Nur noch 27 Prozent der Betriebe in Deutschland tarifgebunden

Peter Rudolph, Vorsitzender des CGB-Landesverbandes Bremen und stellvertretender Bundesvorsitzender der CGB/CDA-Arbeitsgemeinschaft, ist angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie besorgt über die sinkende Tarifbindung in Deutschland und hat diese Besorgnis jetzt auch in Berlin in einem Vorstandsgespräch seiner Arbeitsgemeinschaft mit dem arbeitsmarkt- und sozialpolitischem Sprecher der CDU(CSU-Bundestagsfraktion Peter Weiß MdB deutlich gemacht und politische Maßnahmen gegen die besorgniserregende Tarifflucht gefordert. Er sprach sich dabei insbesonde­re für die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen sowie für die Ausnutzung der durch die Neufassung der EU-Entsenderichtlinie erweiterten Möglichkeiten zur Anwendung von Tarift­reuevorgaben aus.

Peter Rudolph, der auch Mitglied der Vollversammlung der Bremer Arbeitnehmerkammer ist: „Es muss ins-besondere ausgeschlossen werden, dass in den Tarifausschüssen Arbeitgeber selbst die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen verhindern können, deren Allgemeinverbindlichkeitserklärung von ihren Mitgliedsverbänden selbst beantragt wurden.

Zum Nachweis der nachlassenden Tarifbindung in Deutschland überreichte Peter Rudolph dem CDU-Abge­ordneten Weiß eine jüngst von der Arbeitnehmerkammer Bremen veröffentlichte Studie. Laut dieser Studie, die vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen und dem Wirtschafts- und Sozialwis­senschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung erstellt wurde, unterliegen in Deutschland nur noch 27% aller Betriebe einer Tarifbindung. Die höchste Tarifbindung besteht aktuell in Rheinland-Pfalz und Nieder­sachsen, mit 38% bzw. 35%, die niedrigste in Bremen und Sachsen mit 17% bzw. 16%. Da insbesondere Großbetriebe einer Tarifbindung unterliegen sowie weitgehend der öffentliche Dienst und staatlichen Eigenbetriebe, liegt die Tarifbindung der Beschäftigten mit durchschnittlich 54% derzeit zwar noch deutlich über die der Betriebe, aber dennoch bereits um 16 Prozentpunkte niedriger als noch im Jahre 2000. Auch hier bestehen deutliche Unterschiede, wenn man nach Bundesländern und Branchen differenziert. Während in Nord-rhein-Westfalen und Sachsen 60% der Beschäftigten einer Tarifbindung unterliegen, sind es in Sachsen lediglich noch 40%. Noch größer ist die Spannweite bei den Branchen. Im Einzelhandel genießen lediglich 34% der Beschäftigten tarifvertraglichen Schutz, im Baugewerbe hingegen 66% und in der öffentlichen Ver-waltung sogar 89%.

Die Wirtschaft und ihr nahestehende Politiker und Medien versuchen, das Problem der nachlassenden Tarifbindung zu relativieren. Sie argumentieren, dass viele Betriebe zwar keiner Tarifbindung unterliegen, ihre Beschäftigten aber in Anlehnung an Tarifverträge vergüten. Tatsächlich trifft dies nur bedingt zu. Wie die Studie zumindest für das Land Bremen nachweist, müssen tarifgebundene Beschäftigte durchschnittlich eine Stunde weniger pro Woche arbeiten als ihre Kolleginnen und Kollegen in nicht tarifgebundenen Unternehmen. Darüber hinaus verdienen tarifgebundene Vollzeitbeschäftigte rund zehn Prozent mehr als Arbeitnehmer in nicht tarifgebundenen Betrieben. Die Beschäftigtenbefragung „Koordinaten der Arbeit im Lande Bremen“ die die Arbeitnehmerkammer Bremen alle zwei Jahre durchführt, belegt ebenfalls den Zusammenhang zwischen Tarifbindung und Vergütung. Während von den Befragten Beschäftigte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von bis zu 1000 Euro nur 44% tarifvertraglich geschützt waren, lag die Tarifbindung bei Beschäftigten mit einem Nettoeinkommen zwischen 3000 und 5000 Euro bei rd. 70%.

Rudolph: „Die rückläufige Tarifbindung ist eine der Ursachen für die wachsende Lohnungleichheit in Deutschland. Sie hat dazu geführt, dass gerade Beschäftigte in Branchen mit niedrigem Lohnniveau nicht auf kollektive Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen und ihrer Entlohnung hoffen können. Dies ist für uns als Gewerkschafter nicht hinnehmbar.“

Ursachen für die sinkende Tarifbindung sieht Rudolph im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsge­sellschaft mit vielen Leiharbeitnehmern und geringfügig Beschäftigten sowie im Mitgliederschwund bei Ar­beitgeberverbänden und Gewerkschaften, der bei den Arbeitgebern zur Einführung von „OT-Mitgliedschaf­ten“ geführt hat, also Mitgliedschaften, die keinen Zwang zur Anwendung von Tarifverträgen beinhalten. Aber auch Politik und Rechtsprechung haben nach Auffassung des christlichen Gewerkschafter dazu beigetragen, dass immer weniger Beschäftigte in Deutschland auf eine tarifvertragliche Absicherung vertrauen können.

Rudolph: „Die grundgesetzlich verbriefte Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie wurde mit Unterstützung der Politik von der Arbeitsgerichtsbarkeit in den letzten Jahren zunehmend eingegrenzt und beschränkt. Einigen christlichen Gewerkschaften wurde die Tariffähigkeit aberkannt und damit die Möglichkeit, für ihre Mitglieder Tarifverträge abzuschließen. Die sogenannten Einheitsgewerkschaften haben sich damit zwar lästige Konkurrenz vom Halse geschafft, die Arbeitnehmerschaft aber um Organisationsalternativen beraubt und die Ge-werkschaften insgesamt geschwächt. Ich empfehle daher einen Blick über die Grenzen. Gerade in Nachbar­ländern wie Österreich, Frankreich und Belgien, in denen Gewerkschaftspluralismus besteht und dieser auch nicht infrage gestellt wird, besteht mit 98% (Österreich) bzw. 94% (Frankreich und 93% (Belgien) eine weit­aus höhere Tarifbindung als in Deutschland.“

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