Die besonders klimaschädliche Kohle-Energie ist im globalen Maßstab immer noch auf dem Vormarsch. Über die Gründe dafür gibt es schon etliche Fallstudien zu einzelnen Ländern – doch bislang fehlte ein generelles Analysekonzept, das aus nationalen Befunden typische Muster erkennen lässt und so die Grundlage für Gegenstrategien schafft. Eine Studie unter Federführung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) schließt jetzt diese Lücke. Sie wurde in der renommierten Fachzeitschrift Energy Research & Social Science veröffentlicht.
„Die Energie- und Klimapolitik spiegelt die Ziele derer wider, die den größten Einfluss auf den Entscheidungsprozess haben“, sagt Michael Jakob, Senior Researcher am MCC und Leitautor der Studie. „Deshalb müssen wir die politische Ökonomie der Kohle berücksichtigen, also das Zusammenspiel von Politik und Interessengruppen. Nur so lässt sich verstehen, warum manche Länder immer massiv in diese Energiequelle investieren – trotz aller Bekenntnisse zum Pariser Klimaschutzabkommen, trotz der gesundheitsschädlichen Luftverschmutzung und trotz sinkender Kosten für Strom aus Sonne und Wind.“
Zum Erfassen dieser politischen Ökonomie liefert das Autorenteam einen Analyserahmen. Demnach wird die Entscheidung pro oder contra Kohle durch drei zentrale Einflussgrößen bestimmt: die handelnden Figuren („actors“), deren Ziele („objectives“) sowie die konkreten Rahmenbedingungen vor Ort („context“). „Die Einflussgrößen sind alle von Land zu Land verschieden, ebenso die Art und Weise, wie sie aufeinander reagieren“, erklärt MCC-Forscher Jakob. „Aber in je mehr Ländern die Kohlenutzung stringent nach diesem Konzept betrachtet wird, desto größer ist der allgemeingültige Erkenntniswert. Und desto leichter lassen sich Ansatzpunkte zum Gegensteuern finden und somit Empfehlungen für die globale Klimapolitik ableiten.“
Etwa 20 derartiger Fallstudien will das MCC im kommenden Jahr in einem Buch zusammenstellen. Dabei forscht es selbst zu Indien, Indonesien, Vietnam, den Philippinen, Kolumbien und Kenia; eine Studie zu Vietnam wurde kürzlich bereits in der Fachzeitschrift Energy Policy veröffentlicht. Die jetzt erschienene Arbeit illustriert die theoretischen Überlegungen mit konkreten Fakten aus Indien, Indonesien und Vietnam. So finanziert Indiens Eisenbahngesellschaft vergünstigte Personentickets mit Einnahmen aus dem Kohletransport. In Indonesien fließt ein Teil des Geldes aus der Kohleförderung direkt an die einflussreichen Provinzregierungen. Und in Vietnam werden Kohlekraftwerke weiterhin subventioniert, indem die öffentliche Hand Verluste des staatseigenen Versorgers EVN abfängt.
Doch trotz solcher Befunde ist die Studie kein Anlass zur Resignation: Das Festhalten an der Kohle erscheint zwar als Ausdruck der aktuellen Kräfte-Konstellation, die aber kann sich verändern. Dies zeigt sich am Beispiel Vietnams, wo die wirtschaftlichen Umstände dazu geführt haben, dass der Bau bereits geplanter Kohlekraftwerke bis auf weiteres aufgeschoben wurde. „Unser Analysekonzept offenbart auch die Richtungen, aus denen der Impuls für einen Politik-Wechsel weg von der Kohle kommen kann“, betont Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und einer der Co-Autoren. „So können steigende Durchschnittseinkommen in der Bevölkerung dem Klimaschutz eine höhere politische Priorität verschaffen, technischer Fortschritt bei Erneuerbaren kann ihm neue Optionen bescheren, und politische Lernprozesse können zu neuartigen Lösungsansätzen führen. Es ist wichtig, dass die Forschung solche Veränderungen schnell erkennt. Unsere Studie leistet dazu einen Beitrag.“
Das MCC erforscht nachhaltiges Wirtschaften sowie die Nutzung von Gemeinschaftsgütern wie globalen Umweltsystemen und sozialen Infrastrukturen vor dem Hintergrund des Klimawandels. Unsere sieben Arbeitsgruppen forschen zu den Themen Wirtschaftswachstum und -entwicklung, Ressourcen und Internationaler Handel, Städte und Infrastrukturen, Governance sowie wissenschaftliche Politikberatung. Das MCC ist eine gemeinsame Gründung der Stiftung Mercator und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
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