lehrern sowie andererseits zu einem Übermaß überfrachteter Lehr- bzw. Rahmenpläne geführt, die überwiegend fragmentieren und auf die Vermittlung von Faktenwissen setzen, anstatt Zusammenhänge herzustellen und zu einem lebensbegleitenden Lernen zu befähigen. Gerade in der aktuellen Krise werden diese Defizite noch einmal deutlicher, es werden aber auch Chancen für grundlegende Veränderungen eröffnet.
Deshalb fordern der Deutsche Musikrat und die Landesmusikräte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, den Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern und den Fachverbänden von den Länderparlamenten, den Landesregierungen und den kommunalen Spitzenverbänden:
1. Ein Sofortprogramm zur angemessenen personellen und finanziellen Förderung der Lehrkräftebildung im Fach Musik, auch in Hinblick auf Studieninteressierte sowie die Fort- und Weiterbildung, das die künstlerischen und wissenschaftlichen Hochschulen in die Lage versetzt, dem Bedarf an Lehrkräften gerecht zu werden.
2. Eine Verbesserung der Studienmöglichkeiten für das Unterrichtsfach Musik im Grundschullehramt in Hinblick auf die Zugangsmöglichkeiten (passgenaue Eignungsprüfung/ Aussetzen des NC) und eine angemessene Fachlichkeit.
3. Erleichterungen für die Wahl von Musik als Schulfach mit erhöhtem Anforderungsniveau („Leistungskurs“ bzw. Abiturfach) in der Gymnasialen Oberstufe, damit das Interesse am Musiklehrerberuf wieder stärker geweckt werden kann.
4. Eine nachhaltige, qualitätsgesicherte Qualifizierung von Seiten- und Quereinsteigerinnen und -einsteigern zur Überbrückung ausfallenden Musikunterrichts. Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger sind keine strukturelle Lösung zur Behebung des Mangels an Fachlehrerinnen und Fachlehrern, können aber bei entsprechender fachlicher Begleitung temporär die Defizite lindern.
5. Eine verpflichtende Implementierung des Musikunterrichts zusammen mit den anderen künstlerischen Schulfächern und dem Sport in die Lehr- bzw. Rahmenpläne aller Schularten und Jahrgangsstufen. Dies muss zeitnah umgesetzt werden. Gemeinsam eröffnen diese obligatorischen Fächer schulischen Lernens die Chance, vielfältige Bindungen und Verbindungen zu den geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern herzustellen.
6. Eine Stärkung der Musikschulen als dem wichtigsten Kooperationspartner schulischen Lernens durch eine bedarfsgerechte Finanzierung auf Kommunal- und Länderebene.
7. Eine Selbstverpflichtung der Länderparlamente, um künftig die erhöhten Bedarfe für die Kosten der Musiklehrkräftebildung über das haushälterische Instrument der Verpflichtungsermächtigung sicherzustellen.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen kann nur unter Einbindung aller relevanten Akteure erfolgen, daher fordern wir die Einrichtung einer Taskforce #MehrMusikInDerSchule mit Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Musikrates, der Konferenz der Landesmusikräte, der Fachverbände, der Musikhochschulen, Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, des Bundeselternrates, des VBE (Verband Bildung und Erziehung), des Bundesrates, der Kultusministerkonferenz, des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages, des Deutschen Städte- und Gemeindebundes sowie als beratende Gäste Vertreterinnen und Vertreter des Bundesbildungsministeriums und der Beauftragten für Kultur und Medien.
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